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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 61 - No. 69 (2. August - 30. August)
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— 24 —

„Ich ſehne mich nach Erlöſung,“ nahm ſie zitternd
das Wort, „und ich finde ſie nur bei Ihnen — wollen
Sie alles, alles hören, was ich zu beichten habe?“
„Reden Sie!“ ſagte er gütig: wo geholfen werden
kann, da helfe ich Ihnen, und wo getragen werden muß,
da trage ich mit Ihnen!“ — ö
Es war faſt wie vor wenigen Tagen in jener ein-
ſamen Waldecke; — er hatte ſie zu einem Sitze geführt
und ſich dann ſelbſt an ihrer Seite niedergelaſſen; aber
nun war ſie es, die zu reden hatte, aus deren Munde
ein Bekenntniß kommen mußte. Und obwohl ſie danach
gerungen hatte, es ihm zu machen — in dieſem Augen-
blick ward es ihr doch ſchwer, das erſte Wort zu finden.
„Sie kennen mich nicht, Herr von Fergent,“ ſagte
ſie endlich leiſe.
„Doch, Hedwig,“ entgegnete er ruhig.
2„Sie wiſſen nicht, wer ich wirklich bin und wie ich
heiße!“ fuhr ſie mit größerer Lebhaftigkeit fort.
„Ich denke doch, ich kann Ihnen den Namen nen-
nen, den Sie früher trugen,“ ſagte er mit ſich gleich
bleibender Ruhe: „es iſt der Ihres Vaters, des ehema-
ligen Banquiers Löwing.“
Erſchrocken richteten ſich ihre Augen auf ihn. „Wie,“
rief ſie, „was ich mit Furcht und mit Scham verhehlte,
es war Ihnen kein Geheimniß? wer verrieth — 2“
„Kein indiscreter Mund, Hedwig,“ unterbrach er
ſie ſchnell, „nur ein Zufall und ein Etwas in meinem
Innern, das ſich mit Ihnen beſchäftigte. Auf meiner
jetzigen Reiſe traf ich mit Perſonen zuſammen — das
Wie? zu erzählen, iſt jetzt überflüſſig — die Sie in
Ihren früheren Verhältniſſen gekannt haben, — die von
Silkenitz und von Stern ſprachen,“ ſchaltete er flüchtig
ein — „und deren Bemerkungen mich dann auf eine
Spur führten, der ich nur nachzugehen brauchte, um Sie
zu finden, Hedwig.“
Sie verhüllte einen Augenblick ihr Geſicht; der Ge-
danke, welcher einen Moment in ihr aufgeblitzt war, daß
er ſchon lange alles gewußt habe und doch nicht vor
ihrer Schande zurückgebebt ſei, war ein zu thörichter. —
Und was half ihr auch alles Andere? ſie mußte weiter
in ihren Geſtänd niſſen. ö
Und ſo ſchilderte ſie denn das Leben, was ſie in
dem Hauſe ihres Vaters geführt hatte, ſie ſprach von
ſeinem äußeren Glanz und von ihrer eigenen Gewohnheit
des ſteten Genießens und Gefeiertwerdens, in welcher ſich
ein rückſichtsloſes Fordern, ein ſtolzes Hinwegſchreiten
über Hinderniſſe ausgebildet habe.
Auch von Stern und Silkenitz, deren Herr von
Fergent bereits Erwähnung gethan hatte, ſprach ſie, und
ſie bekannte, daß ſie anfangs den letzteren, welchen ſie
früher als ſeinen Freund kennen gelernt, mit Freundlich-
keit behandelt habe, weil ſein Weſen ihr angenehm ge-
weſen ſei; und weil er in ſeiner Neigung ſtets beſcheiden
geblieben, habe ſie dieſelbe, wenn nicht ermuntert, ſo doch
auch nicht zurückgewieſen, bis ihr eigenes Herz von einer
heftigen Neigung für einen Anderen, ſie ſtockte hier einen
Moment — ergriffen worden ſei.
„Als ich mein eigenes Gefühl erkannte,“ fuhr ſie
fort, „ließ ich ihm keine Hoffnung, denn blos an meinen

Triumphwagen wollte ich ihn nicht feſſeln. Ich fühlte

wohl ein fluchtiges Bedauern, als ich ſah, daß er un-
glücklich ward, aber keine Reue. Es war ſein Schickſal,
ſo ſagte ich zu mir, wie es meines iſt, daß ich einen
Anderen, daß ich Guſtav Stern — denn er war dieſer
Andere, Herr von Fergent — lieben mußte.“
Sie ſchwieg einige Augenblicke und ſenkte ihr Haupt,
während die Blicke ihres Hörers theilnehmend und forſchend
zugleich auf ihr ruhten.

