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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 13.1913/​1914

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XIII, Heft

Die Werkstatt der Kunst.

5

Man redet von dem Fehlen der Form, man sollte reden
von dem Fehlen der Uniform.' wenn wirklich Nachahmung
nie Kunst sein kann, was sind dann die Farbenabsetzungen,
in denen diese .Künstler der Gegenwart' einander immer
wieder nachahmen in denselben paar armen Verrücktheiten
und Bluffs? wenn wirklich die Uniform etwas so Minder-
wertes, Menschenunwürdiges ist, wie kann man sich dann
gruppenweise sür neue Wahnsinnsuniformen entscheiden?
'Auch die schönste Schale', heißt es dann anmutig, ,täuscht
nicht über die Schalheit des Innern fort.' Gewiß, aber
auch die häßlichste tut das nicht. Nachdem die Kunst bis-
her noch immer eine Zuchtwahl des Schönsten und Edelsten
war, versuchen diese jungen Leute es nun mit einer Züch-
tung des Allerhäßlichsten. Die Spekulation aus einen Teil
verlebter Großstadtmenschen muß sich wohl lohnen, wenn
dieser merkwürdige Erfolg noch weiter um sich greifen
sollte, dann könnte man es ja wohl einmal versuchen, des
Gähnens Herr zu werden, das einen bei Massenansamm-
lungen solcher .revolutionären' Bilder ankommt. Bis da-
hin hat die Sache nichts weiter auf sich."
Noch kräftiger lehnt Fritz Stahl im „Berliner Tage-
blatt" diese Art von Zukunftskunst ab:
„Und so ist nun Gelegenheit gegeben, im Hause Pots-
damer Straße 76 einen ,Ueberblick über die neue Be-
wegung in den bildenden Künsten aller Länder' zu ge-
winnen. ,Einen Ueberblick, der zugleich das Blickfeld der
Zeitgenoffen erweitern wird.' weiter vorläufig nichts.
wenn man diesen und anderen pompösen Sätzen des
Kataloges mit dürren Worten gegenüberstellen will, was
wirklich zu sehen ist, so muß man sagen: es ist hier all
das Monströse und Groteske, was sonst vereinzelt auftritt,
zu einem scheußlichen und lächerlichen Klumpen zusammen-
geballt worden.
Das Lachen wird zwar hier wie sonst von den Wort-
führern der Zukunstskunst streng verboten. Mit dem
warnenden Hinweis darauf, daß manchmal schon große
Künstler zuerst ausgelacht worden sind. Aber das zieht
nicht, wie in anderen Dingen, so ist auch darin die Sünde
der letzten Zeit eine andere wie die der früheren Periode.
Sie besteht nämlich darin, daß Scharen von anspruchsvollen
Toren nicht ausgelacht werden, daß auch die Gegner noch,
bestochen durch großartige Redensarten, getrieben von der
Angst, nicht modern zu fein, all dieses Zeug immer doch
noch ernst genommen haben. Lin Teil des ,Erfolges' be-
ruht darauf. Deshalb wollen die Veranstalter lieber scharf
kritisiert werden als ausgelacht. Wird aber nicht mehr
gemacht. Gegen die Zumutung, diese Fatzkereien als Kunst
auch nur negativ zu behandeln, gibt es keinen ernsten
Protest mehr, wir lachen. Selbst gläubige Vertreter der
neuen Prinzipien lächeln schon mit, noch ein bißchen ver-
legen, aber das wird sich geben. Und dann wird dieser
ganze tolle Spuk — der mit der ernsten Arbeit
weniger Künstler nach neuen Zielen hin gar
nichts zu tun hat — sehr schnell verschwinden.
Den Gipfelpunkt erreicht der futuristische Maler Se-
verini mit dem Porträt des Schulhäuptlings Marinetti.
Auf futuristischen Manifesten, die in nuturu auf die Lein-
wand geklebt sind, erhebt sich im Relief, aus einem gelb-
lichen Stoff gebockt, die Karikatur eines Menschengesichtes,
auf dem ein Schnurrbart aus wirklichen Haaren angebracht
ist. Das ist keine vereinzelte Entgleisung, die die Veran-
stalter und Freunde von ihrer Sache abschütteln können,
wer so etwas in eine Kunstausstellung hineinhängen kann,
es irgendwie, wenn auch nur entschuldigend, gelten läßt,
der hat das Recht verwirkt, ernst genommen zu werden.
Und wer nicht lacht, mit einem Untergrund von Zorn, der
ist durch die Schaustellereien der letzten Jahre eben abge-
stumpft.
Dasselbe gilt fast sür die ganze Nasse dieser drei-
hundertsünfzig Nummern. Gilt für die längst ausgearteten,
kubistischen Spielereien, auf denen eine Anzahl verschachtelter
Farbendreiecke eine Landschaft oder einen Menschen aus-
drücken sollen. Gilt für die Haufen dick aufgetragener
Flecken schlechter Farbe, die auf jede Form verzichten und

