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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 13.1913/​1914

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XIII, yeft 43.

Die Werkstatt der Kunst.

behörden aber, die ihn wider Recht zu hoch veranlagen,
die vorher keine oder unzuverlässige Erhebungen machen,
fehlen und haben ihre Schuld durch Zahlung von Zinsen
wieder gutzumachen. Ja, es wäre billig, daß der Steuer-
zahler bei vollständiger Stattgabe seiner Berufung zur
Entschädigung für seinen Zeitverlust und Aerger noch nm
eine entsprechende Zahl Stufen in der Berechnung herab-
gesetzt wurde. Die Steuerausschüfse sollten vor der Ver-
anlagung viel zuverlässigere Unterlagen beschaffen müssen
und dürften erst „schätzen", wenn alle gesetzlichen Möglich-
keiten ausgeschöpft sind.
In allen Staaten Europas, mit Ausnahme Bayerns,
wird ein Steuerzahler, dessen Erklärung beanstandet wird,
vor der Veranlagung zu Amt oder zu einem Vertrauens-
mann geladen; er wird um Aufklärung ersucht, und eine
Unzahl Fälle erledigt sich so rasch und einfach. In dem
bayerischen Einkommensteuergesetz und in den Vollzugs-
vorschriften ist dieses Verfahren auch vorgesehen — aber
es wird, wie z. B. in München, wohl kaum angewandt,
auch nicht, wenn man sich ausdrücklich beim Rentamt über
das Unterlassen beschwert. Es wird der Bequemlichkeit
halber frisch drauflos „geschätzt", auf gut Glück. Trotz
eingereichter Bilanz wird das Einkommen ohne weiteres
um Summen von 5000 oder toooo Mk. und mehr hinauf-
gesetzt, und in der Berufungsinstanz kann dann das
„Königliche Rentamt" nicht einen einzigen Pfennig seiner
Schätzung aufrechterhalten. So wächst natürlich die Hoch-
achtung vor den Steuerbehörden ins Ungemessene.
Außer den niederbayerischen Bauern wird noch eine
andere Menschenklasse besonders liebevoll veranlagt (als
Gegenstück in Dberbayern), das sind, wie die freien Berufe
überhaupt, die Münchener Künstler. Im Jahre t<N2
waren fast sämtliche Münchener Künstler genötigt, Be-
rufung einzulegen; dem vernehmen nach mußte qo°/<,
diefer Berufungen ganz oder teilweise stattgegeben werden
— ein Ruhmesblatt der Kunststadt München. Auch dar-
über im Landtag Totenstille.
Die Steuererklärungen werden mit Unterschrift als
nach bestem Wissen und Gewissen gemacht abgegeben. Das
absichtliche Hinterziehen von Steuern ist eine ehrlose Sache;
in den Reichssteuergesetzen steht darauf Gefängnisstrafe.
Wer seine Angaben genau gemacht hat, aber zu hoch veranlagt
wird, empfindet dies nicht nur als grobes Unrecht, sondern auch
als Beleidigung. Mit Recht, besonders wenn sich heraus-
stellt, daß das Rentamt keine stichhaltigen Unterlagen oder
Beweise in Händen hat, daß es nur „schätzte". Und das
kann einem Jahr um Jahr widerfahren. — Der Staat
treibt durch solche Erlebnisse die besten Bürger ins staats-
feindliche Lager; wer wegziehen kann, der geht, womöglich
ins Ausland. Es ist kein Zweifel, daß große Kapitalien
aus folchen Gründen abwandern, das wird sich schon noch
Herausstellen.
Der Finanzminister hat bei Mißständen im Vollzug
immer nur von Abhilfe gesprochen, er hat nicht gesagt, ob
und wie grobe Verstöße und Uebertretungen auch gesühnt
worden sind, damit nicht nur auf der einen Seite gestraft
wird. Das Volk muß die Ueberzeugung bekommen, daß
nicht Willkür, sondern Recht und Gerechtigkeit herrschen.
Und dazu gehören bessere Vollzugsvorschriften, Belehrungen
und Anweisungen als die bisherigen; sonst kommen die
Klagen gegen die äußeren Beamten, die schließlich doch
nur nach ihrer Anweisung handeln, nicht zur Ruhe. Und
nur auf diesem Wege werden die Steuerbehörden das er-
reichen, was ihnen, wie die Steuerinterpellation erwies,
fehlt: die Achtung im Lande.
In den „Münch. N. N." finden wir folgende „Geffent-
Nche Erklärung":
„In einer öffentlichen Versammlung, am 20. Nov.,
haben die Iuryfreien für ihre Ideen Stimmung gemacht.
Sie stellten die Behauptung auf, der Staat sei ver-
pflichtet, jedem Künstler — da er Steuerzahler sei — eine
Ausstellungsgelegenheit zu schaffen, und forderten, es solle
ihnen ein Teil des Glaspalastes überlassen werden.
Mit dieser Forderung hat die Angelegenheit eine

