Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 36.1925
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https://doi.org/10.11588/diglit.11737#0130
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Schultze-Naumburg, Paul: Zusammenhang mit der Natur: von der Bedeutung des Gartens
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112
INNEN-DEKORATION
ZUSAMMENHANG MIT DER NATUR
VON DER BEDEUTUNG DES GARTENS
Das Verhältnis des Menschen zur freien Natur hat
sich im Laufe seiner Entwicklung andauernd ver-
schoben. Wir sehen den Menschen aus frühester Ver-
gangenheit als Bewohner einer freien, von ihm gänzlich
unbeeinflußten Natur hervorgehen, durch die er — als
eine ihm anscheinend feindlich gesinnte Außenwelt —
sich furchtsam duckend dahinschlüpft. Die Furcht macht
langsam dem Zutrauen Platz, das Zutrauen — dem Willen
zur Macht. Und der Mensch fängt an, die Natur, seine
oft recht harte Nährmutter, zu beherrschen und sie seinen
Zwecken Untertan zu machen. Die Züge der mensch-
lichen Zivilisation dringen allmählich in das Bild der
Natur ein und umklammern es oft bis zur scheinbar
vollständigen Knechtung. Der rücksichtslose Raubbau,
die Ausplünderung folgten. Der Schluß ist die Vernich-
tung der Natur: die moderne Großstadt, die heute
Wiege und Heimat der Hälfte unserer Volksgenossen ist.
Aber wie weit der Mensch auch sich von den natür-
lichen Bedingungen zu lösen sucht, denen er nach un-
entrinnbaren, ewigen Gesetzen doch unterworfen bleibt:
an hundert Symptomen merken wir es, daß hier etwas
die Wurzeln seiner Existenz bedroht. Und alsbald mel-
det sich die Rückwirkung: es entsteht ein unbezwing-
barer Hunger danach, den Zusammenhang mit den
Dingen der Natur wieder zu gewinnen, die dem Men-
schen seit Urzeiten die unentbehrliche Umgebungbildeten,
dem freien Himmel, der wehenden Luft, den grünenden
Pflanzen und Bäumen, und der Einsamkeit. Und ein Er-
innern ist in ihm, daß er hieran wieder stark werden kann.
Viele werden heute in solchem Drange nur einen
Atavismus sehen, mit dem sich der zivilisierte Mensch
als mit einer romantischen Belastung herumschleppt.
Aber ein kleiner Kreis bleibt, der jenen Hunger ver-
spürt und ihm nachgeben muß. Und es erwacht die
heiße Sehnsucht, aus den Fenstern der Behausung nicht
nur eine andere Hauswand, sondern auch ein Stück Him-
mel mit Sonnenglanz, Wolken und nächtlichen Sternen
zu erblicken, den Fuß, anstatt auf Asphalt, auf den
weichen Boden der Erde und auf Rasen zu setzen, und
eine Luft zu atmen, die sich mit Duft von allerlei Pflan-
zen schwängert, wenn sie über blühende Felder weht;
einen Ort der geruhigen Stille zu haben, um sich dort
der schweigenden Schwester, der Pflanze zu gesellen.
Zu diesen Möglichkeiten und Erlebnissen bietet sich
auch dem Stadtmenschen noch ein Mittel: der Garten!
PAUL SCHULTZE-NAUMBURG. (aus »der bau d. Wohnhauses«.g. callwey).
INNEN-DEKORATION
ZUSAMMENHANG MIT DER NATUR
VON DER BEDEUTUNG DES GARTENS
Das Verhältnis des Menschen zur freien Natur hat
sich im Laufe seiner Entwicklung andauernd ver-
schoben. Wir sehen den Menschen aus frühester Ver-
gangenheit als Bewohner einer freien, von ihm gänzlich
unbeeinflußten Natur hervorgehen, durch die er — als
eine ihm anscheinend feindlich gesinnte Außenwelt —
sich furchtsam duckend dahinschlüpft. Die Furcht macht
langsam dem Zutrauen Platz, das Zutrauen — dem Willen
zur Macht. Und der Mensch fängt an, die Natur, seine
oft recht harte Nährmutter, zu beherrschen und sie seinen
Zwecken Untertan zu machen. Die Züge der mensch-
lichen Zivilisation dringen allmählich in das Bild der
Natur ein und umklammern es oft bis zur scheinbar
vollständigen Knechtung. Der rücksichtslose Raubbau,
die Ausplünderung folgten. Der Schluß ist die Vernich-
tung der Natur: die moderne Großstadt, die heute
Wiege und Heimat der Hälfte unserer Volksgenossen ist.
Aber wie weit der Mensch auch sich von den natür-
lichen Bedingungen zu lösen sucht, denen er nach un-
entrinnbaren, ewigen Gesetzen doch unterworfen bleibt:
an hundert Symptomen merken wir es, daß hier etwas
die Wurzeln seiner Existenz bedroht. Und alsbald mel-
det sich die Rückwirkung: es entsteht ein unbezwing-
barer Hunger danach, den Zusammenhang mit den
Dingen der Natur wieder zu gewinnen, die dem Men-
schen seit Urzeiten die unentbehrliche Umgebungbildeten,
dem freien Himmel, der wehenden Luft, den grünenden
Pflanzen und Bäumen, und der Einsamkeit. Und ein Er-
innern ist in ihm, daß er hieran wieder stark werden kann.
Viele werden heute in solchem Drange nur einen
Atavismus sehen, mit dem sich der zivilisierte Mensch
als mit einer romantischen Belastung herumschleppt.
Aber ein kleiner Kreis bleibt, der jenen Hunger ver-
spürt und ihm nachgeben muß. Und es erwacht die
heiße Sehnsucht, aus den Fenstern der Behausung nicht
nur eine andere Hauswand, sondern auch ein Stück Him-
mel mit Sonnenglanz, Wolken und nächtlichen Sternen
zu erblicken, den Fuß, anstatt auf Asphalt, auf den
weichen Boden der Erde und auf Rasen zu setzen, und
eine Luft zu atmen, die sich mit Duft von allerlei Pflan-
zen schwängert, wenn sie über blühende Felder weht;
einen Ort der geruhigen Stille zu haben, um sich dort
der schweigenden Schwester, der Pflanze zu gesellen.
Zu diesen Möglichkeiten und Erlebnissen bietet sich
auch dem Stadtmenschen noch ein Mittel: der Garten!
PAUL SCHULTZE-NAUMBURG. (aus »der bau d. Wohnhauses«.g. callwey).