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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 13.1913/​1914

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Baer, Fritz: Unzüchtige Postkarten
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https://doi.org/10.11588/diglit.53853#0212

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Die Werkstatt der Kunst.

XIII, Heft 15.

sich um Postkarten nach Kunstwerken, welche saft alle auf
der Großen Berliner Kunstausstellung ausgestellt waren,
goldene Medaillen erhalten haben, von Königlichen Galerien
angekaust wurden, viele der Werke befinden sich auch aus
öffentlichen Straßen und Plätzen. Andere wurden von
hochgestellten Persönlichkeiten wie dem Kaiser und Exzellenz
von Mirbach angekauft.
Auf der einen Seite erhalte ich wegen dieser „hoch-
künstlerischen" und „mit gutem Geschmack ausgewählten"
Skulpturenpostkarten, lobende Anerkennungen von Pro-
fessoren, Rektoren, Lehrern und Aerzten. Unter anderen
schreibt ein Königlich preußischer Ortsschulinspektor und
Direktor einer höheren Mädchenschule, daß sich meine Post-
karten „recht gut zu Unterrichtszwecken" eignen. Höhere
Schulen beziehen ganze Posten dieser Karten, um sie zu
Unterrichtszwecken zu verwenden.
Auf der anderen Seite werden Kunstverleger und
Kunsthändler wie die ärgsten Verbrecher behandelt. Die
edle Kunst wird nämlich in Deutschland nach dem Unzuchts-
paragraphen, tz R.St.G. abgeurteilt. Linen anderen
Paragraphen gibt es in diesem veralteten Strafgesetzbuch
hierfür nicht. Im Sinne dieses Gesetzes haben wir. uns
der „Verbreitung unzüchtiger Abbildungen" schuldig gemacht.
Zu bestrafen mit „Gefängnis bis zu einem Jahr oder Geld-
strafe bis zu tausend Mark, nebenbei Verlust der bürger-
lichen Ehrenrechte und Stellung unter Polizeiaufsicht".
Schon die polizeiliche Vorvernehmung, wobei der Ange-
klagte Namen und Adresse seiner Litern und ferner an-
geben muß, wieviel Kinder er hat usw., zeugt von der
Schwere des verbrechens, das man begangen hat. Auf
dem Kriminalgericht muß man auf der Anklagebank Platz
nehmen, auf der vielleicht kurz vorher der schwerste Ver-
brecher saß, der mit Zuchthaus bestraft wurde. Es ist
für einen bisher unbescholtenen Mann gerade nicht schmeichel-
haft „wegen Verbreitung unzüchtiger Abbildungen vorbe-
straft" zu sein. Nun, meine Herren Künstler, wenn Sie
uns nicht jetzt in unseren Bestrebungen zur Abänderung
eines solchen Gesetzes behilflich sind, werden sie sehr bald
auch in unsere Lage kommen! Die Verfahren richten sich
durchaus nicht nur gegen die Postkarten, wegen des
Kunstblattes „Phantasie" von Fritz Klimsch wurde bereits
ein Münchener Kunsthändler bestraft. Ebenso wurden wegen
des Kunstblattes „Leda" und wegen einzelner Sonder-
drucke der „Jugend" Charlottenburger Kunsthändler ver-
urteilt. Die Wiedergabe der Nymphe von Feuerbach wird
dieser Tage in Moabit behandelt. Vor zirka drei Jahren
fing man an, mit dem pariser „Salon" aufzuräumen,
wenn wir damit fertig sind, sagte man mir auf dem
Berliner Polizeipräsidium, „kommen wir zu Ihnen"! Jetzt
ist man mit den Postkarten ziemlich „fertig" und man
geht schon daran, die Kunstblätter zu beschlagnahmen.
Ich gebe Ihnen die Versicherung, wenn man damit fertig
ist, kommen die Originale an die Reihe. Ls fehlt bereits
nicht an Stimmen, die das Aufstellen nackter Kunstwerke
in den Städten verurteilen. Tatsächlich hat man auch
bereits in Potsdam die Gruppe „Adam und Eva" vor der
neuen Badeanstalt entfernt, weil sie „Anstoß erregt" hat.
Professor Janssen wird seinem „Siegsried" eine Badehose
anziehen müssen und bei dem auf Befehl des Kaisers in
Sanssouci aufgestellten „Bogenschützen" von L. M. Geyger
wird dies sicher auch noch erforderlich werden. Nach dem
mir vorliegenden Gutachten eines Volksschulrektors wirken
nämlich die Reproduktionen auf Postkarten „nicht so sinnen-
erregend" wie die Griginalkunstwerke. Durch die Photo-
graphie, sagt er, werden gewisse Schärfen gemildert.
Ich selbst kann auch nicht einsehen, daß beim Anblick
von Postkarten, die ein den nackten menschlichen Körper
wiedergebendes Kunstwerk zeigen, die „bestimmten Instinkte"
wie sich der Herr Linsender auszudrücken beliebt, mehr
entfacht werden können als beim Anblick eines Original-

