Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 13.1913/1914
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Redaktioneller Teil
DOI article:Boder, Wilhelm: Gehören Kunstwerke in die Museen?
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XIII, Heft 2.
Die Werkstatt der Kunst.
in den Kirchen fast nie, nicht nur wegen der Höhe,
in der sie angebracht sind, sondern weil sie durch
die Jahrhunderte stark verstaubt und verdunkelt oder
durch Restaurationen meist arg verputzt und böse
geflickt zu sein pflegen. Daß die Schützen- und
Negentenstücke in den Rathäusern und Stiftsgebäuden
der Niederlande, daß die Bilder und Wandteppiche
in den Schlössern und Bürgerhäusern in gleicher
weise meist ohne Rücksicht auf ihre künstlerische
Wirkung aufgestellt worden sind, soweit sie nicht in
Kisten und Kasten aufbewahrt wurden, weiß jeder,
der die Geschichte der Kunstdenkmäler kennt und sie
noch heute an Ort und Stelle studiert hat. Selbst
ein Tizian, ein Velasquez mußten sich gefallen lassen,
daß ihre schönsten mythologischen Bilder den Platz
hoch über den Türen der Palastzimmer erhielten;
und die Bilder der Holländer dienten regelmäßig
zum Schmuck der Zimmer, Vorplätze und selbst der
Küchen der Bürgerhäuser, wo die meisten sehr un-
genügendes Licht hatten. Kunstwerke haben nach
unserem modernen Empfinden noch einen anderen,
viel wichtigeren Zweck als den der Dekoration oder
Stimmungsmachung; sie wollen betrachtet und ge-
nossen werden. Der Kunstgenuß ist eine eigene Art
der Andacht, und diese kann am besten in den
Rkuseen verrichtet werden, sobald in ihnen — wie
es in den meisten neueren Rkuseen der Lall ist —
für günstige Räume, gute Beleuchtung und geschmack-
volle Aufstellung gesorgt ist. Zn einzelnen Rkuseen
ist sogar mit Erfolg versucht worden, in gewisser
weise auch für Stimmung durch die Ausstattung
zu sorgen. Daß durch die große Zahl der Kunst-
werke in den öffentlichen Rkuseen leicht eine Ueber-
sättigung herbeigeführt werden kann, daß mancher
Besucher durch das Durchhetzen durch alle Räume
sich nach einem Besuch der Rkuseen ermüdet, statt
gehoben und erbaut fühlt, ist eigene Schuld des
Besuchers. Zedern steht ja frei, sich für jeden Be-
such die Räume, die Kunstwerke auszuwählen, die
er gerade sehen möchte, anderes aber für ein ander-
mal beiseite zu lassen. Um diese Auswahl dem
Laien zu erleichtern, haben wir in unseren Berliner
Russen schon jetzt die Fülle der verschiedenartigen
Kunstwerke auf eine Reihe von Bauten verteilt und
sind im Begriff, dies in den Neubauten noch weiter
durchzuführen, in denen die Gegenstände je nach ihrer
Art und Bedeutung zur Geltung kommen und nicht
nur dem Studium zugänglich gemacht werden sollen,
wenn die gebildeten Berliner sich nur daran gewöhnen
wollten, den Besuch ihrer Ruseen für lohnend und
genußreich zu halten, statt dies ausschließlich ihren
Frauen und Töchtern und den Berichterstattern der
Zeitungen, die sie gerade lesen, zu überlassen!
vertun gslckau
über den „Prozeß wegen Verbreitung unzüch-
tiger Bilder" auf Grund der Ausstellung einer Nach-
bildung der Feuerbachschen „Schlammerden Nymphe"
lesen wir im „Berliner Tageblatt" vom 28. September:
^7
Um das bekannte Bild Feuerbachs „Schlummernde
Nymphe" wurde gestern vor der zehnten Strafkammer
des Landgerichts I unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors
Lilia gestritten, wegen vergehens gegen tz ;8H des Straf-
gesetzbuchs war der Buchhändler Heinrich Wibker, Leiter
der Buchhandlung der Neuen Freien Volksbühne, angeklagt,
weil er die in der Feuerbachnummer der „Zugend" ver-
öffentlichte Reproduktion des Bildes im Schaufenster des
Geschäftslokals in der Köxenicker Straße ausgestellt hatte.