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Wendung bekommen, die uns zwingt, öffentlich Stellung
zu nehmen.
Wir haben gegen die juryfreien Ausstellungen keinen
Schritt unternommen, wir sind so sehr gegen alle Bevor-
mundung der Kunst, daß wir den Künstlern, die jede
Jury verwerfen, ihre Freiheit lassen wollen.
Aber dagegen müssen wir uns verwahren, daß die
von uns veranstalteten Ausstellungen in ihrem Ansehen
und in ihrer Wirkung durch die juryfreien Ausstellungen
beeinträchtigt werden.
wir wissen sehr wohl, daß die Jury keine ideale In-
stitution ist, daß sie Schwächen hat, wie jede menschliche
Einrichtung. Aber wir unterwerfen uns freiwillig dem
Urteil der von uns gewählten Künstler, weil wir der festen
Ueberzeugung sind, daß nur so die künstlerische Kultur
einigermaßen geschützt werden kann vor dem Eindringen
der Unberufenen.
Denn ungleich größer und gefährlicher als etwaige
Ungerechtigkeiten einer Jury sind die Gefahren, welche die
juryfreien Ausstellungen mit sich bringen.
wer ist ein Künstler? wie kann eine Staatsbehörde
es seststellen: Der und der ist ein Künstler? Es kann
leicht festgestellt werden, wer ein Arzt ist, wer ein Schlosser
ist, denn jeder bürgerliche Beruf hat einen bestimmt vorge-
schriebenen Bildungsgang. Aber für den Künstler ist kein
gesetzlicher Schulzwang zu denken. Hundert Künstler gehen
hundert verschiedene Wege — und kommen alle zum Ziel.
Nur eine Behörde von Künstlern hat das Recht, zu sagen:
Der gehört zu uns!
Aber nun soll jeder zugelassen werden, der sich selbst
für einen Künstler ausgibt. Schon jetzt ist die Ueberfüllung
des Berufs eine ungeheure. Es wäre an der Zeit, daß
die Jugend von autoritativer Stelle gewarnt wird, sich
ihm zu widmen. Statt dessen wirken die juryfreien Aus-
stellungen vielmehr als eine verhängnisvolle Aufmunterung,
die Unzählige dazu verführt, ohne inneren Zwang Künstler
zu werden. Und so entstehen der sozialen Notlage der
Künstlerschaft, die heute schon eine nahezu unerträgliche
ist, neue, künstlerische und wirtschaftliche Nöte. Wir wür-
den es für die stärkste Schädigung der Kunst halten, wenn
juryfreie Ausstellungen unter einem Dache mit den unsern
stattfinden dürften. . Denn es wird dadurch der Anschein
erweckt, als hätte die Künstlerschaft für diese, zum guten
Teil minderwertigen Veranstaltungen irgendwelche Verant-
wortung übernommen.
München hat seine Stellung in der Kunstwelt zu ver-
teidigen. Der Rang unserer Ausstellungen ist nicht nur
die künstlerische, sondern auch die wirtschaftliche Lebens-
bedingung für die Künstlerschaft als Gesamtheit und für
jeden einzelnen.
Unsere Ausstellungen müssen den repräsentativen Lha-
rakter bewahren. Das können sie nur, wenn eine künst-
lerische Auswahl stattfindet. Nur auf diese Art werden
sie nach unserer innersten Ueberzeugung als ein Spiegel
des künstlerischen Schaffens der Zeit ihren Wert behalten,
nur auf diese Art wird die Kunst der mächtige Kulturträger
bleiben, der sie ist.
wir lassen den Iuryfreien gern ihre Freiheit und wen-
den uns nicht dagegen, daß ihnen Ausstellungen ermöglicht
werden. Aber auch wir wollen unsere Freiheit gewahrt
wissen. Und unser freier Wille ist es, uns dem Urteil
unserer Kunstgenoffen zu unterwerfen und uns eine Aus-
lese gefallen zu lassen.
Wir wollen für uns keine besonderen Rechte. Jeder
Künstler hat das Recht, die in den Staatsgebäuden veran-
stalteten Ausstellungen unter durchaus gleichen Bedingungen
zu beschicken, von einer Benachteiligung irgend jemandes
kann keine Rede sein.
Wir können jetzt schon nur zo bis HO Prozent aller
eingesandten Werke unterbringen. Würden wir allen
Künstlern Iuryfreiheit zubilligen, so würde auch ein Ge-
bäude von dem sechsfachen Umfang des Glaspalastes nicht
ausreichen.
Darum müssen wir uns dagegen wehren, daß den
 
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