Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 36.1925
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https://doi.org/10.11588/diglit.11737#0346
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Ziegler, Leopold: Vom Gestalt-Wandel: Geformtheit und Werde-Lust
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INNEN-DEKORATION
architekt ludwig kozma —budapest sofa u. kästchen in einem schlafzimmer
VOM GESTALT-WANDEL
geformtheit und werde-lust
Wir Deutsche sind ein Sucher- und Wandervolk, ein vielleicht der Deutsche seine Unvollendung, und zieht sie
»Volk des Werdens«, inmitten der scheinbar instinktiv jedem fertigen Zustand, jeder »Klassik« vor.
befestigten Zustände eines seit langem seßhaft gewor- Aber wo die »Klassik« zugunsten des niemals voll-
denen Kontinents . . Nicht ärmer dabei an bildnerischen, endeten, niemals vollendbaren Wesens und »Werdens«
an formwilligen Kräften und Fähigkeiten im Vergleich der unendlichen Seele schon darum, weil sie endgültige
zu seinen westlichen und östlichen Nachbarn. Auf den Form zu sein behauptet, geleugnet oder abgelehnt wird,
Tummelplätzen künstlerischer Gestaltungstriebe geriet schädigt sich auf die Dauer das gesellschaftliche Leben
uns immer wieder von Zeit zu Zeit das preiswürdige und Werden als solches am empfindlichsten, indem es sich
Wunder makelloser Geformtheit und Ausgegossenheit.. unberührt und unbefruchtet erhält von sämtlichen f orm-
Keineswegs also, daß der Deutsche der gestaltenden spendenden Tendenzen, die ihrerseits die Entstehung
Gaben überhaupt entbehre oder zu karg mit ihnen aus- klassischer Werke, klassischer Meister begünstigen. . .
gestattet sei, hebt von ihn von den übrigen Völkern des Schlechthin »dämonisch« verdient jenes rätselhafte
Festlands ab. Aber vielleicht das bei weitem Eingrei- Verhalten des »faustischen« Deutschen zu einer fertig
fendere und Entscheidendere, daß er nämlich jede Ge- gebildeten Wiiklichkeit und rund geballten Welt ge-
formtheit, jede Vollendung, — sobald er sie oder sie nannt zu werden. Wer wäre kurzsinnig genug, diese
ihn gefunden hat, gleich wieder zerbricht, zerbrechen deutsche »Dämonie des Werdens«, die uns das Innerste
muß als eine bloße Vorläufigkeit und Einstweiligkeit, der eigenen Seele aufschloß, nicht gleichzeitig auch in
die ihm auf die Dauer nicht genugtun kann....... Äußerstem und Äußerlichstem wirksam zu finden? . .
Wo Trieb, Neigung, Sehnsucht, Wunsch der bevor- Der Rausch der unbegrenzten Menge, unbegrenzten
zugte, der bejahte Lebenszustand ist, muß die »Erfüllung« Größe, unbegrenzten Zahl ist deutsch. Vielleicht lohnte
notwendig als eine Störung, ja Aufhebung unwillkommen einmal eine Untersuchung, was etwa in dem Phänomen
sein. Ia Fällen dieser Art wird es geschehen, daß die des »Amerikanismus«, — dem doch von allen kontinen-
lebendige Tendenz als unerfüllter Zustand die Erfüllung talenVölkern wir am schärfsten schon dem vor dem Kriege
meidet, sogar widerruft, wofern sie ihr da und dort zuteil verfallen waren, — wurzelhaft deutscher Herkunft istl
wird auf Kosten ihrer eigenen Ungestilltheit. So liebt leopold ziegler. (»dashbiugr reich der dbctschex«. rrichl-verlag.)
INNEN-DEKORATION
architekt ludwig kozma —budapest sofa u. kästchen in einem schlafzimmer
VOM GESTALT-WANDEL
geformtheit und werde-lust
Wir Deutsche sind ein Sucher- und Wandervolk, ein vielleicht der Deutsche seine Unvollendung, und zieht sie
»Volk des Werdens«, inmitten der scheinbar instinktiv jedem fertigen Zustand, jeder »Klassik« vor.
befestigten Zustände eines seit langem seßhaft gewor- Aber wo die »Klassik« zugunsten des niemals voll-
denen Kontinents . . Nicht ärmer dabei an bildnerischen, endeten, niemals vollendbaren Wesens und »Werdens«
an formwilligen Kräften und Fähigkeiten im Vergleich der unendlichen Seele schon darum, weil sie endgültige
zu seinen westlichen und östlichen Nachbarn. Auf den Form zu sein behauptet, geleugnet oder abgelehnt wird,
Tummelplätzen künstlerischer Gestaltungstriebe geriet schädigt sich auf die Dauer das gesellschaftliche Leben
uns immer wieder von Zeit zu Zeit das preiswürdige und Werden als solches am empfindlichsten, indem es sich
Wunder makelloser Geformtheit und Ausgegossenheit.. unberührt und unbefruchtet erhält von sämtlichen f orm-
Keineswegs also, daß der Deutsche der gestaltenden spendenden Tendenzen, die ihrerseits die Entstehung
Gaben überhaupt entbehre oder zu karg mit ihnen aus- klassischer Werke, klassischer Meister begünstigen. . .
gestattet sei, hebt von ihn von den übrigen Völkern des Schlechthin »dämonisch« verdient jenes rätselhafte
Festlands ab. Aber vielleicht das bei weitem Eingrei- Verhalten des »faustischen« Deutschen zu einer fertig
fendere und Entscheidendere, daß er nämlich jede Ge- gebildeten Wiiklichkeit und rund geballten Welt ge-
formtheit, jede Vollendung, — sobald er sie oder sie nannt zu werden. Wer wäre kurzsinnig genug, diese
ihn gefunden hat, gleich wieder zerbricht, zerbrechen deutsche »Dämonie des Werdens«, die uns das Innerste
muß als eine bloße Vorläufigkeit und Einstweiligkeit, der eigenen Seele aufschloß, nicht gleichzeitig auch in
die ihm auf die Dauer nicht genugtun kann....... Äußerstem und Äußerlichstem wirksam zu finden? . .
Wo Trieb, Neigung, Sehnsucht, Wunsch der bevor- Der Rausch der unbegrenzten Menge, unbegrenzten
zugte, der bejahte Lebenszustand ist, muß die »Erfüllung« Größe, unbegrenzten Zahl ist deutsch. Vielleicht lohnte
notwendig als eine Störung, ja Aufhebung unwillkommen einmal eine Untersuchung, was etwa in dem Phänomen
sein. Ia Fällen dieser Art wird es geschehen, daß die des »Amerikanismus«, — dem doch von allen kontinen-
lebendige Tendenz als unerfüllter Zustand die Erfüllung talenVölkern wir am schärfsten schon dem vor dem Kriege
meidet, sogar widerruft, wofern sie ihr da und dort zuteil verfallen waren, — wurzelhaft deutscher Herkunft istl
wird auf Kosten ihrer eigenen Ungestilltheit. So liebt leopold ziegler. (»dashbiugr reich der dbctschex«. rrichl-verlag.)