XIII, Heft 20.
Die Werkstatt der Runst.
verfielen, soweit sie erreichbar waren, der Vernichtung.
Besonders interessant war es, daß die in Frage stehenden
Postkarten überhaupt noch nicht in den Pandel gekommen
waren.
Das war vor Jahr und Tag. Dieser Vorfall ist nicht
das erste Glied in der langen Kette von Beschlagnahmungen
unzüchtiger Postkarten und Bilder, deren wir uns dann
unausgesetzt zu erfreuen hatten, aber er gehört mit zu den
ersten Gliedern und ist deshalb von besonderem wert, weil
er typisch ist und damals Künstlernamen wie Correggio
und Zorn zuerst entheiligte, viele Leute, junge und alte,
find darauf ins Kaiser-Friedrich-Museum gegangen und
haben sich die Io des Correggio angeschaut, dies reine
Bild seligsten Entrückt-und verzücktseins; wenn es damals
für viele Leute an Reinheit verlor, so trägt die Staats-
anwaltschaft daran die Schuld. Denn sie hat zuerst darauf
hingewiesen, daß Io überhaupt nackt ist und Gefühle er-
regen kann, die mit Kunst und Erhebung wenig zu tun
haben. Das gleiche trifft für Zorn und Collin und ihre
Nachfolger zu.
Eine Berliner Wochenschrift brachte damals eine Glosse
mit der Ueberschrift „Das Format macht's!" Sie traf
den Nagel auf den Kopf, nur ist ihr feiner Spott jetzt
blutiger Ernst geworden. Die Behörde hat sich merkwür-
digerweise diesen Ausspruch zu eigen gemacht und ver-
teidigt jede neue Beschlagnahme damit.
Diese Beschlagnahmen häuften sich in den letzten
Monaten in auffallender weise, die Presse buchte sie, die
Geffentlichkeit beschäftigte sich damit, und man ist nun-
mehr bereits in ein Stadium der Erörterungen einge-
treten.
warum?
weil es so nicht weiter gehen kann. Das ist selbst
denen klar, die anfangs die Partei der Behörde nahmen.
Ls nützt gar nichts, wenn diese Behörde behauptet, die
Kunst an sich keineswegs schädigen oder herabsetzen zu
wollen. Es nützt auch nichts, wenn der Staatsanwalt den
unanfechtbaren Satz: „wahre Kunst ist immer sitt-
lichl" gerne unterschreiben und nur als Nachsatz und
cuptatio denevolentiue hinzufügen will: „Die Kunst, die
wir beschlagnahmen, ist aber keine wahre Kunst!" Das
wirft die Tatsachen um oder zumindest durcheinander. Die
Staatsanwaltschaft ist sich auch völlig bewußt, daß sie
diesen Standpunkt im Verein mit dem schönen Wort „Das
Format macht's!" auf die Dauer nicht halten kann, und
so hat sie denn zu ihrer Unterstützung die Absichten und
Ziele des verdienstvollen Vereins zur Bekämpfung
des Schmutzes in Wort und Bild herangezogen, der
vor allem die Jugend schützen will, und ihr jetziges Haupt-
argument im Pin und per des Für und wider ist der
„Iugendschutz".
Damit ist in die ganze Bewegung auch von der Staats-
anwaltschaft das ideale Moment hineingetragen worden,
und der Kampf, der ohne Zweifel zwischen der Behörde
einerseits und der Kunst und uns anderseits entbrannt ist,
erfordert auf jeder Seite erhöhte Vorsicht. Denn die
Jugend ist die Zukunft unseres Volkes, und wer ihr
schadet oder nicht verhindert, daß ihr wie auch immer ge-
schadet wird, begeht ein verbrechen am Volkstum. Dies
Pineinbeziehen des Schutzes der Jugend hat aber auch zur
Klärung der ganzen Sachlage beigetragen. Man steht sich
jetzt ziemlich gleich gegenüber. Denn wie wir der Staats-
anwaltschaft ohne weiteres zubilligen, daß sie in dieser
Beziehung das Beste will, so muß diese den Künstlern und
uns, die wir mit offenem visiere kämpfen, das gleiche
einräumen.
Die Behörde behauptet also, daß sie den größten Teil
der Beschlagnahmen im Interesse der Jugend vornimmt.
Sie behauptet, daß die zu Tausenden auf den Markt ge-
worfenen Postkarten mit Abbildungen von Kunstwerken,
die nackte Menschen wiedergeben in unrechte pände kommen
oder mindestens kommen können und geeignet sind, ein
jugendliches Gemüt zu vergiften. Ja, sie behauptet, daß
gerade Jugendliche die Hauptabnehmer dieser Postkarten
271
sind und daß sie diese kaufen, um sich durch deren An-
schauen in sinnliche Erregung und in eine gewiße Be-
friedigung geschlechtlicher Gefühle zu versetzen. Sie geht
sogar so weit, zu versichern, dies wäre der normale Zu-
stand.
