Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 36.1925
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.11737#0177
DOI article:
Ritter, Heinrich: Die gemeinsame Sprache: Gedanken über europäisches Wohnen
DOI Page / Citation link: https://doi.org/10.11588/diglit.11737#0177
XXXVI. JAHRGANG. DARMSTADT. MAI 1925.
»DIE GEMEINSAME SPRACHE«
gedanken über europäisches wohnen
Betrachtet man die Menschen nur auf ihre Indi-
vidualität hin, so findet man einen jeden so
scharf abgegrenzt, unterschieden und in sein Ich
eingeschlossen, daß er zu hoffnungsloser monolo-
gischer Einsamkeit verurteilt scheint. Kehrt man
aber den Blick vom »Dämon« fort und sieht sich
das Ganze des menschlichen Zusammenlebens an,
so findet man die Millionen unter zahllosen prak-
tischen, sittlichen, geistigen Gesichtspunkten tau-
sendfach zusammengefaßt. Und das ist eigentlich
das größere Wunder: der »Dämon« ist das Selbst-
verständliche, das Trennende ist von Natur ge-
geben, aber daß es trotz allem die Möglichkeit der
Verständigung, des Hand in Hand-Gehens gibt,
daß es Sprache und Liebe und Gemeinsamkeit
gibt, — das ist das Große, das die Menschheit
sichert und zusammenhält.. Die Kunst, zumal die
Baukunst, ist auch eine solche Verständigung,
eine »Sprache«, eine Gemeinsamkeit! Explosiv-
Kräfte von apokalyptischer Gewalt sind in unseren
Kulturkreis gesenkt, und ginge es nach dem Willen
des Dämonischen, längst hätte sich Europa schon
selber gegen den Mond gesprengt. Aber siehe da!
Mitten im Wirrwarr der gegeneinander gebäumten
Erbitterungen reicht ein Bauwerk in der Schweiz,
192S. T. L
in England stillschweigend einem Bauwerk in Ita-
lien, in Deutschland die geistige Hand. Sieht man
sie nebeneinander, so weiß man: hier sind Gebäude
und Wohnungen für den Menschen unseres Kultur-
Kreises. Es gibt diesen Menschen, es gibt eine
höhere Gemeinsamkeit, deren Glieder wir sind.
Die Häuser verstehen einander, sie sprechen die
gemeinsame Sprache einer europäischen Form, sie
dienen dem europäischen Wohnen und hängen
daher nach Geist und Körper untereinander zu-
sammen . . Ist auch das »Gesicht« der einzelnen
Bauwerke verschieden, — der Geist, die Seele ist
doch von gleicher Art und auf ein gemeinsames
Ziel gerichtet .. Während die Völker sich von
Dämon zu Dämon auseinandersetzen, lebt in die-
sen gemeinsamen Formen die höhere Geschichte
unseres Kulturkreises. In ihnen treten die Nationen
zusammen als die gigantischen Arbeiterinnen am
Gesamtwerk unserer Zivilisation. Aus der Feind-
schaft wird Arbeits-Teilung, die Auseinander-
setzung wird zum Dienst an der übergeordneten
Harmonie . . Es ist der hohe Beruf der Kunst, in
der babylonischen Sprachverwirrung dieser Epo-
che die gemeinsame Sprache zu sprechen, al-
len zum Wohl, niemandem zum Leid, heinr. ritter.
»DIE GEMEINSAME SPRACHE«
gedanken über europäisches wohnen
Betrachtet man die Menschen nur auf ihre Indi-
vidualität hin, so findet man einen jeden so
scharf abgegrenzt, unterschieden und in sein Ich
eingeschlossen, daß er zu hoffnungsloser monolo-
gischer Einsamkeit verurteilt scheint. Kehrt man
aber den Blick vom »Dämon« fort und sieht sich
das Ganze des menschlichen Zusammenlebens an,
so findet man die Millionen unter zahllosen prak-
tischen, sittlichen, geistigen Gesichtspunkten tau-
sendfach zusammengefaßt. Und das ist eigentlich
das größere Wunder: der »Dämon« ist das Selbst-
verständliche, das Trennende ist von Natur ge-
geben, aber daß es trotz allem die Möglichkeit der
Verständigung, des Hand in Hand-Gehens gibt,
daß es Sprache und Liebe und Gemeinsamkeit
gibt, — das ist das Große, das die Menschheit
sichert und zusammenhält.. Die Kunst, zumal die
Baukunst, ist auch eine solche Verständigung,
eine »Sprache«, eine Gemeinsamkeit! Explosiv-
Kräfte von apokalyptischer Gewalt sind in unseren
Kulturkreis gesenkt, und ginge es nach dem Willen
des Dämonischen, längst hätte sich Europa schon
selber gegen den Mond gesprengt. Aber siehe da!
Mitten im Wirrwarr der gegeneinander gebäumten
Erbitterungen reicht ein Bauwerk in der Schweiz,
192S. T. L
in England stillschweigend einem Bauwerk in Ita-
lien, in Deutschland die geistige Hand. Sieht man
sie nebeneinander, so weiß man: hier sind Gebäude
und Wohnungen für den Menschen unseres Kultur-
Kreises. Es gibt diesen Menschen, es gibt eine
höhere Gemeinsamkeit, deren Glieder wir sind.
Die Häuser verstehen einander, sie sprechen die
gemeinsame Sprache einer europäischen Form, sie
dienen dem europäischen Wohnen und hängen
daher nach Geist und Körper untereinander zu-
sammen . . Ist auch das »Gesicht« der einzelnen
Bauwerke verschieden, — der Geist, die Seele ist
doch von gleicher Art und auf ein gemeinsames
Ziel gerichtet .. Während die Völker sich von
Dämon zu Dämon auseinandersetzen, lebt in die-
sen gemeinsamen Formen die höhere Geschichte
unseres Kulturkreises. In ihnen treten die Nationen
zusammen als die gigantischen Arbeiterinnen am
Gesamtwerk unserer Zivilisation. Aus der Feind-
schaft wird Arbeits-Teilung, die Auseinander-
setzung wird zum Dienst an der übergeordneten
Harmonie . . Es ist der hohe Beruf der Kunst, in
der babylonischen Sprachverwirrung dieser Epo-
che die gemeinsame Sprache zu sprechen, al-
len zum Wohl, niemandem zum Leid, heinr. ritter.