„Und Stern,“ fragte er endlich, erwiderte er Ihre
Reig.g ſaß noch mt wie ſeine Liebe?“
ie ſah noch nicht wieder zu ihm auf, aber ſie zwan
ſich, weiter zu reden. ſie zwang
„„Ich glaube jetzt, daß ich thöricht und verblendet
geweſen bin, als ich glaubte, ich hätte ſein Herz gewon-
nen, aber ich war ſtolz und glücklich, weil ich es glaubte,
und es erſchien mir gleichgültig, daß ich noch kein Ge-
ſtaͤndniß aus ſeinem Munde empfangen hatte.“
„Da kam das Unglück, das unſer Haus zerſchmetterte,
und mit ihm der Moment, wo ich erkennen mußte, daß
alles, was Stern für mich gefühlt haben mochte, aus-
gelöſcht worden war durch die Schmach, die mich und
meine ganze Zukunft bedeckte. — Laſſen Sie mich über
dieſe Zeit und alles, was ihr folgte, ſchweigen! — ich
will Ihnen nur ſagen, daß ich zehnmal geſtorben ſein
würde, wenn es an meinem bloßen Verlangen, mich auf-
löſen zu dürfen in das Nichts, genug geweſen wäre. Ich
war geächtet! — mit dem Gefühl trat ich hinaus in die
Fremde, das Gefühl begleitete mich auf jedem meiner
Wege! Wo ich mir eine Stätte ſuchen wollte — und
war's auch nur um des Brodes willen, deſſen mein Leib
bedurfte — da ſcheuchte mich der Fluch fort, der an
meinem Namen haſtete.“
„Wenn ich den Schrecken wahrnahm, mit welchem
es die Menſchen hörten, daß ich Hedwig Löwing ſei, die
Tochter und Schweſter von Verbrechern, wenn ich Ihre
Blicke mit tödtendem Mißtrauen auf mir ruhen fühlte,
dann krümmte ich mich wie ein Wurm unter den Füßen,
die achtlos oder gar mit ſchadenfrohem Hohne über mir
wegſchritten.“
„Ich ſuchte mich an den Menſchen zu rächen, indem
ich auch ſie verachtete, hüllte mich in meinen Trotz, mei-
nen Siolz — aber ſo weiterleben konnte ich nicht. —
Mein Bruder war inzwiſchen im Zuchthauſe geſtorben,
ich verleugnete keinen Lebenden mehr, wenn ich den Na-
men ablegte, den meine Familie getragen hatte; ſo nannte
ich mich, wie einſt meine Mutter geheißen hatte; als
Hedwig Weller kam ich zu Ihnen.“

(Schluß folgt.)

Wagner's Bühnenfeſtſpiele in Bayreuth.

Bayreuth, 14. Auguſt. Ueber die „Feſtſpiele in
Bayreuth“ ſchreibt einer der berühmteſten Muſikkritiker,
Ed. Hanslick in Wien, der „Neuen Freien Preſſe“
Folgendes: ö
Warum juſt in Bayreuth? Ein neuer Theaterbau
an dieſem Orte war urſprünglich gar nicht in Wagner's
Abſicht gelegen. Er dachte Anfangs das alte Bayreuther
Opernhaus, ein ſtaatliches Monument ehemaliger mark-
gräflicher Pracht, für ſeine Zwecke benützen zu können.
Je mehr er aber die nothwendige Umgeſtaltung über-
dachte, deſto weniger konnte dieſes Haus ihm genügen.
Wagner erkannte bald, daß er, von Grund aus refor-
mirend, auch von Grund aus bauen müſſe, für eine neue
Operngattung auch ein neues Theater. Er blieb aber
bei dem kleinen, abgelegenen Bayreuth, um durch keinerlei
großſtädtiſche Zerſtreuung den Zuſchauer von ſeinem
Werk abzulenken. Gerade hier zählte er auf die feſt-
lichſte, denkbar günſtigſte Stimmung des Publikums. In
dieſem Punkte ſcheint ſich aber doch, nach übereinſtimmen-
den Aeußerungen zahlreicher Feſtgaͤſte, der Meiſter ver-
rechnet zu haben. Ein Städtchen, wie Bayreuth, iſt für
ſo maſſenhaften Fremdenbeſuch in keiner Weiſe vor-
bereitet, es fehlt nicht blos überall an Comfort, ſondern

häufig am Nothwendigſten. Ich weiß nicht, ob das
 
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