XIII, Hest 45.
Die Werkstatt der Runst.
Ls ist demnach ganz unbegreiflich, wie Abbildungen,
noch dazu von anerkannten Kunstwerken, auf einmal als
unzüchtig strafbar sein sollen. Sind die Originale nicht
obszön, so sind es auch die Reproduktionen nicht. Ls wird
wohl niemand etwas dagegen einwenden, daß Abbildungen
von wirklich obszönen Originalen nicht verbreitet werden
dürfen. Aber die Originale, um die es sich hier handelt,
sind auch vom Gerichte nicht als obszön charakterisiert.
Die merkwürdige Logik des Urteils bringt es fertig, zu
beweisen, daß auch nichtobszöne Abbildungen ob-
szöne Wirkungen haben können. Und weil nun die
Abbildungen nicht dran schuld sind, so ist das Volk dran
schuld, und weil man das Volk in seiner Gesamtheit nicht
strafen kann, so werden die harmlosen Abbildungen ge-
straft. Das Volk, das abscheuliche Volk, sieht in ihnen
etwas, das gar nicht darinnen ist. Das Volk hat kein
Kunstverständnis und sieht in ihnen nur nackte Körper.
Die aber darf und soll das Volk nicht sehen, denn die
Nacktheit ist Unzüchtigkeit auch im Bilde. So wenig ein
nackter Mensch auf der Straße gehen darf, so wenig darf
er im Laden an der Straße gesehen werden, wenn es auch
hundertmal keine Naturnachbildung, sondern die Repro-
duktion eines meisterhaften und edlen Kunstwerks ist. Das
ist der Schluß der gerichtlichen Logik.
Die richtige Logik wäre die: Obszöne Abbildungen
liegen nicht vor, der Verbreitung anderer Abbildungen
aber kann von Gerichts wegen nichts in den weg gestellt
werden. Mit dieser einfachen juristischen und menschlichen
Logik hätte das Gericht seinen Zweck nicht erreicht.
Denn es wollte doch ein wenig Seelsorger spielen und dem
gemein-sinnlichen Volk und der auf diese gemeine Sinn-
lichkeit spekulierenden Industrie eine Lehre erteilen. Nach
seiner Meinung werden ja beim Volke nur gemein-sinn-
liche Gedanken und Gefühle durch solche Abbildungen aus-
gelöst.
Gibt es aber nicht auch eine vollkommen berech-
tigte Sinnlichkeit? Ls ist freilich eine recht schwan-
kende Sache, wo die berechtigte Sinnlichkeit aufhört und
die gemeine anfängt. Aber jede Sinnlichkeit verdammen,
ist durchaus verkehrt. Darum schießt das Urteil vollständig
übers Ziel hinaus. Ls läßt auch die berechtigte Sinnlich-
keit, die berechtigte Freude an dem schönen menschlichen
Körper nicht gelten. Und hier kommen wir auf den
wundesten Punkt der gerichtlichen Anschauung. Für
sie ist jede Sinnlichkeit eine Gemeinheit. Aber wie grund-
falsch ist das! Ist der Mensch nicht ein sinnliches Wesen?
Ist er nichts als eine traurige Verstandesmaschine, ein
Kompendium trocken-moralischer Logik? Ist er nicht
Fleisch und Blut, hat er nicht seinen Leib, der ein Er-
zeugnis wenn auch noch so veredelter Sinnlichkeit ist?
Sinnlichkeit bewegt die Welt und hält sie in Atem, Sinn-
lichkeit schafft Kultur, schafft Kunst. Geht zurück in die
Geschichte der Menschheit, auf allen ihren Blättern findet
ihr die Dokumente des Sinnenlebens, ja selbst ihre Götter
muß sich die Menschheit versinnlichen, und jeder Religions-
kultus hat die Sinnlichkeit in feine Dienste genommen.
Sie ist ein Teil des gesunden Menschen und soll und darf
nicht verkümmert werden. Krankhaft und verkehrt ist
jener Puritanismus und jene Askese, die jede Regung der
Sinnlichkeit für sündhaft und verdammenswert hält.
Naturum expellas lurca, tarnen us^ue recurret. Sie
wird immer wieder da sein und wenn ihr die Hände noch
so verzweifelt über den Koxf zufammenfchlagt und noch
so grimmig dreinfahrt mit dem olympischen Dreizack der
Polizei. Unterdrückte Sinnlichkeit hat sich noch immer ge-
rächt. Offen und frei müssen wir sie anerkennen und ihr
ihr Recht lassen. Oder sollte der Mensch wirklich von
Natur schlecht und verderbt sein, also daß man ihn erst
von Obrigkeits wegen umschaffen muß? Nein, all die
Triebe, die er besitzt, sind notwendig und zweckmäßig und
machen in ihrer Gesamtheit erst den Menschen zu dem,
was er ist und sein soll. Habt ihr aus einem Menschen
einen Asketen und Mönch gemacht, so sind im gleichen
Augenblick zehn andre da, die euer spotten.
