XIII, heft 4.
Die Werkstatt der Kunst.
§5
rote und blaue Striche, Kreise und Quadrate. Inzwischen
heulte draußen das Automobil immer weiter, und da aus
dieses heulen hin ein paar Tagediebe auf der Straße neu-
gierig stehen geblieben waren, beschlossen die Futuristen,
den „Künstlerischen Salon" zu verlaßen und sich der „Menge"
zu zeigen. Mit bemalten Wangen bestieg Herr Larionow
mit zwei Helfershelfern das Auto und ließ sich bis zu der
sehr belebten Schmiedebrücke fahren. Dort stiegen die drei
bunten Männer aus und begannen hin und her zu flanieren.
Lin altes Mütterchen, das sie erblickte, schlug das Kreuz
wie vor leibhaftigen Teufeln; ein alter Bauer aber sagte
so etwas wie „pfui TeufelI" und spuckte aus. . . . Im
übrigen amüsierte sich das Publikum auf der Schmiede-
brücke köstlich. Das schien jedoch den drei Futuristen nicht
zu behagen; sie bestiegen wieder das Auto und fuhren
zum Lafe Filippow auf der Twerskaja, in der Hoffnung,
hier ein kunstverständigeres Publikum vorzufinden. Aber
auch hier wurden ihre Hoffnungen arg enttäuscht. Man
ließ die Gesellschaft zwar ins Laf6 herein, aber Bewun-
derung erregte sie auch hier nicht, sondern wieder nur
Lachen. Lin Stammgast machte den Vorschlag, die drei
Herren möchten noch einen Schritt weiter gehen und sich
zur Vervollständigung ihrer Gesichtslandschaft auch noch
Ringe durch die Nasen ziehen und dann als echte Wilde
statt des Kaffees verdünnte Stiefelwichse trinken. . . . Das
schlug ein: die Futuristen erhoben sich gekränkt von ihren
Sitzen und verließen das unwirtliche Laf6. Einige mein-
ten, um sich in weiser Selbsterkenntnis freiwillig in ein
Irrenhaus zu begeben, andere, um sich tatsächlich einen
Ring durch die Nase zu ziehen. Leider hatte keine von
den beiden Meinungen recht — fürs erste wenigstens noch
nicht. Die drei erzürnten Futuristen verließen das Laf6,
um sich in den „Künstlerischen Salon" zurückzubegeben.
Dort faßten sie mit ihren Gesinnungsgenossen den Plan,
in keinem Falle nachzugeben und das verachtungswürdige
Moskau in den nächsten Tagen mit noch weit besseren
Sachen zu beglücken. Sie beschlossen, bei den nächsten
Spaziergängen erstens weit zahlreicher aufzutreten, zweitens
außer dem Gesicht auch noch die haare, den hals und die
Mhren bunt zu färben! wer einen Bart hat, soll diesen
Bart in Zöpfchen siechten, und wer einen Schnurrbart sein
eigen nennt, hat die eine Hälfte dieses Schnurrbartes ab-
zurasieren; außerdem müssen bunte Seidenstreifen in das
Haupthaar geflochten werden. Endlich soll Moskau dem-
nächst durch ein besonderes futuristisches „Manifest" auf
die kommenden Ereignisse aufmerksam gemacht werden.
— Glückliches Moskau I
Die „vossische Zeitung" berichtet:
Asse Tapirs ch. Unser Madrider Korrespondent
schreibt uns: wie hiesigen Blättern aus Tanger gedrahtet
wird, ist dort am H. Oktober Ios« Tapirs gestorben. Mit
ihm ist ein wahrhaft hervorragender Maler hingegangen,
vor 35 Iahren kam er mit dem berühmten Fortuny zur
Sammlung arabischer Motive nach der marokkanischen
Hafenstadt, und wurde seitdem dort ansässig. Tapirs wird
mit Recht neben Fortuny als der Begründer der spanischen
Aquarellmalerei angesehen. Kurz nach seiner Ankunft in
Tanger kaufte er ein altes Theatergebäude, das er zu
einem großartigen Atelier umgestaltete und äußerlich in
arabischem Stil ausschmückte. Er legte dort nach und nach
ein Museum an, das kostbare Malereien und eine unend-
liche Fülle von orientalischen Geweben, Waffen, Vasen,
Iuwelen und anderen Gegenständen enthält. Das Kunst-
heim Tapiros, gegenüber dem Hotel Oriental gelegen, war
ein obligater Besuchsort aller Tangerreisenden. Tapirs ist
83 Iahre alt geworden. t830 in Reus (Katalonien) ge-
boren, erlernte er seine Kunst in Barcelona unter der
Leitung von Rodas und Lorenzale, und später in Madrid
unter der von Federico Madrazo. Iu internationalen
Kunstausstellungen wurden ihm vielfach hohe Auszeich-
nungen zuteil, und in vielen größeren Museen Europas
und Amerikas sind Gemälde von ihm anzutreffen. Er hat
fast ausschließlich maurische Motive gemalt. In seinen
Werken hat der bunte Rhythmus des nordafrikanischen
Lebens einen reizenden Ausdruck gefunden. Das Begräbnis
des verdienstvollen Künstlers gestaltete sich zu einer impo-
santen Trauerkundgebung. Der spanische Geschäftsführer,
Don Alfonso Taro, leitete sie als Vertreter der Madrider
Regierung, und den Leichenzug bildeten nicht nur Lands-
leute des verstorbenen, sondern auch Angehörige aller aus-
ländischen Kolonien in Tanger.
