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Die Werkstatt der Kunst.
XIII, Heft 27.
deuten, in welch vielseitiger Weise man es betrachten und
analysieren kann, wie man stets neue Schönheiten und
Feinheiten darin entdecken wird.
Das Gemälde, das behuss der notwendigen Befestigung
der neun verschiedenen Bretter, auf denen es gemalt ist,
und die den Gefahren der Heizung bisher nie ausgesetzt
waren, aus den Galerieränmen auf kurze Z-eit entfernt
war, ist jetzt für längere Zeit im Saal des Genter Altars
aufgestellt worden. Platz dafür wurde dadurch geschaffen,
daß die Tafeln des Lyckschen Altars, die wir nur in
Kopien besitzen — die Mitte der Innenseite: die Anbetung
des Lammes und die drei großen Figuren darüber — zeit«
weise entfernt und durch die Außenseite der Flügel: die
Stifter mit ihren Heiligen und die Verkündigung darüber,
ersetzt wurden. An den beiden Seitenwänden des Kabi-
netts, die dadurch frei wurden, sind nun an der einen
Seite Goes' „Anbetung der Könige", an der anderen seine
„Anbetung der Hirten" mit den Fragmenten und Kopien
nach Goes, die wir noch besitzen, aufgestellt worden. Dies
bietet die Gelegenheit, auch jenes ältere Bild von Goes,
das als Weihnachtsvision gedacht und daher in matten
Farben gehalten ist, in gutem Licht besser zu würdigen
und so den Künstler nach ganz verschiedenen Richtungen
kennen zu lernen. Die Aufstellung im Eyck-Saal veranlaßt
zugleich, die beiden größten nordischen Maler des ts. Jahr-
hunderts in ihren Meisterleistungen zu vergleichen, Goes
als Meister der Lharakteristik und Farbenpracht neben den
Brüdern van Eyck, den großen Bahnbrechern und den un-
erreichten Meistern in der Tonmalerei und in der rein
sachlichen, vornehmen Schilderung der Natur zu bewundern.
In dieser Zusammenstellung wird Goes, der sich in seiner
Bescheidenheit mit den van Eycks nicht zu vergleichen
wagte, der sich nie selbst genügte und in Tiefsinn darüber
starb, nicht nur in seinem künstlerischen wert, sondern zu-
gleich in seiner allen zeitgenössischen Malern nördlich der
Alpen überlegenen geistigen Bedeutung zur Geltung
kommen.
Teitungssckau
Ueber „Ludwig Iustis Nationalgalerie" schreibt
Max Osborn in der „B. Z. am Mittag":
„Neue Direktoren hängen um" — das ist eine alte
Erfahrung der Museumsxraxis. Niemand wird es ihnen
verdenken. Ls muß ein wundervolles Gefühl sein, mit
dem kostbaren Material alten Kunstbesitzes frei schalten,
persönliche Ueberzeugungen von werten und Zusammen-
hängen solcher Objekte souverän betätigen zu können.
Aber was Ludwig Iusti mit der Nationalgalerie unter-
nommen hat, geht über das Gewohnte weit hinaus. Für
die Sichtung und Reinigung der Sammlung hatte schon
sein Vorgänger Tschudi wesentliches getan und die Prin-
zipien der Weiterarbeit aufgestellt. Iusti ging zunächst
auf diesem Wege weiter, indem er, mit hohem diploma-
tischen Geschick, die Schlachtenbilder ins Zeughaus hinüber-
komplimentierte, den historischen Porträts in der Bau-
akademie einen Ruhesitz bereitete und so Raum für eine
Fülle wichtiger Neuerwerbungen schuf. Dann aber ging
er dem Kern des Reformproblems, dem Hause selbst,
zuleibe.
Ls war eine gewaltige Arbeit. Denn das Gebäude
der Nationalgalerie, einst aus der Kreuzung verschieden-
artigster Absichten entstanden, paßt für alles eher als für
ein Museum und nun gar für eines der modernen Kunst*).
Diese Mängel völlig und wirklich abzustellen, ist unmöglich,
und es bleibt die Zukunftshoffnung auf einen Neubau be-
stehen, für den der Blick sehnsüchtig auf das andere Spree-
ufer zum fiskalischen Gelände des Zirkus Busch hinüber-
schweift. Aber es handelte sich nun darum, auch im alten
Rahmen noch die dringlichsten wünsche zu erfüllen. Am
*) Man vergleiche die Darlegungen in Iustis soeben
erschienener Denkschrift „Der Ausbau der Nationalgalerie".
(Berlin, Verlag von Julius Bard.)
schlimmsten sah es im Erdgeschoß aus. So wurde dies
zunächst vorgenommen und nach klugem, wohlbedachtem
plane umgestaltet. Ls hat lange gedauert, aber es ist ein
großes Gelingen, was sich nun der Oeffentlichkeit präsen-
tiert — übrigens nicht schon heute, sondern, da der Besuch
des Kaisers auf Dienstag angefetzt ist, erst vom nächsten
Mittwoch an.