Da ein Anonymus sich in einer Strafanzeige darüber be-
schwert hatte, wurde das Bild, wie wir mitteilten, von
einem Polizeibeamten beschlagnahmt und die Anklage aus
tz ;8H erhoben.
Zum gestrigen Termin hatte der Verteidiger Rechts-
anwalt Lesser den Kunstmaler Lovis Corinth, den Kunst-
schriftsteller Or. Max Deri, der früher Assistent des Ge-
heimrats Bode im Museum war und künstlerischer Beirat
in der Neuen Freien Volksbühne ist, als Sachverständigen
und den Vorsitzenden dieses Vereins, Verlagsbuchhändler
Georg Springer, als Zeugen und Sachverständigen laden
lassen. — Or. Deri erklärte unter anderem, er halte es
für ganz unmöglich, daß die wohlgelungene Reproduktion
dieses Bildes unzüchtig wirken könne, auch nicht, wenn es
in einem Schaufenster ausgestellt sei. Das Kulturniveau
Feuerbachs sei doch wohl ein so hohes, daß er von dem
verdacht gänzlich befreit sein sollte, etwas gemalt zu haben,
was unzüchtig wirken könnte. Die Neue Freie Volksbühne
verfolge ideale Ziele, sie wolle die Kunst unter das Volk
bringen, und es sei ganz ausgeschlossen, daß der Ange-
klagte, der seit über zehn Zähren künstlerischer Beirat des
Vereins sei, subjektiv das Bewußtsein gehabt habe, daß er
mit der Ausstellung dieser guten Reproduktion gegen tz ;8H
desStrafgesetzbuchsverstoße.—verlagsbuchhändlerSpringer
schloß sich dem Vorredner an. Der Angeklagte leite die
Buchhandlung des Vereins ganz im Sinne der idealen
Tendenzen des Vereins, und in der Ausstellung des Feuer-
bachschen Bildes könne keinerlei verstoß gegen diese Ten-
denzen erblickt werden, wer nicht schon grundverdorben
sei, könne beim Anblick dieses Bildes keine anderen Emp-
findungen als künstlerische haben. Der Neuen Freien Volks-
bühne gehören jetzt soooo Mitglieder an.
Sachverständiger Corinth äußerte sich dahin: Er ver-
ehre Feuerbach. Die „Schlummernde Nymphe" sei eins
der schönsten Werke, die er gemalt habe, keusch und herbe.
wenn er einen sinnlichen Eindruck hätte Hervorrufen
wollen, hätte er dem Kopfe eine ganz andere Haltung
geben müssen. Das Bild selbst sei wunderbar, die Repro-
duktion sei gut und künstlerisch und könne die Moral
keines Menschen, auch nicht die eines Minderjährigen, ge-
fährden. — Der Verteidiger wies darauf hin, daß auch
Prof. Liebermann sich in demselben Sinne geäußert
habe. — Staatsanwalt Kiesel verwies bei Begründung
der Anklage auf die Entstehung des tz tLH des Strafgesetz-
buches und meinte, man könne sich in solchen Dingen am
besten ein Urteil bilden, wenn man sich fragt, was würde
der Gesetzgeber, der den Paragraphen geschaffen, zu dem
einzelnen Fall sagen. Der ß ;8H sei aus dem Bestreben
der Volksfürsorge heraus entstanden, und wenn man diese
Fürsorge tadle, so werde man sich dadurch nicht abhallen
lassen, sie ferner durchzuführen, selbst wenn vom Stand-
punkte der Künstler Einwendungen dagegen erhoben wer-
den. Das Volk solle gegen moralische Vergiftung
geschützt werden, und die ganze Sache sei nicht vom
Standpunkt des Künstlers, sondern vom Standpunkt
des Volkes zu entscheiden. Solche Bilder gehören nicht
in die Schaufenster, wo sie von der breiten Masse des
Volkes und der Großstadtjugend gesehen werden, die an
solchen Bildern nicht vorübergehl, sondern sie anstaunt.
