Zu Manets hundertstem Geburtstag
von GOTTHARD JEDLICKA
Vollard hat einmal Renoir gefragt, warum man Manet als Vorläufer an-
gesehen habe, obwohl seine Bilder so sichtbar von den Werken der alten
Meister beeinflußt seien. Eine Frage, die im Namen der Kunstgeschichte
getan scheint. Renoir gab ihm die Antwort, Manet sei der Fahnenträger
der Gruppe gewesen, weil er in seinen Bildern die einfache Formel ge-
geben habe, nach der sie alle gesucht hätten. Man überlege: Wo konnte
ein Geschlecht nach Courbet in fruchtbarer Weise anschließen? An Ingres?
In ihm war viel Akademie, die man verneinte. An Delacroix? In ihm
war die Zeit der Romantik gestaltet, von der man durch die Welt von
Courbet bereits getrennt war. Und Courbet? Man besaß nicht mehr die
geschlossene Welt seiner intakten Sinnlichkeit. Wirklich: Manet half allen
aus einer großen inneren Verlegenheit. Mit wunderbarer Sicherheit gab
er die einfache Formel, die um so mehr überzeugte, als sie in engem
Zusammenhang mit der japanischen Kunst stand, die gerade damals be-
kannt wurde, und zugleich manches aus der französischen Malerei in ver-
arbeiteter Form aufnahm. In der kleinen Öffentlichkeit, die feine Witterung
besaß, sah man in ihm frühe den entscheidenden Führer, eine Tatsache,
die man heute sehr leicht vergißt. Die Presse von 1868 schrieb, seine
Malerei habe Schule gemacht und nannte die Lise von Renoir. Bei gleicher
Gelegenheit bemerkte Astruc im Etendard, daß die Camille von Monet
unter demselben Einfluß stehe. In den folgenden Jahren wurden die Stim-
men häufiger, die das feststellten, und einige Wochen vor dem Tode des
Malers, in einem Aufsatz über den Salon von 1883, in dem Manet nicht
mehr ausgestellt hatte, schrieb Jacques de Biez, der ganze Salon sei eigent-
lich der Salon von Manet, so sehr zeige sich seine Wirkung in allen Bildern.
Das Führertum von Manet ist trotz alledem nicht leicht zu umschreiben.
Es steht in schroffem Gegensatz zu jenem von Courbet, das mit seinem
Auftreten zu Ende ging, und jenem von Monet, das nach ihm begann.
Es ist viel unauffälliger und doch viel präziser. Der Wille dazu, der in
ihm mächtig war, vermag nicht allein zu entscheiden, obwohl im Willen
auch schon Berufung liegt. Gerade das kluge Verwalten und Befruchten
vergangener Werte, das man in den entscheidenden malerischen Kreisen
sofort sah, bestimmte ihn zum anerkannten Führer der Gruppe, die Neues
zu sagen berufen war. Diese Maler ahnten auch, daß seine Malerei noch
eine gesellschaftliche Bindung besaß, die ihnen schon fehlte, und die sie
darum um so stärker bewunderten. Im Angriff liegt zündende Kraft, die
in der Anerkennung, die große Kreise umfaßt, häufig erlischt. Um 1870
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von GOTTHARD JEDLICKA
Vollard hat einmal Renoir gefragt, warum man Manet als Vorläufer an-
gesehen habe, obwohl seine Bilder so sichtbar von den Werken der alten
Meister beeinflußt seien. Eine Frage, die im Namen der Kunstgeschichte
getan scheint. Renoir gab ihm die Antwort, Manet sei der Fahnenträger
der Gruppe gewesen, weil er in seinen Bildern die einfache Formel ge-
geben habe, nach der sie alle gesucht hätten. Man überlege: Wo konnte
ein Geschlecht nach Courbet in fruchtbarer Weise anschließen? An Ingres?
In ihm war viel Akademie, die man verneinte. An Delacroix? In ihm
war die Zeit der Romantik gestaltet, von der man durch die Welt von
Courbet bereits getrennt war. Und Courbet? Man besaß nicht mehr die
geschlossene Welt seiner intakten Sinnlichkeit. Wirklich: Manet half allen
aus einer großen inneren Verlegenheit. Mit wunderbarer Sicherheit gab
er die einfache Formel, die um so mehr überzeugte, als sie in engem
Zusammenhang mit der japanischen Kunst stand, die gerade damals be-
kannt wurde, und zugleich manches aus der französischen Malerei in ver-
arbeiteter Form aufnahm. In der kleinen Öffentlichkeit, die feine Witterung
besaß, sah man in ihm frühe den entscheidenden Führer, eine Tatsache,
die man heute sehr leicht vergißt. Die Presse von 1868 schrieb, seine
Malerei habe Schule gemacht und nannte die Lise von Renoir. Bei gleicher
Gelegenheit bemerkte Astruc im Etendard, daß die Camille von Monet
unter demselben Einfluß stehe. In den folgenden Jahren wurden die Stim-
men häufiger, die das feststellten, und einige Wochen vor dem Tode des
Malers, in einem Aufsatz über den Salon von 1883, in dem Manet nicht
mehr ausgestellt hatte, schrieb Jacques de Biez, der ganze Salon sei eigent-
lich der Salon von Manet, so sehr zeige sich seine Wirkung in allen Bildern.
Das Führertum von Manet ist trotz alledem nicht leicht zu umschreiben.
Es steht in schroffem Gegensatz zu jenem von Courbet, das mit seinem
Auftreten zu Ende ging, und jenem von Monet, das nach ihm begann.
Es ist viel unauffälliger und doch viel präziser. Der Wille dazu, der in
ihm mächtig war, vermag nicht allein zu entscheiden, obwohl im Willen
auch schon Berufung liegt. Gerade das kluge Verwalten und Befruchten
vergangener Werte, das man in den entscheidenden malerischen Kreisen
sofort sah, bestimmte ihn zum anerkannten Führer der Gruppe, die Neues
zu sagen berufen war. Diese Maler ahnten auch, daß seine Malerei noch
eine gesellschaftliche Bindung besaß, die ihnen schon fehlte, und die sie
darum um so stärker bewunderten. Im Angriff liegt zündende Kraft, die
in der Anerkennung, die große Kreise umfaßt, häufig erlischt. Um 1870
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