„Das ist ein weites Feld!" würde der alte Fontane
sagen. Denn was heißt normal? Die polizeiliche Ab-
stempelung genügt da nicht, und vielleicht ist der am
wenigsten normal, der es von sich immer wieder behauptet.
Als ich jung war, und mit mir die vielen, die einst meine
Schulkameraden waren, da mußte ich täglich, um zur
Schule zu gelangen, viermal durch die Friedrichstraße hin-
durch, deren Läden damals noch lange nicht so gesäubert
und beobachtet waren, wie sie es jetzt sind. Die „Photos"
und Bücher mit der sattsam bekannten Ueberschrift „Poch-
pikant!" oder „Nur für Künstler!" waren damals Legion.
Trotzdem ich gar nicht den Ruhm in Anspruch nehme, ab-
sonderlich normal zu fein, so bin ich und sind mit mir
viele, viele meiner ehemaligen Kameraden völlig unange-
fochten durch diesen Schmutz, der wirklich Schmutz war,
hindurchgegangen. Du lieber Gott, wir hatten anderes zu
tun. Erst waren's Bleisoldaten, die unser Hauptinteresse
in Ansprach nahmen, später die Tanzstundenliebe, oder
sonst was. Und unser Taschengeld gaben wir lieber für
Apfelkuchen aus.
Diesen Schmutz der „Photos" und der „hochpikanten
Lektüre" gibt es jetzt so offenbar nicht mehr. Auch die
kleinen Witzblätter mit ihren unendlich dummen Witzen
für verlebte Greise sind verschwunden. Kein Mensch wird
der Staatsanwaltschaft und dem Verein zur Bekämpfung
des Schmutzes in Wort und Bild das große Verdienst
schmälern, da aufgeräumt zu haben, und kein Redlich-
denkender wird dagegen Widerspruch erheben, wenn die
Behörde hier noch wie ein Luchs aufpaßt und erbarmungs-
los von Zeit zu Zeit die „Passage" und andere schöne
Orte säubert. Der Kampf gegen die Pornographie
ist nicht ein Kampf allein der Staatsanwaltschaft, sondern
ein Kampf unser aller, soweit wir sehend sind. Jene kost-
baren Bildermappen und illustrierten Bücher, in denen
Künstler wie der schamlose Bayros die Ungeheuerlichkeiten
ihrer kranken Phantasie zu veröffentlichen wagen, gehören,
sobald sie sich der breiteren Deffentlichkeit zu nahen er-
lauben, dahin, wohin sie der Staatsanwalt schickt: in die
Stampfmühle oder ins Archiv. Ja, auch das wenn auch
etwas späte vorgehen gegen die allzu vorlauten Korsett-
geschäfte heißen wir bedingungslos gut.
Aber um alles das geht es ja gar nicht. Denn das
alles hat mit der Kunst, die unser Leben verschönt, ver-
edelt, erhebt und oft vergöttlicht, so viel zu tun wie ein
Elefant pinterindiens mit dem Deutschen Reichstag. Nichts
nämlich, wenn aber das Reichsgericht auf Grund rein
äußerlicher Erwägungen mit dem berüchtigten Verdikt
„Das Format macht's!" — eine komische Art von Blanko-
Akzept — sämtliche Künstler aller Zeilen in Bausch und
Bogen auf Postkarten und Bildern kleineren Formats für
unzüchtig erklärt, soweit die Darstellung nackter Menschen
in Frage kommt, und wenn die Behörde dann mit diesem
Spruch im Rücken folgerichtig Jahr für Jahr in steigen-
dem Maße gegen solche Postkarten und Bilder vorgeht,
so muß dagegen Front gemacht werden. Denn hier Han-
delt es sich nicht um Schmutz im Bild, um gemeine und
dumme Pornographie, sondern um die Kunst. Das Nackte,
das Unanständige, das An- und Aufreizende, das die Porno-
graphie verführerisch hervorhebt und unterstreicht, das
veredelt ja eben die Kunst, und die wundervolle Ama-
zone Tuaillons, die vorm Alten Museum steht, der
Brüttsche Fischer aus dem viktoriaxark, der prächtige
Bogenschütze Geygers, den der Kaiser in den Sizilia-
nischen Gärten des Parkes von Sanssouci hat aufstellen
lassen, sind so von hoher Kunst durchglühte und durch-
geistigte Schöpfungen, daß sie ihr göttliches Merkmal nicht
in der niederträchtigsten Wiedergabe, geschweige denn in
einer technisch vollendeten verleugnen. Gder — sie sind
an sich unzüchtig. Die Behörde ist so vorsichtig, das
Die Werkstatt der Runst.
verfielen, soweit sie erreichbar waren, der Vernichtung.