Also laßt uns die Freude an den Schönheiten, ja
Herrlichkeiten des Menschenleibes, wie er geschaffen ist mit
allem Drum und Dran und macht euch nicht lächerlich mit
den Feigenblättern solcher Urteile! Und legt nicht eure
Stirn in Falten, wenn sich diese Freude auch im halb-
wüchsigen Jungen regt, und wenn er vor der Venus von
Milo steht und noch was andres drin sieht, als bloß ein
Kunstwerk, so lächelt verständnisvoll und denkt, die Natur
weiß, warum sie das in den Menschen gelegt hat. Ihr
habt es selber genau ebenso gemacht.
Dies ganze natürliche Wesen wird erst vergiftet
durch Geheimniskrämerei, und ein furchtbarer Fehler
ist es von Seite der Litern, Lehrer und der Obrigkeit,
jede sinnliche Regung als sündhaft und strafbar hinzu-
stellen. Der Mensch, auch der Heranwachsende, hat doch
sein Gewissen, das ihn, sofern er anders gesund ist,
warnt, wenn er auf Abwege zu geraten in Gefahr ist.
Darum schärft ihm das Gewissen im allgemeinen durch
gute Erziehung und macht ihn auf Abwege aufmerksam.
Lin gesundes Volk, das in Freiheit erzogen und nicht
mönchisch verdorben ist, wird schon fertig mit seiner Sinn-
lichkeit. was man alle Tage zu sehen gewohnt ist, ver-
liert seine Wirkung, und ich behaupte, es gibt kein besseres
Mittel, die Sinnlichkeit auf reine Wege zu leiten, als in-
dem man den nackten Körper recht fleißig und
recht unbefangen vor Augen führt. Darum heraus
mit den Postkarten, legt alle Ladenfenster voll, und ihr
werdet sehen, ihre rein sinnliche oder gar verderbliche
Wirkung ist dahin. Und dann werden die künstlerischen
«Dualitäten erst zu wirken anfangen.
Man lasse doch in der Erziehung des Volkes
auch die Künstler zu Wort kommen! In ihnen ist
die veredelte Sinnlichkeit so stark geworden, daß sie zum
Ausdruck drängt, und ihre Werke find dieser Ausdruck.
Sie find ein Beweis, wie Sinnlichkeit, von geistiger Arbeit
durchdrungen, der edelste Teil des Menschen werden kann.
Der alte Grieche war ein Kulturmensch, weil ihm ver-
edelte Sinnlichkeit der Mittelpunkt seines Wesens geworden
war. Mit aller unsrer Wissenschaft und Technik kommen
wir zu keiner Kultur, die kann allein der Künstler bringen.
Darum ehrt eure deutschen Meister, statt ihnen
das Handwerk zu legen durch Polizei und
Gerichte!
Und noch eins! Fühlt man denn nicht, welche Be-
leidigung für einen Künstler darin liegt, daß man die
Arbeit seines Geistes und seiner Hände zu einem porno-
graphischen Machwerk stempelt? Und das geschieht, wenn
man ihm sagt: deine Arbeit darf nicht vervielfältigt wer-
den, denn du verdirbst durch sie das Volk!
Ls ließe sich noch gar vieles über diese Dinge sagen,
aber ich eile zum Schluß. Das Urteil des Landgerichts I
Berlin und seine Begründung hat nicht nur wegen seiner
merkwürdigen Logik, sondern namentlich wegen seines
innersten Kerns so gewaltiges Kopfschütteln erregt. Ls
beweist, daß auch unsere Gerichte noch weit entfernt sind
von einer gesunden Anschauung, und das sie nur die ängst-
liche Verpflichtung fühlen, das nach ihrer Ansicht verdorbene
Volk auf ihre weise besser zu machen. Dabei schaden
sie der Kunst, der Industrie und der Seele des
Volkes.
Ferner schreibt Herr Friedrich O. Wolter, Inhaber
des bekannten Berliner Kunstverlages, folgendes:
Die Ausführungen des Herrn Max Schlichting in
Ihrem geschätzten Blatte möchte ich auch nicht unwider-
sprochen lassen.
Bekanntlich sind eine ganze Reihe von Postkarten-
darstellungen nach Kunstwerken bekannter Bildhauer (z. B.
Begas, Geyger, Lexcke, Klimsch u. a.) rechtskräftig für
„unzüchtig" erklärt und ihre Verbreiter bestraft worden.
Ls dürfte auch dem Künstler unangenehm sein, wenn ge-
richtlich festgestellt wird, daß sein Kunstwerk auf Postkarten
gebracht, unzüchtig wirkt. In meinem Falle handelt es
Die Werkstatt der Runst.