Man erkennt das Stockwerk kaum wieder, verschwunden
ist die kalte Pracht der Marmorsäulen, verschwunden sind
die überhohen, weiten, ungemütlichen Säle und die Löcher
der Finsternis im Zentrum des Gebäudes. An ihre Stelle
trat ein Grundriß von schöner Klarheit und Logik: Rechts
und links von der vorgelagerten Ouerhalle, die man zuerst
betritt, je vier Säle, im Fond die alten Fächerkabinette
der Apsis. Und wie von selbst ergab sich die Verteilung.
Rechts die Realisten und Impressionisten aus der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts: die „Leibl-Reihe"; links die
deutsch-römischen Stilisten des gleichen Zeitraums: die
„Böcklin-Reihe"; in den fünf kleinen Räumen des Ge-
bäudeabschluffes der preußische Hauptmeister der ganzen
Epoche: Menzel. Es sieht alles so selbstverständlich aus,
aber mit unendlichen Mühen und Ueberlegungen ist jede
Einzelheit des Umbaus bedacht, die Höhe und Abmessung
der Räume, die Gestaltung der Decken, die Führung der
Lichtquellen und so fort. In diesen Dingen hat Iusti mit
dem Museumsarchitekten Wille Ausgezeichnetes geleistet.
Die Flucht der Säle schließt sich zu prachtvoller Wirkung
zusammen. Hier repräsentative Hauptpunkte von groß-
artiger Wirkung: der Leibl-Saal, die Trübner-, die Lieber-
mann-wand, die Lharles-Schuch-Lcke, in einer Kuxpelnische
Max Klingers leuchtende Wandbilder aus der Steglitzer
Villa Alberts in weißer Holzumrahmung, von erlesenen
Handzeichnungen begleitet. Dort die große Drei: Marees,
Feuerbach, Böcklin — dieser in zwei Sälen mit fein be-
rechneten Durchblicken auf das „Spiel der Wellen", auf
die „Gefilde der Seligen", auf die große Pieta und auf
den „Frühlingstag".
Der Maries-Saal ist die große Ueberraschung der
Neuordnung. Hier sind, neben den wenigen älteren Werken
des Meisters, die früher in der Galerie hingen, endlich
auch die jahrelang im Depot bewahrten Gemälde und mit
ihnen einige Neuerwerbungen von höchstem werte aufge-
stellt worden. Es sind dies die außerordentlichen Studien
Marses' zu den Neaxler Fresken (dabei die herrliche Vor-
arbeit zu den Ruderern) und das Triptychon mit den
Szenen des Paris und Merkur, der drei Göttinnen des
Schönheitsstreites und des Helena-Raubes. Dies Dreibild
ist, wiederum mit einigen Zeichnungen, in einer Kuppel-
nische untergebracht, die jener Klingerschen entspricht.
Ueber anderes läßt sich streiten. Iusti verfolgt die
Thefe, den Kunstwerken eine entsprechende Umgebung zu
verleihen. Darum will er im zweiten Stockwerk der Ga-
lerie die Fresken der Lafa Bartholdy in einen neuen
Raum einbauen, der genau dem römischen Sxeisesaal ent-
spricht, in dem sie sich einst befanden — ein vorzüglicher
Gedanke. Darum hat er auch den Realisten Helle wände,
den Deutsch-Römern roten Brokatstoff und eine dekorativ
prunkvollere Ausstattung gegeben. Aber hierbei scheint
manches verbesserungsbedürftig. Die lichtgraue Wandbe-
spannung ist für Leibl ungünstig, weil sie seine schweren
Töne zu dick und finster erscheinen läßt. Und wenn bei
den Stilisten, vor allem bei Böcklin, auch eine festliche
Steigerung das Ziel der Kunst war, so wirkt die Palazzo-
Art der Säle auf dieser Seite doch zu anspruchsvoll, die
Vergoldung des Gebälks zu reich, namentlich aber die Be-
malung der Marses-Nische zu aufdringlich. Hier muß
(und kann) gemildert werden. Ebenso bei dem kleinen
„Menzel-Museum" der Apsis, wo die Anordnung wieder
meisterhaft ist: drei Räume für die Gemälde, in dem einen
herrscht das Lisenwalzwerk, im zweiten das Flötenkonzert,
im dritten die Tafelrunde; zwei Säle, die dazwischen liegen,
mit Handzeichnungen und Gouachebildern gefüllt. Es ist
ein unvergleichlicher Genuß, diese wände abzuschreiten.
Im übrigen Hause ist die Arbeit noch im Gange. Im
Die Werkstatt der Kunst.