Im „Berliner Börsen-Lourier" vom 8. Gkt.
lesen wir:
Lin Gyszling-Denknial für Königsberg. Am
heutigen Nachmittag wird in Königsberg — so schreibt
man uns von dort — das schlichte Denkmal eines wür-
digen Volksvertreters feierlich geweiht werden: ein Denk-
stein für den genau vor Iahresfrist verstorbenen Königs-
berger Landtags- und Reichstagsabgeordneten Iustizrat
Robert Gyszling. Der Schöpfer des Monuments, Prof.
Stanislaus Lauer, hat auf dem Erbbegräbnis der
Familie Gyszling auf dem alten reformierten Kirchhof
einen schönen reichgeschmückten Denkstein von kubischer
Form errichtet, der zugleich den praktischen Zweck erfüllen
soll, die Aschenreste des verstorbenen in sich aufzunehmen.
Mit dem Unterbau wirkt das aus schwedischem Muschelkalk
hergestellte Denkmal von ferne wie ein antiker Altar,
während zwei Seitenflächen des Steins nur dekorativ be-
handelt sind, zeigen die beiden anderen sehr schöne Reliefs.
Auf der Stirnseite sieht man einen griechischen Volksmann,
dem ein Repräsentant der Weisheit aus einer Schale zu
trinken gibt, während sich ihm von der anderen Seite eine
als „Gesetz" kenntlich gemachte symbolische Gestalt nähert.
Das zweite Relief zeigt eine mädchenhafte Iustitia mit
Schwert und wage — eine Andeutung des Berufs, den
Gyszling fast ein Menschenalter ausgeübt hat. von den
Inschriften, die das Denkmal zieren, seien erwähnt:
„Robert Gyszling — dem Führer der Fortschritts-
pqrtei Ostpreußens, dem Königsberger Abgeord-
'neten, dem Anwalt des Rechtes und des Volkes"
und „Uns allen gilt sein letztes Wort: Kraft, Einigkeit,
Augenmaß". Die Stifter des in seiner Ausdehnung nur
bescheidenen, in seiner künstlerischen Ausgestaltung aber
wertvollen Grabmonuments sind persönliche und politische
Freunde Gyszlings.
Vermischter Nachrichtenteil.
-j GeplLntzs AussreUnngen -
Berlin. (Baltische Ausstellung Malmö 1914.) Das
Interesse der deutschen Industrie an der nächstjährigen
großen internationalen Ausstellung in Malmö ist erfreu-
licherweise ein sehr großes. Die Anmeldungen sind so
zahlreich eingegangen, daß der deutsche Ausstellungspalast,
der ursprünglich mit ;5 000<qm Größe angenommen war,
entfernt nicht mehr demjBedürfnis genügt, vielmehr erheb-
lich erweitert werden muß. Der deutsche Generalkommifsar
hat daher Erweiterungsbauten von ca. 7000 Hin in Auftrag
gegeben. Um nun aber endgültig disponieren zu können,
ist als Schlußtermin für die Anmeldungen der t5. Ok-
tober d. I- bestimmt worden. Dieser Zeitpunkt muß auch
aus dem Grunde eingehalten werden, damit die vielfachen
Wünsche der Aussteller bei der Platzverteilung berücksichtigt
werden können. Anmeldungen nimmt entgegen und Aus-
künfte erteilt das Deutsche Generalkommissariat in Berlin,
von-der-Heydt-Straße 2.
Magdeburg. Die 3. Magdeburger Kunstschau findet während
der Monate November und Dezember statt. — Ebenso wie
früher gelangen auch diesmal nur eingeladene Werke der
Die Werkstatt der Kunst.
