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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 8
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Eisenstadt, Mussia: Ein Museum der kunstgewerblichen Typen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0324

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Ein Museum der kunstgewerblichen Typen

von MUSSiA EISENSTADT

Der Großstädter, der in einer überzivilisierten Umwelt aufwächst, muß die Fülle der
Bildungsmöglichkeiten mit einer Einbuße der natürlichen, schnell verkümmerten Fähig-
keiten des ursprünglichen Menschen bezahlen. Während ihm Kenntnisse fast mühelos
zufliegen, die späten Errungenschaften der Menschheit — Lesen, Schreiben, Rechnen —
seinem kindlichen Hirn dauerhaft eingegraben werden, verblaßt die ursprüngliche Frische
seiner Wahrnehmung. Gut Atmen, Schreiten, Sehen lernt er erst spät, mit Hilfe von
Pädagogen und nicht ohne Mühe. Die Geräte, die ihn umgeben, benutzt er stumpf und
blicklos.

Alle Erziehungsmethoden des letzten Jahrzehnts zielen dahin, diese Grundschäden der
Zivilisation auf ein Mindestmaß zu bringen. Die in den letzten Monaten in Berlin ge-
zeigten Ergebnisse des Werk- und Zeichenunterrichts an den Schulen, die vorzügliche
Gebrauchsgerätausstellung der Kunstbibliothek waren deutlich Mittel dieser klargefaßten
Absicht. Daß es möglich ist, ihr auch mit dem heute leicht mißachteten Material des
Kunstgewerbes — von den urzeitlichen Anfängen bis zur Gegenwart — zu dienen, be-
weist das neue Kunstgewerbemuseum in Köln.

Der Direktor Karl With hat, ohne Einsatz großer Geldmittel, die Gegenstände aus ihren
üblichen musealen Zusammenhängen herausgenommen; er betrachtete sie, historisch und
regional voraussetzungslos, auf jene Konstanten hin, die aus der gleichbleibenden Modalität
der Entstehungsbedingungen und des Zwecks die Gesetzlichkeit einer Formgestalt ver-
bürgen. Es kam ihm, einem durchaus „ werkbündisch" Eingestellten, darauf an, Anschauungs-
kategorien zu finden, die für jedes Gerät ihre Geltung bewahren: Werkstoff und Ver-
arbeitung, Zweck und Form, Farbe und Ornament. Damit sind zugleich die drei
Abteilungen des Museums bezeichnet, die wiederum in sich nach typologischen Merkmalen
geordnet sind. Die bis jetzt fertiggestellten Säle des „Aufbewahrungsgeräts" zeigen die
den Bedürfnissen des Menschen dienenden Grundtypen (Urne, Topf, Kiste, Truhe, Schrank)
in der Abfolge, die dem Weg von den primitivsten bis zu den differenzierten Lebens-
gewohnheiten entspricht. Jedes Gerät wird auf seine zweckhafte Grundform und ihre
Abwandlungen bis zu den reichsten Spielarten hin angesehen und vorgeführt. Durch die
lockere und instinktsichere, aufreizend asymmetrische Anordnung sprechender Formen, durch
die schlichte, aber nie eintönige Gliederung und Tongebung der Räume wird das Thema
unmittelbar und suggestiv entwickelt.

Hat dieses Museum eine Idee'r Man könnte einwenden, daß diese, ohne lehrhaft zu be-
vormunden, ungemein belehrende Darbietung mitunter übersichtliche Trennuugslinien
zieht, wo Kanäle zu graben wären. Wenn man der Darstellung des „Ornaments" folgt —
vom geometrischen über das bildgeometrische und bildhafte zum „Stil-Ornament" —, so
genießt man die sinnliche Richtigkeit der Anordnung, ohne von ihren grundsätzlichen
Voraussetzungen überzeugt Zu sein. Die Gegensatzpaare naturnah-naturfern, bildhafte
Ornamentik- („entwurzelte") Stilornamentik sind einleuchtend als Raumbeschriftung,
aber im Grunde ungenau. Sie verführen den Betrachter dazu, auf allzu einfache Weise
Probleme der Formensprache und ihres Naturgehalts zu „übersehen".
Hat er, dank der sauberen Anschaulichkeit dieser neuen musealen Anordnung, die Typen
der kunstgewerblichen Urformen — und damit die Form überhaupt — zugleich mit der
blühenden Mannigfaltigkeit ihrer Spielarten sehen gelernt, so wird er immer noch weit
von der im Katalog als „Wirkungsmöglichkeit eines Kunstgewerbemuseums" postulierten
Geisteslage sein, „das künstlerische Anschauungserlebnis zu Erkenntnissen weiterzuleiten".

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