werkes. Während des zehnjährigen Bestehens meines Ge-
schäftes ist mir nicht ein Fall einer mißbräuchlichen Be-
nutzung von Kunstpostkarten bekannt geworden. In Barbier-
und Seifenläden oder Restaurants habe ich noch nie eine
meiner Skulpturenpostkarten gesehen. Ich bin aber auch
der Ansicht, daß halbwüchsige Jungen sich über den Markt-
brunnen von Professor Berwald in Schwerin oder über
Fischers „Badende" in Dresden ebenso Zoten zuflüstern
können wie über deren Postkartenreproduktionen.
Interessant ist es, was im Münchener Männerverein
zur Bekämpfung der Unsittlichkeit Herr Privatdozent vr. Popp
über Nacktdarstellungen fagt. Er führt unter anderem
wörtlich aus:
„Das beste Kampfmittel ist die richtige, sittliche Er-
ziehung im Sinne einer gesunden Gewöhnung an das
Nackte und im Sinne einer gewissen Abhärtung. Das
zweite Mittel ist, das Volk und die Kinder in der Kunst
zu erziehen, sie durch die edlen Kunstwerke zu bilden, ver-
trauen zur unverdorbenen Natur zu haben." Also sogar
diese Herren stellen sich auf einen anderen Standpunkt wie
die Behörden.
Skulpturenkunstblätter sind in Schulen eingeführt, die
höheren Klaffen der Mädchenschulen werden in die Museen
geführt, damit die Kinder lernen, die Kunstwerke unbe-
fangen zu betrachten Auf einen gesunden Menschen kann
das längere Anschauen des von Künstlerhand nachgebildeten
schönen menschlichen Körpers nur veredelnd wirken. Gerade
die Postkarte aber ermöglicht es, für billiges Geld die
Kenntnis solcher Kunstwerke den weitesten Volkskreisen zu
vermitteln.
Wer auf die „bestimmten Instinkte" des Volkes rech-
net, dürfte sich recht verspekuliert haben. Leute mit der-
artiger Veranlagung gibt es sehr wenig.
Postkarten mit Nacktdarstellungen nach Gemälden
werden sehr wenig gekauft. Hier werden Landschaften
und Szenendarstellungen bevorzugt. Anders ist es bei der
Plastik. Der nackte menschliche Körper eignet sich nun
einmal am besten für die Plastik. Ls ist doch ganz ver-
ständlich, daß die Künstler das Schönste, die Krone der
Schöpfung, zum Gegenstand ihrer Werke machen.
Der Herr Minister für geistliche-, Unterrichts und
Medizinalangelegenheiten eröffnet in jedem Jahre die
Große Berliner Kunstausstellung, ein Ministerialrat ist
Mitglied der Jury. Man sollte doch annehmen, daß sich
in dieser Ausstellung Werke befinden, gegen die, selbst
wenn auf Postkarten wiedergegeben werden, in sittlicher
Beziehung nichts einzuwenden ist.
Line Aenderung des Gerichtsverfahrens tut dringend
not. In letzter Zeit wurden Sachverständige zur Begut-
achtung des sittlichen und künstlerischen wertes der Post-
karten abgelehnt. Die Urteile der Gerichte sind durchaus
verschieden. In vielen Fällen sind von ein und demselben
Gericht, wegen ein und derselben Sache, an verschiedenen
Tagen ganz entgegengesetzte Urteile gefällt worden. Läßt
sich das Gerichtsverfahren über solche, die Kunst betreffende
Fälle nicht vereinheitlichen? Sollen derartige Fälle nicht
von sachverständigen Richtern beurteilt werden? Das zu
erreichen erstrebt auch der Hansabund!

Unsskö lieulige öeilsgs, üie WiMe? kunMcfin. KIM? lik. 8.
bat tollenden Inbalt: Mkroskopisebe vntersuebun-
^en über die in den verscbiedenen Kunstperi-
oden der Malerei verwendeten KarbstoKe. Von
Drob Or. K. Uaeblrnann in VTeirnar. (Lcbluss.) —
^Ite und neue kastellkarben. Von K. L. (Zebluss.)
^Huarellürnis. — 2aponlaeb. — Ztaubsicberes Kin-
rabrnen von öildern.
 
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