Daß das Original im Museum als Kunstwerk steht, sei
hier gar nicht zu erörtern, denn es handle sich gar nicht
um das Kunstwerk im Museum, sondern um eine Repro-
duktion, die im Schaufenster stehe. Aus vielen ergangenen
Urteilen sollte doch schon bekannt sein, daß sich solche Re-
produktion nicht durch Berufung auf das Original schützen
Die Werkstatt der Kunst.
in den Kirchen fast nie, nicht nur wegen der Höhe,
in der sie angebracht sind, sondern weil sie durch
die Jahrhunderte stark verstaubt und verdunkelt oder
durch Restaurationen meist arg verputzt und böse
geflickt zu sein pflegen. Daß die Schützen- und
Negentenstücke in den Rathäusern und Stiftsgebäuden
der Niederlande, daß die Bilder und Wandteppiche
in den Schlössern und Bürgerhäusern in gleicher
weise meist ohne Rücksicht auf ihre künstlerische
Wirkung aufgestellt worden sind, soweit sie nicht in
Kisten und Kasten aufbewahrt wurden, weiß jeder,
der die Geschichte der Kunstdenkmäler kennt und sie
noch heute an Ort und Stelle studiert hat. Selbst
ein Tizian, ein Velasquez mußten sich gefallen lassen,
daß ihre schönsten mythologischen Bilder den Platz
hoch über den Türen der Palastzimmer erhielten;
und die Bilder der Holländer dienten regelmäßig
zum Schmuck der Zimmer, Vorplätze und selbst der
Küchen der Bürgerhäuser, wo die meisten sehr un-
genügendes Licht hatten. Kunstwerke haben nach
unserem modernen Empfinden noch einen anderen,
viel wichtigeren Zweck als den der Dekoration oder
Stimmungsmachung; sie wollen betrachtet und ge-
nossen werden. Der Kunstgenuß ist eine eigene Art
der Andacht, und diese kann am besten in den
Rkuseen verrichtet werden, sobald in ihnen — wie
es in den meisten neueren Rkuseen der Lall ist —
für günstige Räume, gute Beleuchtung und geschmack-
volle Aufstellung gesorgt ist. Zn einzelnen Rkuseen
ist sogar mit Erfolg versucht worden, in gewisser
weise auch für Stimmung durch die Ausstattung
zu sorgen. Daß durch die große Zahl der Kunst-
werke in den öffentlichen Rkuseen leicht eine Ueber-
sättigung herbeigeführt werden kann, daß mancher
Besucher durch das Durchhetzen durch alle Räume
sich nach einem Besuch der Rkuseen ermüdet, statt
gehoben und erbaut fühlt, ist eigene Schuld des
Besuchers. Zedern steht ja frei, sich für jeden Be-
such die Räume, die Kunstwerke auszuwählen, die
er gerade sehen möchte, anderes aber für ein ander-
mal beiseite zu lassen. Um diese Auswahl dem
Laien zu erleichtern, haben wir in unseren Berliner
Russen schon jetzt die Fülle der verschiedenartigen
Kunstwerke auf eine Reihe von Bauten verteilt und
sind im Begriff, dies in den Neubauten noch weiter
durchzuführen, in denen die Gegenstände je nach ihrer
Art und Bedeutung zur Geltung kommen und nicht
nur dem Studium zugänglich gemacht werden sollen,
wenn die gebildeten Berliner sich nur daran gewöhnen
wollten, den Besuch ihrer Ruseen für lohnend und
genußreich zu halten, statt dies ausschließlich ihren
Frauen und Töchtern und den Berichterstattern der
Zeitungen, die sie gerade lesen, zu überlassen!
vertun gslckau
über den „Prozeß wegen Verbreitung unzüch-
tiger Bilder" auf Grund der Ausstellung einer Nach-
bildung der Feuerbachschen „Schlammerden Nymphe"
lesen wir im „Berliner Tageblatt" vom 28. September:
^7
Um das bekannte Bild Feuerbachs „Schlummernde
Nymphe" wurde gestern vor der zehnten Strafkammer
des Landgerichts I unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors
Lilia gestritten, wegen vergehens gegen tz ;8H des Straf-
gesetzbuchs war der Buchhändler Heinrich Wibker, Leiter
der Buchhandlung der Neuen Freien Volksbühne, angeklagt,
weil er die in der Feuerbachnummer der „Zugend" ver-
öffentlichte Reproduktion des Bildes im Schaufenster des
Geschäftslokals in der Köxenicker Straße ausgestellt hatte.