Ls ist demnach ganz unbegreiflich, wie Abbildungen,
noch dazu von anerkannten Kunstwerken, auf einmal als
unzüchtig strafbar sein sollen. Sind die Originale nicht
obszön, so sind es auch die Reproduktionen nicht. Ls wird
wohl niemand etwas dagegen einwenden, daß Abbildungen
von wirklich obszönen Originalen nicht verbreitet werden
dürfen. Aber die Originale, um die es sich hier handelt,
sind auch vom Gerichte nicht als obszön charakterisiert.
Die merkwürdige Logik des Urteils bringt es fertig, zu
beweisen, daß auch nichtobszöne Abbildungen ob-
szöne Wirkungen haben können. Und weil nun die
Abbildungen nicht dran schuld sind, so ist das Volk dran
schuld, und weil man das Volk in seiner Gesamtheit nicht
strafen kann, so werden die harmlosen Abbildungen ge-
straft. Das Volk, das abscheuliche Volk, sieht in ihnen
etwas, das gar nicht darinnen ist. Das Volk hat kein
Kunstverständnis und sieht in ihnen nur nackte Körper.
Die aber darf und soll das Volk nicht sehen, denn die
Nacktheit ist Unzüchtigkeit auch im Bilde. So wenig ein
nackter Mensch auf der Straße gehen darf, so wenig darf
er im Laden an der Straße gesehen werden, wenn es auch
hundertmal keine Naturnachbildung, sondern die Repro-
duktion eines meisterhaften und edlen Kunstwerks ist. Das
ist der Schluß der gerichtlichen Logik.
Die richtige Logik wäre die: Obszöne Abbildungen
liegen nicht vor, der Verbreitung anderer Abbildungen
aber kann von Gerichts wegen nichts in den weg gestellt
werden. Mit dieser einfachen juristischen und menschlichen
Logik hätte das Gericht seinen Zweck nicht erreicht.
Denn es wollte doch ein wenig Seelsorger spielen und dem
gemein-sinnlichen Volk und der auf diese gemeine Sinn-
lichkeit spekulierenden Industrie eine Lehre erteilen. Nach
seiner Meinung werden ja beim Volke nur gemein-sinn-
liche Gedanken und Gefühle durch solche Abbildungen aus-
gelöst.
Gibt es aber nicht auch eine vollkommen berech-
tigte Sinnlichkeit? Ls ist freilich eine recht schwan-
kende Sache, wo die berechtigte Sinnlichkeit aufhört und
die gemeine anfängt. Aber jede Sinnlichkeit verdammen,
ist durchaus verkehrt. Darum schießt das Urteil vollständig
übers Ziel hinaus. Ls läßt auch die berechtigte Sinnlich-
keit, die berechtigte Freude an dem schönen menschlichen
Körper nicht gelten. Und hier kommen wir auf den
wundesten Punkt der gerichtlichen Anschauung. Für
sie ist jede Sinnlichkeit eine Gemeinheit. Aber wie grund-
falsch ist das! Ist der Mensch nicht ein sinnliches Wesen?
Ist er nichts als eine traurige Verstandesmaschine, ein
Kompendium trocken-moralischer Logik? Ist er nicht
Fleisch und Blut, hat er nicht seinen Leib, der ein Er-
zeugnis wenn auch noch so veredelter Sinnlichkeit ist?
Sinnlichkeit bewegt die Welt und hält sie in Atem, Sinn-
lichkeit schafft Kultur, schafft Kunst. Geht zurück in die
Geschichte der Menschheit, auf allen ihren Blättern findet
ihr die Dokumente des Sinnenlebens, ja selbst ihre Götter
muß sich die Menschheit versinnlichen, und jeder Religions-
kultus hat die Sinnlichkeit in feine Dienste genommen.
Sie ist ein Teil des gesunden Menschen und soll und darf
nicht verkümmert werden. Krankhaft und verkehrt ist
jener Puritanismus und jene Askese, die jede Regung der
Sinnlichkeit für sündhaft und verdammenswert hält.
Naturum expellas lurca, tarnen us^ue recurret. Sie
wird immer wieder da sein und wenn ihr die Hände noch
so verzweifelt über den Koxf zufammenfchlagt und noch
so grimmig dreinfahrt mit dem olympischen Dreizack der
Polizei. Unterdrückte Sinnlichkeit hat sich noch immer ge-
rächt. Offen und frei müssen wir sie anerkennen und ihr
ihr Recht lassen. Oder sollte der Mensch wirklich von
Natur schlecht und verderbt sein, also daß man ihn erst
von Obrigkeits wegen umschaffen muß? Nein, all die
Triebe, die er besitzt, sind notwendig und zweckmäßig und
machen in ihrer Gesamtheit erst den Menschen zu dem,
was er ist und sein soll. Habt ihr aus einem Menschen
einen Asketen und Mönch gemacht, so sind im gleichen
Augenblick zehn andre da, die euer spotten.