wie Musterkarten einer zweifelhaften Gelfarbenfabrik aus-
sehen. Gilt für die aus Buntpapier geklebten Buchdeckel,
die Kunstgewerbe sein wollen."
Ueber den Streit um den Rostocker „Reuter-
brunnen" äußert sich Fritz Stahl im „B. T.":
„Prof. Klimfch, der als Mitglied der Jury für den
Entwurf des Bildhauers Holz eingetreten war, ist, wie
gemeldet wird, gegen die Revision des Schiedsspruches, die
mit uns die .Bildhauervereinigung' für notwendig erklärt
hat. Er begründet seine Stellungnahme folgendermaßen.
Der Künstler habe nur, um die Stimmung der Zeit
in einer sinnfälligen Gestalt zu sammeln, das Motiv eines
zeitgenössischen Künstlers benutzt, wie er selbst zu-
gab. Im übrigen lobt er das bildhauerische Können.
Dagegen ist sehr viel zu sagen. Und Klimschs Muste-
rungen sind besser aus einer temperamentvollen Teilnahme
für einen jungen Kollegen, dem er Talent zuerkennt, zu
erklären als aus einer strengen Prüfung der Sachlage.
Lin Reuterbrunnen hat doch natürlich gar nicht die
Aufgabe, die .Stimmung der Zeit' auszudrücken, sondern
den Charakter Reuter. Die Zeit ist ein Ding, das
schwer zu fassen ist. Zeitgenossen können sehr entgegen-
gesetzte Naturen sein. Und gerade Reuter und Richter sind
es wirklich gewesen. Gder was haben der derbkräftige
Mecklenburger und der sanfte, in Italien gebildete .köniq-
liche Sachse' miteinander gemein? vielleicht ein kleines
Stückchen liebenswürdiger Sentimentalität, weiter nichts.
Hanne Nute, der muskelstarke Schmiedegesell, der auch mit
der Faust dreinfährt, wenn es nötig ist, ist kein Richterscher
Hirtenknabe. Auch wenn er träumt wie dieser, sitzt und
sinnt er anders. Und wenn Klimsch das nicht sieht, so
kann man das nur daraus erklären, daß der leichtblütige
Rheinländer das plattdeutsche in Reuters Gestalten nicht
fühlt, vielleicht die Menschen dieser Gegend gar nicht kennt.
Uebrigens ist es auch mit der Zeitgenossenschaft nicht
so ganz sraglos. Richters Stil hat sich in den dreißiger
Jahren entwickelt, Reuters .Hanne Nüte' ist im Jahre t860
erschienen.
Zweifelhaft ist der Zusatz: .wie er (der Bildhauer)
selbst zugab?' wann hat er zugegeben? vor der Ent-
scheidung der Jury oder nachdem die Anlehnung öffentlich
nachgewiesen war? Bis jetzt hatte man von einer vor-
herigen Erklärung, die etwa in den Erläuterungen gegeben
sein müßte, nichts gehört. Deshalb ist es unwahrscheinlich,
daß sie erfolgt ist. Und es bleibt also — vom Streit über
den Charakter ganz abgesehen — dabei, daß ein Bewerber
gegen seine Genossen mit einer Gestalt eines Meisters
konkurriert hat und nicht mit einer eigenen. Das geht
nicht an und wird von den Mitbewerbern auch juristisch
anzugreifen fein, da es die selbstverständliche Voraussetzung
ist, daß bei einer Konkurrenz jeder eine eigene Schöpfung
liefert. Der junge Künstler soll nicht verdammt und be-
makelt werden wegen dieses nicht rechten Vorgehens, man
mag ihn sogar wieder mitkonkurrieren lassen, wenn man
weitherzig sein will, aber daß er den auf solche Art ge-
wonnenen Austrag einfach erhält, ist gegen die künstlerische
Moral, wäre auch dann noch zu bekämpfen, wenn das
Resultat weniger anfechtbar wäre, als es in Wirklichkeit ist."
Vie Zukunft cler cteullcken Kunst*)
Die deutsche Kunst der 90 er Jahre und des ersten
Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts zeigte in allen deutschen
Kunststädten eine so frische Entwicklung deutschen Kunst-
lebens, daß man sich dessen nur vollen Herzens erfreuen
konnte. Und kein geringerer und kein unbefangenerer
Zeuge kann dafür genannt werden als Lovis Corinth, der
es deutlich ausgesprochen hat, nicht einmal, sondern mehrere
Male, daß damals ein neuer bedeutsamer Ausschwung deut-

*) Wir entnehmen diese Ausführungen einem Vortrag,
den Karl v. Perfall am 5. September im Vortragssaal
der Großen Kunstausstellung Düsseldorf gehalten hat.
 
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