Da ein Anonymus sich in einer Strafanzeige darüber be-
schwert hatte, wurde das Bild, wie wir mitteilten, von
einem Polizeibeamten beschlagnahmt und die Anklage aus
tz ;8H erhoben.
Zum gestrigen Termin hatte der Verteidiger Rechts-
anwalt Lesser den Kunstmaler Lovis Corinth, den Kunst-
schriftsteller Or. Max Deri, der früher Assistent des Ge-
heimrats Bode im Museum war und künstlerischer Beirat
in der Neuen Freien Volksbühne ist, als Sachverständigen
und den Vorsitzenden dieses Vereins, Verlagsbuchhändler
Georg Springer, als Zeugen und Sachverständigen laden
lassen. — Or. Deri erklärte unter anderem, er halte es
für ganz unmöglich, daß die wohlgelungene Reproduktion
dieses Bildes unzüchtig wirken könne, auch nicht, wenn es
in einem Schaufenster ausgestellt sei. Das Kulturniveau
Feuerbachs sei doch wohl ein so hohes, daß er von dem
verdacht gänzlich befreit sein sollte, etwas gemalt zu haben,
was unzüchtig wirken könnte. Die Neue Freie Volksbühne
verfolge ideale Ziele, sie wolle die Kunst unter das Volk
bringen, und es sei ganz ausgeschlossen, daß der Ange-
klagte, der seit über zehn Zähren künstlerischer Beirat des
Vereins sei, subjektiv das Bewußtsein gehabt habe, daß er
mit der Ausstellung dieser guten Reproduktion gegen tz ;8H
desStrafgesetzbuchsverstoße.—verlagsbuchhändlerSpringer
schloß sich dem Vorredner an. Der Angeklagte leite die
Buchhandlung des Vereins ganz im Sinne der idealen
Tendenzen des Vereins, und in der Ausstellung des Feuer-
bachschen Bildes könne keinerlei verstoß gegen diese Ten-
denzen erblickt werden, wer nicht schon grundverdorben
sei, könne beim Anblick dieses Bildes keine anderen Emp-
findungen als künstlerische haben. Der Neuen Freien Volks-
bühne gehören jetzt soooo Mitglieder an.
Sachverständiger Corinth äußerte sich dahin: Er ver-
ehre Feuerbach. Die „Schlummernde Nymphe" sei eins
der schönsten Werke, die er gemalt habe, keusch und herbe.
wenn er einen sinnlichen Eindruck hätte Hervorrufen
wollen, hätte er dem Kopfe eine ganz andere Haltung
geben müssen. Das Bild selbst sei wunderbar, die Repro-
duktion sei gut und künstlerisch und könne die Moral
keines Menschen, auch nicht die eines Minderjährigen, ge-
fährden. — Der Verteidiger wies darauf hin, daß auch
Prof. Liebermann sich in demselben Sinne geäußert
habe. — Staatsanwalt Kiesel verwies bei Begründung
der Anklage auf die Entstehung des tz tLH des Strafgesetz-
buches und meinte, man könne sich in solchen Dingen am
besten ein Urteil bilden, wenn man sich fragt, was würde
der Gesetzgeber, der den Paragraphen geschaffen, zu dem
einzelnen Fall sagen. Der ß ;8H sei aus dem Bestreben
der Volksfürsorge heraus entstanden, und wenn man diese
Fürsorge tadle, so werde man sich dadurch nicht abhallen
lassen, sie ferner durchzuführen, selbst wenn vom Stand-
punkte der Künstler Einwendungen dagegen erhoben wer-
den. Das Volk solle gegen moralische Vergiftung
geschützt werden, und die ganze Sache sei nicht vom
Standpunkt des Künstlers, sondern vom Standpunkt
des Volkes zu entscheiden. Solche Bilder gehören nicht
in die Schaufenster, wo sie von der breiten Masse des
Volkes und der Großstadtjugend gesehen werden, die an
solchen Bildern nicht vorübergehl, sondern sie anstaunt.
Daß das Original im Museum als Kunstwerk steht, sei
hier gar nicht zu erörtern, denn es handle sich gar nicht
um das Kunstwerk im Museum, sondern um eine Repro-
duktion, die im Schaufenster stehe. Aus vielen ergangenen
Urteilen sollte doch schon bekannt sein, daß sich solche Re-
produktion nicht durch Berufung auf das Original schützen