Besonders interessant war es, daß die in Frage stehenden
Postkarten überhaupt noch nicht in den Pandel gekommen
waren.
Das war vor Jahr und Tag. Dieser Vorfall ist nicht
das erste Glied in der langen Kette von Beschlagnahmungen
unzüchtiger Postkarten und Bilder, deren wir uns dann
unausgesetzt zu erfreuen hatten, aber er gehört mit zu den
ersten Gliedern und ist deshalb von besonderem wert, weil
er typisch ist und damals Künstlernamen wie Correggio
und Zorn zuerst entheiligte, viele Leute, junge und alte,
find darauf ins Kaiser-Friedrich-Museum gegangen und
haben sich die Io des Correggio angeschaut, dies reine
Bild seligsten Entrückt-und verzücktseins; wenn es damals
für viele Leute an Reinheit verlor, so trägt die Staats-
anwaltschaft daran die Schuld. Denn sie hat zuerst darauf
hingewiesen, daß Io überhaupt nackt ist und Gefühle er-
regen kann, die mit Kunst und Erhebung wenig zu tun
haben. Das gleiche trifft für Zorn und Collin und ihre
Nachfolger zu.
Eine Berliner Wochenschrift brachte damals eine Glosse
mit der Ueberschrift „Das Format macht's!" Sie traf
den Nagel auf den Kopf, nur ist ihr feiner Spott jetzt
blutiger Ernst geworden. Die Behörde hat sich merkwür-
digerweise diesen Ausspruch zu eigen gemacht und ver-
teidigt jede neue Beschlagnahme damit.
Diese Beschlagnahmen häuften sich in den letzten
Monaten in auffallender weise, die Presse buchte sie, die
Geffentlichkeit beschäftigte sich damit, und man ist nun-
mehr bereits in ein Stadium der Erörterungen einge-
treten.
warum?
weil es so nicht weiter gehen kann. Das ist selbst
denen klar, die anfangs die Partei der Behörde nahmen.
Ls nützt gar nichts, wenn diese Behörde behauptet, die
Kunst an sich keineswegs schädigen oder herabsetzen zu
wollen. Es nützt auch nichts, wenn der Staatsanwalt den
unanfechtbaren Satz: „wahre Kunst ist immer sitt-
lichl" gerne unterschreiben und nur als Nachsatz und
cuptatio denevolentiue hinzufügen will: „Die Kunst, die
wir beschlagnahmen, ist aber keine wahre Kunst!" Das
wirft die Tatsachen um oder zumindest durcheinander. Die
Staatsanwaltschaft ist sich auch völlig bewußt, daß sie
diesen Standpunkt im Verein mit dem schönen Wort „Das
Format macht's!" auf die Dauer nicht halten kann, und
so hat sie denn zu ihrer Unterstützung die Absichten und
Ziele des verdienstvollen Vereins zur Bekämpfung
des Schmutzes in Wort und Bild herangezogen, der
vor allem die Jugend schützen will, und ihr jetziges Haupt-
argument im Pin und per des Für und wider ist der
„Iugendschutz".
Damit ist in die ganze Bewegung auch von der Staats-
anwaltschaft das ideale Moment hineingetragen worden,
und der Kampf, der ohne Zweifel zwischen der Behörde
einerseits und der Kunst und uns anderseits entbrannt ist,
erfordert auf jeder Seite erhöhte Vorsicht. Denn die
Jugend ist die Zukunft unseres Volkes, und wer ihr
schadet oder nicht verhindert, daß ihr wie auch immer ge-
schadet wird, begeht ein verbrechen am Volkstum. Dies
Pineinbeziehen des Schutzes der Jugend hat aber auch zur
Klärung der ganzen Sachlage beigetragen. Man steht sich
jetzt ziemlich gleich gegenüber. Denn wie wir der Staats-
anwaltschaft ohne weiteres zubilligen, daß sie in dieser
Beziehung das Beste will, so muß diese den Künstlern und
uns, die wir mit offenem visiere kämpfen, das gleiche
einräumen.
Die Behörde behauptet also, daß sie den größten Teil
der Beschlagnahmen im Interesse der Jugend vornimmt.
Sie behauptet, daß die zu Tausenden auf den Markt ge-
worfenen Postkarten mit Abbildungen von Kunstwerken,
die nackte Menschen wiedergeben in unrechte pände kommen
oder mindestens kommen können und geeignet sind, ein
jugendliches Gemüt zu vergiften. Ja, sie behauptet, daß
gerade Jugendliche die Hauptabnehmer dieser Postkarten
271
sind und daß sie diese kaufen, um sich durch deren An-
schauen in sinnliche Erregung und in eine gewiße Be-
friedigung geschlechtlicher Gefühle zu versetzen. Sie geht
sogar so weit, zu versichern, dies wäre der normale Zu-
stand.
