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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 13.1913/​1914

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Baer, Fritz: Unzüchtige Postkarten
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M
ist bis auf weniges die Summe von 150000 Ntk.
erreicht, mit welcher die Gründung zu erfolgen hat.
Um dem Unternehmen aber für alle Zeiten eine
sichere Basis zu schaffen, sollen auch nach der Grün-
dung noch weitere Geldmittel aufgebracht werden,
wir bitten, sich wegen der Zeichenscheine und jeder
weiteren Auskunft an den Geschäftsführer der G. m.

XIII, Heft 15.
b. H., Herrn Direktor Niese, Steglitz, Ahornstr. 8,
wenden zu wollen.
Die Gründung erfolgt Mitte Januar 191H.
Allgemeine Deutsche Aunstgensssenschast.
Der Hauptausschuß.
?rok. I^ucl^i^ ^lLN2eI, William
I. Vorsitzender. II. Vorsitzender.

Die Werkstatt der Kunst.

Redaktioneller Teil.
Nnziicktig« Postkarten
von Fritz Baer

Unter dieser Ueberschrift hat Herr Max Schlichtung
in den vorliegenden Blättern einen Artikel veröffentlicht,
der zur Erwiderung anreizt. Die hier geäußerten Ansichten
weichen gewiß vielfach von den in Künstlerkreisen ver-
breiteten Ansichten ab, und die ganze Frage, die immer
und immer wieder nicht nur Polizei und Gerichte, sondern
auch die Geschäftswelt und die Künstlerschaft bewegt, ist
wohl einer eingehenden Besprechung wert.
Zunächst fällt an dem Gang des Prozesses gegen
die Neue Photographische Gesellschaft als sehr merkwürdig
auf die Ablehnung der Vernehmung hervorragender
Bildhauer als Sachverständiger. Im Urteil ist dies
damit begründet, daß der Augenschein lehre, daß auf den
fraglichen Postkarten männliche und weibliche nackte Körper
durch photographische Wiedergabe bekannter Kunstwerke
dargestellt seien. Aus diesem Grunde konnte nach der
Urteilsbegründung von der Vernehmung der Künstler
Schaper, Brütt und Herter Abstand genommen werden.
Ja, um das dem Gerichte zu sagen, waren doch die Herren
gewiß nicht vor das Forum gebeten worden. Sie sollten
ihre Meinung zur eigentlichen Klage äußern und
dem Gerichte ihre Gedanken über sog. unzüchtige Post-
karten vortragen. Allein das Gericht wußte wohl im
voraus, wie diese Meinung lauten würde und wollte
sich in seinen Kreisen nicht stören lassen. In anderen
derartigen Prozessen hat man es wohl für angänglich, ja
erforderlich gehalten, Künstler zu hören. So war es freilich
viel einfacher, wie aber, wenn tatsächlich einer der Herren
das Gericht in seiner Anschauung unterstützt hätte? Das
war doch nicht ausgeschlossen, und um diese Bekräftigung
seiner Anschauung hat sich das Gericht selbst gebracht. Es
lag freilich auch eine Reichsgerichtsentscheidung vor,
über die man nicht hinaus konnte. Leider! Demnach ist
der Stein des Anstoßes eben die Reichsgerichtsentscheidung,
die ich nicht kenne. Sie steht aber jedenfalls in ihren
Gründen auf dem gleichen Boden. Wir werden demnach
in Deutschland einer anderen Gerichtsentscheidung nicht
mehr begegnen können. Darum sind Sachverständige nun
ganz überflüssig, aber die öffentliche Meinung darf sich
wohl noch rühren.
Was wohl eine Volksabstimmung über die hier ein-
schlägigen Fragen für ein Resultat hätte? Man fragt
aber das Volk nicht. Ls wäre ja auch in diesem Falle
Partei, denn es will nackte männliche und weibliche
Körper auf Postkarten sehen. O dieses grundverderbte
Volk! Da muß schon Gericht und Polizei her, um dieses
schlechte Volk zu verbessern und die Gefahren, die
seine Sittlichkeit bedrohen, aus dem Wege räumen. Nur
schade, daß der Arm der Obrigkeit so kurz ist und tausend
andere Fälle, wo tatsächlich die Sittlichkeit bedroht wird,
nicht fassen kann. Gott sei Dank aber, daß er wenigstens so
kurz ist und nicht an die Galerien und an die Originale
heran kann!
Nach meinem Gefühl gibt es viel weniger harmlose
Postkarten, als die beschlagnahmten, das sind die viel-
fachen Geschmacklosigkeiten, die da erscheinen, und die
mit unserem ästhetisch noch recht wenig entwickelten Publi-