XIII, Heft 27.
deuten, in welch vielseitiger Weise man es betrachten und
analysieren kann, wie man stets neue Schönheiten und
Feinheiten darin entdecken wird.
Das Gemälde, das behuss der notwendigen Befestigung
der neun verschiedenen Bretter, auf denen es gemalt ist,
und die den Gefahren der Heizung bisher nie ausgesetzt
waren, aus den Galerieränmen auf kurze Z-eit entfernt
war, ist jetzt für längere Zeit im Saal des Genter Altars
aufgestellt worden. Platz dafür wurde dadurch geschaffen,
daß die Tafeln des Lyckschen Altars, die wir nur in
Kopien besitzen — die Mitte der Innenseite: die Anbetung
des Lammes und die drei großen Figuren darüber — zeit«
weise entfernt und durch die Außenseite der Flügel: die
Stifter mit ihren Heiligen und die Verkündigung darüber,
ersetzt wurden. An den beiden Seitenwänden des Kabi-
netts, die dadurch frei wurden, sind nun an der einen
Seite Goes' „Anbetung der Könige", an der anderen seine
„Anbetung der Hirten" mit den Fragmenten und Kopien
nach Goes, die wir noch besitzen, aufgestellt worden. Dies
bietet die Gelegenheit, auch jenes ältere Bild von Goes,
das als Weihnachtsvision gedacht und daher in matten
Farben gehalten ist, in gutem Licht besser zu würdigen
und so den Künstler nach ganz verschiedenen Richtungen
kennen zu lernen. Die Aufstellung im Eyck-Saal veranlaßt
zugleich, die beiden größten nordischen Maler des ts. Jahr-
hunderts in ihren Meisterleistungen zu vergleichen, Goes
als Meister der Lharakteristik und Farbenpracht neben den
Brüdern van Eyck, den großen Bahnbrechern und den un-
erreichten Meistern in der Tonmalerei und in der rein
sachlichen, vornehmen Schilderung der Natur zu bewundern.
In dieser Zusammenstellung wird Goes, der sich in seiner
Bescheidenheit mit den van Eycks nicht zu vergleichen
wagte, der sich nie selbst genügte und in Tiefsinn darüber
starb, nicht nur in seinem künstlerischen wert, sondern zu-
gleich in seiner allen zeitgenössischen Malern nördlich der
Alpen überlegenen geistigen Bedeutung zur Geltung
kommen.
Teitungssckau
Ueber „Ludwig Iustis Nationalgalerie" schreibt
Max Osborn in der „B. Z. am Mittag":
„Neue Direktoren hängen um" — das ist eine alte
Erfahrung der Museumsxraxis. Niemand wird es ihnen
verdenken. Ls muß ein wundervolles Gefühl sein, mit
dem kostbaren Material alten Kunstbesitzes frei schalten,
persönliche Ueberzeugungen von werten und Zusammen-
hängen solcher Objekte souverän betätigen zu können.
Aber was Ludwig Iusti mit der Nationalgalerie unter-
nommen hat, geht über das Gewohnte weit hinaus. Für
die Sichtung und Reinigung der Sammlung hatte schon
sein Vorgänger Tschudi wesentliches getan und die Prin-
zipien der Weiterarbeit aufgestellt. Iusti ging zunächst
auf diesem Wege weiter, indem er, mit hohem diploma-
tischen Geschick, die Schlachtenbilder ins Zeughaus hinüber-
komplimentierte, den historischen Porträts in der Bau-
akademie einen Ruhesitz bereitete und so Raum für eine
Fülle wichtiger Neuerwerbungen schuf. Dann aber ging
er dem Kern des Reformproblems, dem Hause selbst,
zuleibe.
Ls war eine gewaltige Arbeit. Denn das Gebäude
der Nationalgalerie, einst aus der Kreuzung verschieden-
artigster Absichten entstanden, paßt für alles eher als für
ein Museum und nun gar für eines der modernen Kunst*).
Diese Mängel völlig und wirklich abzustellen, ist unmöglich,
und es bleibt die Zukunftshoffnung auf einen Neubau be-
stehen, für den der Blick sehnsüchtig auf das andere Spree-
ufer zum fiskalischen Gelände des Zirkus Busch hinüber-
schweift. Aber es handelte sich nun darum, auch im alten
Rahmen noch die dringlichsten wünsche zu erfüllen. Am
*) Man vergleiche die Darlegungen in Iustis soeben
erschienener Denkschrift „Der Ausbau der Nationalgalerie".
(Berlin, Verlag von Julius Bard.)
schlimmsten sah es im Erdgeschoß aus. So wurde dies
zunächst vorgenommen und nach klugem, wohlbedachtem
plane umgestaltet. Ls hat lange gedauert, aber es ist ein
großes Gelingen, was sich nun der Oeffentlichkeit präsen-
tiert — übrigens nicht schon heute, sondern, da der Besuch
des Kaisers auf Dienstag angefetzt ist, erst vom nächsten
Mittwoch an.