„Das ist ein weites Feld!" würde der alte Fontane
sagen. Denn was heißt normal? Die polizeiliche Ab-
stempelung genügt da nicht, und vielleicht ist der am
wenigsten normal, der es von sich immer wieder behauptet.
Als ich jung war, und mit mir die vielen, die einst meine
Schulkameraden waren, da mußte ich täglich, um zur
Schule zu gelangen, viermal durch die Friedrichstraße hin-
durch, deren Läden damals noch lange nicht so gesäubert
und beobachtet waren, wie sie es jetzt sind. Die „Photos"
und Bücher mit der sattsam bekannten Ueberschrift „Poch-
pikant!" oder „Nur für Künstler!" waren damals Legion.
Trotzdem ich gar nicht den Ruhm in Anspruch nehme, ab-
sonderlich normal zu fein, so bin ich und sind mit mir
viele, viele meiner ehemaligen Kameraden völlig unange-
fochten durch diesen Schmutz, der wirklich Schmutz war,
hindurchgegangen. Du lieber Gott, wir hatten anderes zu
tun. Erst waren's Bleisoldaten, die unser Hauptinteresse
in Ansprach nahmen, später die Tanzstundenliebe, oder
sonst was. Und unser Taschengeld gaben wir lieber für
Apfelkuchen aus.
Diesen Schmutz der „Photos" und der „hochpikanten
Lektüre" gibt es jetzt so offenbar nicht mehr. Auch die
kleinen Witzblätter mit ihren unendlich dummen Witzen
für verlebte Greise sind verschwunden. Kein Mensch wird
der Staatsanwaltschaft und dem Verein zur Bekämpfung
des Schmutzes in Wort und Bild das große Verdienst
schmälern, da aufgeräumt zu haben, und kein Redlich-
denkender wird dagegen Widerspruch erheben, wenn die
Behörde hier noch wie ein Luchs aufpaßt und erbarmungs-
los von Zeit zu Zeit die „Passage" und andere schöne
Orte säubert. Der Kampf gegen die Pornographie
ist nicht ein Kampf allein der Staatsanwaltschaft, sondern
ein Kampf unser aller, soweit wir sehend sind. Jene kost-
baren Bildermappen und illustrierten Bücher, in denen
Künstler wie der schamlose Bayros die Ungeheuerlichkeiten
ihrer kranken Phantasie zu veröffentlichen wagen, gehören,
sobald sie sich der breiteren Deffentlichkeit zu nahen er-
lauben, dahin, wohin sie der Staatsanwalt schickt: in die
Stampfmühle oder ins Archiv. Ja, auch das wenn auch
etwas späte vorgehen gegen die allzu vorlauten Korsett-
geschäfte heißen wir bedingungslos gut.
Aber um alles das geht es ja gar nicht. Denn das
alles hat mit der Kunst, die unser Leben verschönt, ver-
edelt, erhebt und oft vergöttlicht, so viel zu tun wie ein
Elefant pinterindiens mit dem Deutschen Reichstag. Nichts
nämlich, wenn aber das Reichsgericht auf Grund rein
äußerlicher Erwägungen mit dem berüchtigten Verdikt
„Das Format macht's!" — eine komische Art von Blanko-
Akzept — sämtliche Künstler aller Zeilen in Bausch und
Bogen auf Postkarten und Bildern kleineren Formats für
unzüchtig erklärt, soweit die Darstellung nackter Menschen
in Frage kommt, und wenn die Behörde dann mit diesem
Spruch im Rücken folgerichtig Jahr für Jahr in steigen-
dem Maße gegen solche Postkarten und Bilder vorgeht,
so muß dagegen Front gemacht werden. Denn hier Han-
delt es sich nicht um Schmutz im Bild, um gemeine und
dumme Pornographie, sondern um die Kunst. Das Nackte,
das Unanständige, das An- und Aufreizende, das die Porno-
graphie verführerisch hervorhebt und unterstreicht, das
veredelt ja eben die Kunst, und die wundervolle Ama-
zone Tuaillons, die vorm Alten Museum steht, der
Brüttsche Fischer aus dem viktoriaxark, der prächtige
Bogenschütze Geygers, den der Kaiser in den Sizilia-
nischen Gärten des Parkes von Sanssouci hat aufstellen
lassen, sind so von hoher Kunst durchglühte und durch-
geistigte Schöpfungen, daß sie ihr göttliches Merkmal nicht
in der niederträchtigsten Wiedergabe, geschweige denn in
einer technisch vollendeten verleugnen. Gder — sie sind
an sich unzüchtig. Die Behörde ist so vorsichtig, das