§5
rote und blaue Striche, Kreise und Quadrate. Inzwischen
heulte draußen das Automobil immer weiter, und da aus
dieses heulen hin ein paar Tagediebe auf der Straße neu-
gierig stehen geblieben waren, beschlossen die Futuristen,
den „Künstlerischen Salon" zu verlaßen und sich der „Menge"
zu zeigen. Mit bemalten Wangen bestieg Herr Larionow
mit zwei Helfershelfern das Auto und ließ sich bis zu der
sehr belebten Schmiedebrücke fahren. Dort stiegen die drei
bunten Männer aus und begannen hin und her zu flanieren.
Lin altes Mütterchen, das sie erblickte, schlug das Kreuz
wie vor leibhaftigen Teufeln; ein alter Bauer aber sagte
so etwas wie „pfui TeufelI" und spuckte aus. . . . Im
übrigen amüsierte sich das Publikum auf der Schmiede-
brücke köstlich. Das schien jedoch den drei Futuristen nicht
zu behagen; sie bestiegen wieder das Auto und fuhren
zum Lafe Filippow auf der Twerskaja, in der Hoffnung,
hier ein kunstverständigeres Publikum vorzufinden. Aber
auch hier wurden ihre Hoffnungen arg enttäuscht. Man
ließ die Gesellschaft zwar ins Laf6 herein, aber Bewun-
derung erregte sie auch hier nicht, sondern wieder nur
Lachen. Lin Stammgast machte den Vorschlag, die drei
Herren möchten noch einen Schritt weiter gehen und sich
zur Vervollständigung ihrer Gesichtslandschaft auch noch
Ringe durch die Nasen ziehen und dann als echte Wilde
statt des Kaffees verdünnte Stiefelwichse trinken. . . . Das
schlug ein: die Futuristen erhoben sich gekränkt von ihren
Sitzen und verließen das unwirtliche Laf6. Einige mein-
ten, um sich in weiser Selbsterkenntnis freiwillig in ein
Irrenhaus zu begeben, andere, um sich tatsächlich einen
Ring durch die Nase zu ziehen. Leider hatte keine von
den beiden Meinungen recht — fürs erste wenigstens noch
nicht. Die drei erzürnten Futuristen verließen das Laf6,
um sich in den „Künstlerischen Salon" zurückzubegeben.
Dort faßten sie mit ihren Gesinnungsgenossen den Plan,
in keinem Falle nachzugeben und das verachtungswürdige
Moskau in den nächsten Tagen mit noch weit besseren
Sachen zu beglücken. Sie beschlossen, bei den nächsten
Spaziergängen erstens weit zahlreicher aufzutreten, zweitens
außer dem Gesicht auch noch die haare, den hals und die
Mhren bunt zu färben! wer einen Bart hat, soll diesen
Bart in Zöpfchen siechten, und wer einen Schnurrbart sein
eigen nennt, hat die eine Hälfte dieses Schnurrbartes ab-
zurasieren; außerdem müssen bunte Seidenstreifen in das
Haupthaar geflochten werden. Endlich soll Moskau dem-
nächst durch ein besonderes futuristisches „Manifest" auf
die kommenden Ereignisse aufmerksam gemacht werden.
— Glückliches Moskau I
Die „vossische Zeitung" berichtet:
Asse Tapirs ch. Unser Madrider Korrespondent
schreibt uns: wie hiesigen Blättern aus Tanger gedrahtet
wird, ist dort am H. Oktober Ios« Tapirs gestorben. Mit
ihm ist ein wahrhaft hervorragender Maler hingegangen,
vor 35 Iahren kam er mit dem berühmten Fortuny zur
Sammlung arabischer Motive nach der marokkanischen
Hafenstadt, und wurde seitdem dort ansässig. Tapirs wird
mit Recht neben Fortuny als der Begründer der spanischen
Aquarellmalerei angesehen. Kurz nach seiner Ankunft in
Tanger kaufte er ein altes Theatergebäude, das er zu
einem großartigen Atelier umgestaltete und äußerlich in
arabischem Stil ausschmückte. Er legte dort nach und nach
ein Museum an, das kostbare Malereien und eine unend-
liche Fülle von orientalischen Geweben, Waffen, Vasen,
Iuwelen und anderen Gegenständen enthält. Das Kunst-
heim Tapiros, gegenüber dem Hotel Oriental gelegen, war
ein obligater Besuchsort aller Tangerreisenden. Tapirs ist
83 Iahre alt geworden. t830 in Reus (Katalonien) ge-
boren, erlernte er seine Kunst in Barcelona unter der
Leitung von Rodas und Lorenzale, und später in Madrid
unter der von Federico Madrazo. Iu internationalen
Kunstausstellungen wurden ihm vielfach hohe Auszeich-
nungen zuteil, und in vielen größeren Museen Europas
und Amerikas sind Gemälde von ihm anzutreffen. Er hat
fast ausschließlich maurische Motive gemalt. In seinen
Werken hat der bunte Rhythmus des nordafrikanischen
Lebens einen reizenden Ausdruck gefunden. Das Begräbnis
des verdienstvollen Künstlers gestaltete sich zu einer impo-
santen Trauerkundgebung. Der spanische Geschäftsführer,
Don Alfonso Taro, leitete sie als Vertreter der Madrider
Regierung, und den Leichenzug bildeten nicht nur Lands-
leute des verstorbenen, sondern auch Angehörige aller aus-
ländischen Kolonien in Tanger.
