Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 36.1925

DOI article:
Schürer, Oskar: Von Architektur und Kunst: die Richtung der jungen Generation
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11737#0334

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
VON ARCHITEKTUR UND KUNST

die richtung der jungen generation

Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß unter den bil-
denden Künsten heute die Architektur am ziel-
sichersten vorgeht. Der selbstverständliche Bund mit
der Wirklichkeit sicherte ihre Vormachtstellung. Auch
vom Instinkt der Masse wird sie als führende Macht an-
erkannt. Diese Anerkenntnis braucht noch nicht Ver-
ständnis zu sein, nur erst Bejahung. Und solche beruht
ja immer auf dem Empfinden der Zeit, daß ein ihr ent-
sprechender Ausdruck gefunden ist. . Es darf somit
nicht als Phrase empfunden werden, wenn behauptet wird,
daß sich unsere Zeit künstlerisch in den modernen Archi-
tektur-Werken am zwingendsten und auch am bleibend-
sten ausdrückt. Die Architekten sind sich dieses be-
rechtigten Anspruchs auch bewußt und fühlen sich mit

Fug als die zukunftsbewußtesten Künstler........

Aber welch ein Paradoxon! Die Architekten der
jungen Generation bestreiten, mit »Kunst« etwas zu
tun zu haben. Sie sind »Techniker«, sagen sie, zweck-
bewußte Arbeiter am Werk des täglichen Bedarfs, prä-
zise Befolger ingeniöser und allgemein utilitaristischer
Maximen! . Man bemerke die Paradoxie der Situation:
während die Zeit ihre beste künstlerische Energie in
jenen modernen Bauten gesammelt und gestaltet wähnt,
verwahrt sich der junge Nachwuchs aufs Nachdrück-
lichste gegen diese Verwechslung solcher Tätigkeit mit
Kunst-Aeußerungen .. Es sei zugestanden, daß hier der
Schlagkräftigkeit zuliebe die Situation einigermaßen zu-
gespitzt wurde. Wir übersehen nicht die Äußerungen
eines Peter Behrens, der die Anteilschaft ingeniöser
Berechnung dem vorangehenden Gefühl für künstlerisch
wirksame Spannungen und Formen unterordnete. Oder
des holländischen Architekten Oud, der fein und ent-
schieden zwischen den Ansprüchen des »Technikers« und
des »Baukünstlers« abwägt! . Dennoch bleibt die Tat-
sache bestehen, daß gerade die jüngste Generation der
Architekten aufs heftigste gegen Architektur als Kunst
ankämpft und nichts als utilitaristische Entsprechung für
die Schöpfungen des Baumeisters gelten lassen will. . .

Historisch betrachtet läßt sich diese Revolution gegen
das Kunstartige der Architektur recht wohl erklären aus
dem Geiste einer Reaktion heraus, die auf den rein aus-
druckshaften Charakter der Architektur der vergangenen
Jahrzehnte (Poelzig u. a.) folgen mußte. Aber was ist
mit dieser historischen Erklärung gewonnen? Zivilisa-
tions-historisch stößt man auf die naheliegenden Gründe
einer aufstrebenden Technizität, einer Formfindung des
industrialisierten Lebens usw. Für das Wesen der Archi-
tektur, nach dem hier doch zu fragen ist, besagt auch
das gar nichts. Um dieser häufig oft recht gedanken-
armen Rederei junger und auch älterer Fanatiker wir-
kungsvoll entgegenzutreten, bedarf es einer grundlegen-
den Besinnung auf die geistigen Grundlagen architek-
tonischer Tätigkeit und auf die daraus resultierende Not-
wendigkeit einer Architektur als autochthoner Kunst
in der Gesamtökonomie der menschlichen Kultur. . .