kum rechnen. Aber dagegen gibt es kein Gericht, die
müßte der öffentliche Geschmack von sich aus ablehnen,
wenn aber anerkannte Kunstwerke, die großenteils der
Geffentlichkeit gehören, auf Postkarten wiedergegeben wer-
den, so ist das ja auch oft nicht besonders geschmackvoll,
aber wie das die Sittlichkeit untergraben soll, ist unver-
ständlich. Dort stehen die Originale, die von jedermann
gesehen werden können, ja gesehen werden sollen, und der
Staat und das Gericht lassen sie ruhig stehen. Und wenn
sie dann reproduziert werden, dann fährt man drein!
Die Frage spitzt sich nicht, wie Herr Schlichting meint,
dahin zu: wie ist der Gebrauch einer Bildpostkarte in der
Regel? Der Gebrauch ist ganz gleichgültig und kann
einem richterlichen Urteil nicht zugrunde liegen, höchstens
einer Polizeimaßregel, und wenn das gerichtliche Urteil
damit begründet wird, sinkt es zu einer Polizeimaßregel
herab.
Nein, die Frage spitzt sich dahin zu und ist auch irr
dem Urteil dahin zugespitzt: Ist es möglich, daß die
Wiedergabe eines voll st ändigreinenKun st Werkes
lediglich durch die Verbreitung als unzüchtig dem
Gericht und der Konfiskation verfällt? Oder wie
das im Urteil gefaßt ist: Kann die Frage dahin stehen, „ob
die vorliegenden Abbildungen durch irgendwelche besonderen
Umstände zu unzüchtigen im Sinne des Gesetzes geworden
sind"? Mit noch anderen Worten: Ist der Gedanke zu-
lässig, daß die Unzüchtigkeit erst durch die Verbreitung
entsteht?
Es ist im Urteil von einer sog. „relativen Un-
züchtigkeit" die Rede. Dieser Ausdruck kommt in dem
ß des Strafgesetzbuchs, auf den sich das Urteil stützt,
nicht vor, dort wird lediglich von „unzüchtigen Abbil-
dungen" gesprochen. Der Begriff „relative Unzüchtigkeit"
ist demnach eine Iuristenschöxfung außerhalb des Rahmens
des Gesetzes. Ls besteht aber auch gar kein Grund, diesen
Begriff in das Gesetz hineinzuinterpretieren. Hätte der
Gesetzgeber ihn schaffen wollen, so hätte er es getan. Das
Gericht brauchte ihn aber, um seine Anschauung zu stützen,
rein rechtlich zu stützen, und hat so den Umfang der Straf-
barkeit in ungesetzlicher weise erweitert. Ls muß
zur Strafbarkeit eine absolute und nicht eine relative
Unzüchtigkeit vorhanden sein. Mit dem Ausdruck „relative
Unzüchtigkeit" ist natürlich gemeint, daß eine Abbildung
je nach Ort und Zeit ihres Erscheinens, je nach den Um-
ständen ihrer Verbreitung den Stempel der Unzüchtigkeit
erst gewinnen könne, den sie an sich und aus der Absicht
ihrer Herstellung heraus gar nicht habe. Nur insofern
läßt sich der Begriff einer „relativen Unzüchtigkeit" halten,
als der Gesetzgeber nur eine öffentliche Unzüchtigkeit
unter Strafe stellt, wie dies in ß t83 für Handlungen
direkt ausgesprochen ist und für Abbildungen im H t8H
darin zum Ausdruck kommt, daß sie verkauft, verteilt oder
sonst verbreitet werden müssen. Es müssen aber immer
bereits unzüchtige Abbildungen sein. Daß sie's
erst durch die Verbreitung werden können, davon steht im
Gesetze rein nichts, und dem Gerichte steht es nicht zu„
ein neues Gesetz zu schaffen.
 
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