Im „Berliner Börsen-Lourier" vom 8. Gkt.
lesen wir:
Lin Gyszling-Denknial für Königsberg. Am
heutigen Nachmittag wird in Königsberg — so schreibt
man uns von dort — das schlichte Denkmal eines wür-
digen Volksvertreters feierlich geweiht werden: ein Denk-
stein für den genau vor Iahresfrist verstorbenen Königs-
berger Landtags- und Reichstagsabgeordneten Iustizrat
Robert Gyszling. Der Schöpfer des Monuments, Prof.
Stanislaus Lauer, hat auf dem Erbbegräbnis der
Familie Gyszling auf dem alten reformierten Kirchhof
einen schönen reichgeschmückten Denkstein von kubischer
Form errichtet, der zugleich den praktischen Zweck erfüllen
soll, die Aschenreste des verstorbenen in sich aufzunehmen.
Mit dem Unterbau wirkt das aus schwedischem Muschelkalk
hergestellte Denkmal von ferne wie ein antiker Altar,
während zwei Seitenflächen des Steins nur dekorativ be-
handelt sind, zeigen die beiden anderen sehr schöne Reliefs.
Auf der Stirnseite sieht man einen griechischen Volksmann,
dem ein Repräsentant der Weisheit aus einer Schale zu
trinken gibt, während sich ihm von der anderen Seite eine
als „Gesetz" kenntlich gemachte symbolische Gestalt nähert.
Das zweite Relief zeigt eine mädchenhafte Iustitia mit
Schwert und wage — eine Andeutung des Berufs, den
Gyszling fast ein Menschenalter ausgeübt hat. von den
Inschriften, die das Denkmal zieren, seien erwähnt:
„Robert Gyszling — dem Führer der Fortschritts-
pqrtei Ostpreußens, dem Königsberger Abgeord-
'neten, dem Anwalt des Rechtes und des Volkes"
und „Uns allen gilt sein letztes Wort: Kraft, Einigkeit,
Augenmaß". Die Stifter des in seiner Ausdehnung nur
bescheidenen, in seiner künstlerischen Ausgestaltung aber
wertvollen Grabmonuments sind persönliche und politische
Freunde Gyszlings.
Vermischter Nachrichtenteil.
-j GeplLntzs AussreUnngen -
Berlin. (Baltische Ausstellung Malmö 1914.) Das
Interesse der deutschen Industrie an der nächstjährigen
großen internationalen Ausstellung in Malmö ist erfreu-
licherweise ein sehr großes. Die Anmeldungen sind so
zahlreich eingegangen, daß der deutsche Ausstellungspalast,
der ursprünglich mit ;5 000<qm Größe angenommen war,
entfernt nicht mehr demjBedürfnis genügt, vielmehr erheb-
lich erweitert werden muß. Der deutsche Generalkommifsar
hat daher Erweiterungsbauten von ca. 7000 Hin in Auftrag
gegeben. Um nun aber endgültig disponieren zu können,
ist als Schlußtermin für die Anmeldungen der t5. Ok-
tober d. I- bestimmt worden. Dieser Zeitpunkt muß auch
aus dem Grunde eingehalten werden, damit die vielfachen
Wünsche der Aussteller bei der Platzverteilung berücksichtigt
werden können. Anmeldungen nimmt entgegen und Aus-
künfte erteilt das Deutsche Generalkommissariat in Berlin,
von-der-Heydt-Straße 2.
Magdeburg. Die 3. Magdeburger Kunstschau findet während
der Monate November und Dezember statt. — Ebenso wie
früher gelangen auch diesmal nur eingeladene Werke der