Man erkennt das Stockwerk kaum wieder, verschwunden
ist die kalte Pracht der Marmorsäulen, verschwunden sind
die überhohen, weiten, ungemütlichen Säle und die Löcher
der Finsternis im Zentrum des Gebäudes. An ihre Stelle
trat ein Grundriß von schöner Klarheit und Logik: Rechts
und links von der vorgelagerten Ouerhalle, die man zuerst
betritt, je vier Säle, im Fond die alten Fächerkabinette
der Apsis. Und wie von selbst ergab sich die Verteilung.
Rechts die Realisten und Impressionisten aus der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts: die „Leibl-Reihe"; links die
deutsch-römischen Stilisten des gleichen Zeitraums: die
„Böcklin-Reihe"; in den fünf kleinen Räumen des Ge-
bäudeabschluffes der preußische Hauptmeister der ganzen
Epoche: Menzel. Es sieht alles so selbstverständlich aus,
aber mit unendlichen Mühen und Ueberlegungen ist jede
Einzelheit des Umbaus bedacht, die Höhe und Abmessung
der Räume, die Gestaltung der Decken, die Führung der
Lichtquellen und so fort. In diesen Dingen hat Iusti mit
dem Museumsarchitekten Wille Ausgezeichnetes geleistet.
Die Flucht der Säle schließt sich zu prachtvoller Wirkung
zusammen. Hier repräsentative Hauptpunkte von groß-
artiger Wirkung: der Leibl-Saal, die Trübner-, die Lieber-
mann-wand, die Lharles-Schuch-Lcke, in einer Kuxpelnische
Max Klingers leuchtende Wandbilder aus der Steglitzer
Villa Alberts in weißer Holzumrahmung, von erlesenen
Handzeichnungen begleitet. Dort die große Drei: Marees,
Feuerbach, Böcklin — dieser in zwei Sälen mit fein be-
rechneten Durchblicken auf das „Spiel der Wellen", auf
die „Gefilde der Seligen", auf die große Pieta und auf
den „Frühlingstag".
Der Maries-Saal ist die große Ueberraschung der
Neuordnung. Hier sind, neben den wenigen älteren Werken
des Meisters, die früher in der Galerie hingen, endlich
auch die jahrelang im Depot bewahrten Gemälde und mit
ihnen einige Neuerwerbungen von höchstem werte aufge-
stellt worden. Es sind dies die außerordentlichen Studien
Marses' zu den Neaxler Fresken (dabei die herrliche Vor-
arbeit zu den Ruderern) und das Triptychon mit den
Szenen des Paris und Merkur, der drei Göttinnen des
Schönheitsstreites und des Helena-Raubes. Dies Dreibild
ist, wiederum mit einigen Zeichnungen, in einer Kuppel-
nische untergebracht, die jener Klingerschen entspricht.
Ueber anderes läßt sich streiten. Iusti verfolgt die
Thefe, den Kunstwerken eine entsprechende Umgebung zu
verleihen. Darum will er im zweiten Stockwerk der Ga-
lerie die Fresken der Lafa Bartholdy in einen neuen
Raum einbauen, der genau dem römischen Sxeisesaal ent-
spricht, in dem sie sich einst befanden — ein vorzüglicher
Gedanke. Darum hat er auch den Realisten Helle wände,
den Deutsch-Römern roten Brokatstoff und eine dekorativ
prunkvollere Ausstattung gegeben. Aber hierbei scheint
manches verbesserungsbedürftig. Die lichtgraue Wandbe-
spannung ist für Leibl ungünstig, weil sie seine schweren
Töne zu dick und finster erscheinen läßt. Und wenn bei
den Stilisten, vor allem bei Böcklin, auch eine festliche
Steigerung das Ziel der Kunst war, so wirkt die Palazzo-
Art der Säle auf dieser Seite doch zu anspruchsvoll, die
Vergoldung des Gebälks zu reich, namentlich aber die Be-
malung der Marses-Nische zu aufdringlich. Hier muß
(und kann) gemildert werden. Ebenso bei dem kleinen
„Menzel-Museum" der Apsis, wo die Anordnung wieder
meisterhaft ist: drei Räume für die Gemälde, in dem einen
herrscht das Lisenwalzwerk, im zweiten das Flötenkonzert,
im dritten die Tafelrunde; zwei Säle, die dazwischen liegen,
mit Handzeichnungen und Gouachebildern gefüllt. Es ist
ein unvergleichlicher Genuß, diese wände abzuschreiten.
Im übrigen Hause ist die Arbeit noch im Gange. Im