Es seien hier Worte des Kunsttheoretikers Konrad
Fiedler (Ȇber Wesen und Geschichte der Baukunst
Bd. VI) angeführt. »Nicht so kennzeichnet sich der
künstlerische Gestaltungsprozeß in der Baukunst, daß
demjenigen, was der Forderung des Bedürfnisses und

der technischen Geschicklichkeit sein Dasein verdankte,
gleichsam von außen eine Form aufgeprägt würde, welche
gewissen, selbständigen Anforderungen Genüge leistete;
vielmehr müssen wir uns jenen Gestaltungsprozeß als
eine Art des Denkens vorstellen, dessen Inhalt die archi-
tektonischen Formen selbst bilden, dessen Fortschritt
sich dadurch kennzeichnet, daß in dem Wandel der Form
Stoff und Konstruktion immer mehr verschwinden, wäh-
rend die Form, die dem Geist angehört, sich zu immer
selbständigerem Dasein entwickelt. Das architekto-
nische Denken ist nicht nur ein bloßes Erfinden und
Kombinieren, auch nicht ein Formen und Gestalten nach
gegebenen Gesetzen, sondern ein Vorgang, der sein
alleiniges Gesetz in sich selbst hat, indem er, — wenn
er überhaupt ein Denken heißen will, — in dem Streben
bestehen muß, das ihm gegebene Material zu einem
immer reineren geistigen Produkt zu verarbeiten. Archi-
tektonisches Bewußtsein in künstlerischem Sinn können
wir nur da anerkennen, wo in den Formen ein geistiger
Entwicklungsprozeß sichtbar wird, wo ein lebendiges
Streben nach immer reinerem geistigen Ausdruck in der
Entwicklung der architektonischen Formen zum Aus-
druck kommt . . Die Form hat kein anderes Dasein als
im Stoff, und der Stoff ist für den Geist nicht nur das
Ausdrucksmittel der Form, sondern das Material, in
dem die Form überhaupt zum Dasein gelangt.« ....

Man sieht, Fiedlers Worte richten sich noch gar nicht
gegen eine Leugnung der Architektur als Kunst über-
haupt. Solche Anomalie des Denkens hatte er gar nicht
für möglich gehalten. Sie richten sich nur erst gegen
den Anspruch einer Pseudo-Architektur, umreißen darin
aber das Wesen der Architektur so grundlegend, daß
die Richtung der Gedanken von selbst tiefer treibt bis
auf die Ebene, auf der es heute gilt, die Architektur als
Kunst zu verteidigen. Was er für die Kunst als Archi-
tektur sagt, schließt implicite seine Gründe für die
Architektur als Kunst ein. Eine direkte Beweisführung
könnte an Schmarsows Begründung der Architektur
als »absoluter Raumschöpfung« anknüpfen, könnte über-
haupt das Wesen der architektonischen Schöpfung aus
dem körperlich-räumlichen Empfinden- und Gestalten-
müssen des Menschen ableiten..............

Es mag hier genügen, Fiedlers Worte als Anknüpf-
ungspunkt für ein mögliches Verständnis der heutigen
Situation zu nützen. (Dies auch der Grund gerade dieses
Zitats!) In diesem radikalen Zurückgehen heutiger Archi-
tekten auf »Zweck und Material« bekundet sich der
Wille der Entwicklung, die neuen Bedingungen archi-
tektonischer Schöpfung »ex fundo« zu studieren, ihre
Formmöglichkeit und -Willigkeit aus ihren stofflichen
Bedingungen herauswachsen zu lassen, um so einen
neuen Grund zu legen für ein eigentliches architek-
tonisches Denken, was lange Zeiten wilden »Formens«
verschüttet haben. So wenden sich jene Proklamationen
kunstentsagender Architekten also letztlich doch wieder
ins Positive, d. h. gerade sie bereiten den Grund für
eine zukünftige Baukunst. Daß sie es entgegen ihrem
eigenen Denken tun, ficht die Idee nicht an, die hierin
wieder eine ihrer Listen spielen läßt! Und hoffentlich
auch zu ihrem Ziel gelangt. . . dr. oskar schürer-prag.
 
Annotationen