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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 13.1913/​1914

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Corinth, Lovis: Aufruf an die Jugend: Für deutsche Kunst
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Sternaux, Ludwig: Der Staatsanwalt, die Kunst und wir
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https://doi.org/10.11588/diglit.53853#0282

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mancher im stillen Kämmerlein sich abstrapaziert, um
auch das Würfelsystem mitzumachen.
Sehen wir uns daraufhin eine derartige aller-
modernste Kunstschau an. Durch alle Räume geht
ein durchaus femininer Zug und das Zeichen aller
Modernität überhaupt, das ich überall da rüge, wo
es mir entgegentritt: eine fatale Aehnlichkeit aller
Bilder untereinander. Der moderne Maler malt
nicht allein in der Art seines modernen Vorbildes,
sondern er nimmt auch dieselben Gestalten, welche
auf diesen französischen Bildern besonders bevorzugt
werden. Daher werden sie immer in jeder Aus-
stellung einen pierrot finden. Ich weiß beim besten
Willen nicht, aus welchem literarischen Werk dieser
französische Hanswurst auf deutsche Bilder kommen
konnte, aber wenn ich daran denken sollte, einen
pojazz darzustellen, würde ich gewiß und wahrhaftig
unsere vortreffliche Figur, den Till Lulenspiegel
nehmen und bin überzeugt, eine neuere Figur ge-
schaffen zu haben, als alle die modernen Künstler
mit ihren Pierrots und Pierretten.
Die Aktmalerei setzt nicht minder in Erstaunen.
Die weiblichen oder männlichen nackten Figuren der
Modernen versetzen einen in Verwunderung, daß sie
unter den Kleidern eine solche unmögliche anato-
mische Konstruktion verbergen können. Selbst die
kühnste und ausschweifendste Phantasie eines Zulu-
kaffers kann nach meiner Meinung einen Europäer
oder eine Europäerin in ausgezogenem Zustande
nicht treffender darstellen.
Nun würden wir schließen können, wenn ich
nicht auf diese Iereminaden hin die Erklärung
schuldig wäre, wie diese demütigende Sucht der
deutschen Imitation zu überwinden wäre, vor allen
Dingen will ich die deutsche Kunst auf dieselbe hohe
Stufe gestellt wissen, wie die französische. Die
Mittel, um das zu erreichen, sind vollständig gleich-
gültig. Entweder durch Studieren französischer
Vorbilder oder noch lieber, durch Anschluß an unsere
großen deutschen Künstler der Vergangenheit.
vor zwei Jahren ging in München eine Be-
strebung von Münchener Künstlern aus, die fran-
zösische Kunst in Deutschland zu boykottieren, weil
Deutschland das Land war, das die besten und
willfährigsten Abnehmer französischer Kunst hatte,
wegen niedriger Brotkonkurrenz die französischen
Kollegen zu boykottieren, denen wir soviel zu Dank
verpflichtet sind, nein! Aber wir müssen uns be-
streben, besser zu arbeiten, als unsere Konkurrenten.
Wir müssen uns bemühen, mit allen übrigen Künst-
lern gleichwertig abgeschätzt zu werden. Einfach
mit gebundenen Händen dazustehen und zuzugeben,
daß jene Künstler von vornherein ohne jeden Be-
weis die besseren wären, scheint mir nicht eines
Deutschen und eines Nachkommen von Grünwald,
Dürer und Holbein würdig zu sein. Dazu gehört
vor allen Dingen die strengste Erziehung der Jugend,
Ls ist notwendig, den jungen Schüler, der sich der
der Kunst widmet, ein höchstes Ziel zu stecken, das

XIII, Heft 20.
er nur mit eisernem Fleiß und energischstem Willen
erreichen kann. Ist der Schüler in allen Arten des
Handwerks ausgebildet und im Studium und in den
elementaren Arbeiten genügend gefestigt, so wird
ihm nichts Fremdartiges imponieren, und selten wird
der Wunsch an ihn herantreten: Das da möchte ich
auch so können. Denn er wird sich sagen, ich ver-
folge ein anderes Ziel. So erstirbt der Wunsch
des Nachmachens nach anderen Methoden schon im
ersten Gedanken Ser Absicht.
Die höchste Ehrfurcht vor den Meistern der
Vergangenheit sollen wir haben; leider gehört es
zur Mode, auch diese Pietät verächtlich zu machen.
Aber wer keine Vergangenheit ehrt, hat auch keine
hoffnungsvolle Aussicht auf die Zukunft, und es
wäre dem Verächter seiner eigenen Vorläufer wahr-
haftig besser, einen Mühlstein zu nehmen und dorthin
zu gehen, wo es am tiefsten ist.
Das ist meine rein persönliche Meinung. Sie
kann auch bestritten werden, aber das eine ist sicher,
ich will den deutschen Künstler von der degradieren-
den Abhängigkeit des Auslandes befreien, die um
so erniedrigender ist, als er selbst sich in diese Ab-
hängigkeit wie ein Knecht begeben hat. warum
sollte nicht Frankreich durch seine jahrhundertlange
Kultur und seinen Reichtum an Talenten bewundert
werden? Keiner ist ein größerer Bewunderer dieses
herrlichen Landes als ich selbst. — Aber Deutsch-
land den Deutschen, wir haben das Selbstbewußt-
sein, auf genau derselben Stufe zu stehen, des-
halb werden wir in absehbarer Zeit ebensolche
bedeutenden Künstler unser eigen nennen wie die
Franzosen.
Unser Wahlspruch laute: Arbeiten und besser
machen!
I^ovis Oorintk.
Oer Staatsanwalt, äie Llllnlt unct wir
von Ludwig Stern aux*)
Lin Zufall ließ mich vor einigen Jahren als Zuhörer
an einer Gerichtsverhandlung teilnehmen, in der sich ein
paar Händler und Fabrikanten wegen Verbreitung un-
züchtiger Postkarten zu verantworten hatten. Ls waren,
wenn ich mich recht erinnere, Postkarten mit Bildwieder-
gaben nach Lorreggio, Anders Zorn und Lollin,
und zwar, wie der damalige Staatsanwaltschaftsassessor
Bagell, der Vertreter der Anklage, glatt zugab, durchaus
künstlerische Postkarten. Trotzdem wurden die Angeklagten
wegen „vergehens gegen die Sittlichkeit" verurteilt, weil
die Bilder von Lorreggio, Anders Zorn und Lollin soge-
nannte Nacktdarstellungen waren und bereits die bekannte
Reichsgerichtsentscheidung vorlag, nach der eine bildliche
Nacktdarstellung an sich gegebenenfalls zwar nicht unsittlich,
in Postkartengröße jedoch sofort unsittlich ist.
Die geringe Geldstrafe, zu der die Angeklagten damals
verurteilt worden sind, ist belanglos. Von Belang aber
war, daß die künstlerischen Abbildungen nach den drei
berühmten Künstlern für unzüchtig erklärt wurden; die
Beschlagnahme wurde natürlich aufrechterhalten, die Platten

s) Mit Genehmigung der Redaktion entnommen der
„Tägl. Rundschau" vom 2t> Januar.

Die Werkstatt der Kunst.
 
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