Also laßt uns die Freude an den Schönheiten, ja
Herrlichkeiten des Menschenleibes, wie er geschaffen ist mit
allem Drum und Dran und macht euch nicht lächerlich mit
den Feigenblättern solcher Urteile! Und legt nicht eure
Stirn in Falten, wenn sich diese Freude auch im halb-
wüchsigen Jungen regt, und wenn er vor der Venus von
Milo steht und noch was andres drin sieht, als bloß ein
Kunstwerk, so lächelt verständnisvoll und denkt, die Natur
weiß, warum sie das in den Menschen gelegt hat. Ihr
habt es selber genau ebenso gemacht.
Dies ganze natürliche Wesen wird erst vergiftet
durch Geheimniskrämerei, und ein furchtbarer Fehler
ist es von Seite der Litern, Lehrer und der Obrigkeit,
jede sinnliche Regung als sündhaft und strafbar hinzu-
stellen. Der Mensch, auch der Heranwachsende, hat doch
sein Gewissen, das ihn, sofern er anders gesund ist,
warnt, wenn er auf Abwege zu geraten in Gefahr ist.
Darum schärft ihm das Gewissen im allgemeinen durch
gute Erziehung und macht ihn auf Abwege aufmerksam.
Lin gesundes Volk, das in Freiheit erzogen und nicht
mönchisch verdorben ist, wird schon fertig mit seiner Sinn-
lichkeit. was man alle Tage zu sehen gewohnt ist, ver-
liert seine Wirkung, und ich behaupte, es gibt kein besseres
Mittel, die Sinnlichkeit auf reine Wege zu leiten, als in-
dem man den nackten Körper recht fleißig und
recht unbefangen vor Augen führt. Darum heraus
mit den Postkarten, legt alle Ladenfenster voll, und ihr
werdet sehen, ihre rein sinnliche oder gar verderbliche
Wirkung ist dahin. Und dann werden die künstlerischen
«Dualitäten erst zu wirken anfangen.
Man lasse doch in der Erziehung des Volkes
auch die Künstler zu Wort kommen! In ihnen ist
die veredelte Sinnlichkeit so stark geworden, daß sie zum
Ausdruck drängt, und ihre Werke find dieser Ausdruck.
Sie find ein Beweis, wie Sinnlichkeit, von geistiger Arbeit
durchdrungen, der edelste Teil des Menschen werden kann.
Der alte Grieche war ein Kulturmensch, weil ihm ver-
edelte Sinnlichkeit der Mittelpunkt seines Wesens geworden
war. Mit aller unsrer Wissenschaft und Technik kommen
wir zu keiner Kultur, die kann allein der Künstler bringen.
Darum ehrt eure deutschen Meister, statt ihnen
das Handwerk zu legen durch Polizei und
Gerichte!
Und noch eins! Fühlt man denn nicht, welche Be-
leidigung für einen Künstler darin liegt, daß man die
Arbeit seines Geistes und seiner Hände zu einem porno-
graphischen Machwerk stempelt? Und das geschieht, wenn
man ihm sagt: deine Arbeit darf nicht vervielfältigt wer-
den, denn du verdirbst durch sie das Volk!
Ls ließe sich noch gar vieles über diese Dinge sagen,
aber ich eile zum Schluß. Das Urteil des Landgerichts I
Berlin und seine Begründung hat nicht nur wegen seiner
merkwürdigen Logik, sondern namentlich wegen seines
innersten Kerns so gewaltiges Kopfschütteln erregt. Ls
beweist, daß auch unsere Gerichte noch weit entfernt sind
von einer gesunden Anschauung, und das sie nur die ängst-
liche Verpflichtung fühlen, das nach ihrer Ansicht verdorbene
Volk auf ihre weise besser zu machen. Dabei schaden
sie der Kunst, der Industrie und der Seele des
Volkes.
Ferner schreibt Herr Friedrich O. Wolter, Inhaber
des bekannten Berliner Kunstverlages, folgendes:
Die Ausführungen des Herrn Max Schlichting in
Ihrem geschätzten Blatte möchte ich auch nicht unwider-
sprochen lassen.
Bekanntlich sind eine ganze Reihe von Postkarten-
darstellungen nach Kunstwerken bekannter Bildhauer (z. B.
Begas, Geyger, Lexcke, Klimsch u. a.) rechtskräftig für
„unzüchtig" erklärt und ihre Verbreiter bestraft worden.
Ls dürfte auch dem Künstler unangenehm sein, wenn ge-
richtlich festgestellt wird, daß sein Kunstwerk auf Postkarten
gebracht, unzüchtig wirkt. In meinem Falle handelt es