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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 13.1913/​1914

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Corinth, Lovis: Aufruf an die Jugend: Für deutsche Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.53853#0281

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xm, Heft 20.

Die Werkstatt der Kunst.

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gültig — genau verfolgen, wie sich der eine Mei-
ster aus den vorhergehenden entwickelt hat. Selten
ist einer aus der gewohnten Bahn herausgetreten
und hat Kunstwerke hingestellt, die in keiner Über-
lieferung einzureihen möglich gewesen wären. Line
ähnliche Sitte war noch am Anfang des vorigen
Jahrhunderts. Bei der größeren Ausdehnung der
Malerei und dem leichter gewordenen Verkehr mit
allen Ländern wurde es dann möglich, Meisterwerke
zu studieren. Lin jeder suchte dann auch bald seine
Lieblinge und Vorbilder aus allen Ländern zusam-
men und so arbeitete man in holländischer, italieni-
scher, spanischer Manier. Allmählich wurde Paris,
das Viktor Hugo das Hirn der Welt nennt, auch
die Zentrale der Malerei.
Sehen wir einmal, wieviel vorübergehende Mo-
den im Verhältnis einer kurzen Spanne Zeit von
Paris ausgegangen, dann beinahe vergessen und
wieder begraben sind. Als ich vor mehreren Jahr-
zehnten nach Berlin kam, war gerade der Natura-
lismus in der Mode. Lin Kunstsalon, der immer
pariser Vorbildern huldigte und doch immer hinter
Paris nachhinkte, machte deshalb eine Ausstellung
der „Naturalisten". Dann kamen die Symbolisten
daran, bald darauf der Iapanismus, und alle wur-
den vereinigt in dem Impressionismus, von dem
Impressionismus gingen nun die Abstufungen wei-
ter, und die Richtungen nannten sich Neoimpressio-
nismus, Expressionismus und schließlich jetzt Fu-
turismus und Kubismus. Ich hätte nichts einzu-
wenden, wenn ein Deutscher in seinem künstlerischen
Drang und Streben nach Vervollkommnung irgend-
eine Methode — gleichgültig, ob gut oder schlecht
— von diesen vielgenannten Arten selbst gefunden
hätte. Dem aber ist nicht so, denn bis auf den
Futurismus, der ein totgeborenes italienisches
Erzeugnis ist, sind die Erreger der übrigen
Arten immer Franzosen gewesen. Natürlich bin
ich ein großer Bewunderer französischer Kunst.
Deshalb aber braucht man nicht blindlings und
urteilslos nachzuahmen, was von Frankreich ge-
boten wird.
wie ist es nur möglich, daß unsere Stadt Ber-
lin vor etwa 50 Jahren noch ein Botokudendorf
in bezug auf bildende Kunst, vor f00 Jahren und
darüber, namentlich in der Zeit der politischen
Schmach Preußens, den glänzendsten Dichter und
die besten Maler besaß. Vor sOO Jahren dichtete
Heinrich Kleist aus Frankfurt a. O. gegen Napo-
leon die „Hermannsschlacht". Von Künstlern lebte
in Berlin der geniale Zchadow, Krüger, der junge
Menzel, der große Landschaftsmaler Karl Blechen
aus Kottbus. Ich hebe mit Absicht diese kleinen
märkischen Städte hervor als Heimat dieser größten
Preußen, wenn Sie sich im damaligen Deutschland
umsehen, waren die anderen Hauptstädte, selbst
München, in künstlerischer Beziehung hinter Berlin
weit zurück, vielleicht noch Wien hatte den größeren
Reichtum an Musikern. Die Früchte jener großen

Zeit können wir als späte Nachkommen noch als
Sehenswürdigkeit Berlins bewundern.
Heute ist die Klügelei und die spitzfindige Spe-
kulation Trumpf geworden. Da wird von dem
goldenen Schnitt erzählt, von den Komplementär-
farben und den weiteren Gesetzen, unter denen ein
Kunstwerk jenseits der Vogesen entstanden sein soll.
Durch diese Schablone wird das eine Bild genau
wie das andere und diese Ähnlichkeit ist das Haupt-
merkmal aller modernen Bilder überhaupt, denn sie
werden über denselben Leisten geschlagen und jede
charakteristische Individualität geht hierbei verloren.
Freuen würde ich mich, wenn unsere Zeit einen
Mann hervorbrächte, der mit einem Fußtritt diese
mathematischen Klügeleien über den Haufen schmeißt,
und wieder herrscht durch seine instinktive malerische
Schaffenskraft. Der Vater aller modernen Rich-
tungen, der Urheber, der alle geistig beweglichen
deutschen Maler fasziniert hat, war der Franzose
Tezanne. Tezanne ist in der Tat ein großes Genie,
auf den sein Vaterland stolz sein kann, wenn
nun ein deutscher Maler schon so spucken und sich
räuspern will, so soll er nicht vergessen, daß Te-
zanne als Südfranzose seine Landschaften und seine
Menschen gemalt hat, und die Sonne scheint doch
wohl anders auf die Provence als auf die Mark
Brandenburg.
Tezanne aber starb, ohne die geringste Ahnung
gehabt zu haben, welchen Eindruck er auf die mo-
derne Malerei gemacht hatte. Er war ein zu
großer Charakter, daß er sich noch sonst um etwas
anderes gekümmert hätte, als um seine Bilder. An
seine Stelle trat ein viel gewandterer, weltklugerer
Künstler: Mattisse. Er ist ebenfalls ein begabter
Künstler, wie es nur ein Franzose sein kann, aber bei
allem Talent nur ein Epigone Tezannes. Er emp-
fand ein neues zugkräftigeres System, woran wir
immer noch in der Modemalerei leiden, den Neger-
stil. Mit seiner neuen Lehre hatte Mattisse den
größten Erfolg, den ein Mensch in verhältnismäßig
jungen Jahren erringen konnte. Die Schüler
strömten ihm nur so zu. In Paris verschwindet
eine Mode und taucht eine neue noch schneller auf,
wie bei uns in Berlin. Heute wird Mattisse viel
weniger genannt als noch vor zwei Jahren. An
seine Stelle ist Picasso getreten. Fand Mattisse den
Negerstil, so fand Picasso den Kubismus.
Der Kubismus hat wohl niemals Gegenliebe
gefunden. Jeder hohnlächelt über seine unverständ-
liche Methode, jedermann sucht das Bild wie im
Vexierbild zu enträtseln, und dennoch ist es gerade
das Bewundernswerteste, daß die ganze Welt auf
ihn eingeschworen zu sein scheint. Der Kubismus
ist jedenfalls als System genommen, das Charakte-
ristischste und Subjektivste aller Systeme, und deshalb
tötet er von vornherein die Individualität aller
derer, die ihm anhängen. In der Geffentlichkeit
zeigen sich diese Anhängerschaften bei uns Gott sei
Dank noch nicht, aber ich zweifle nicht daran, daß
 
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