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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 10
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M. E.: Kunstmarkt, nicht ohne Terror
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0406

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Kunstmarkt, nicht ohne Terror

Was hat der Kunstmarkt mit Terror zu schaffen? Folgendes: Frau v. Ihne, die Witwe
des verstorbenen, in der wilhelminischen Aera sehr bekannten Hofarchitekten v. Ihne,
wegen ihrer großartigen Blindenbibliothek als Philantropin sehr verehrt, hatte die Firma
P. Graupe, dann, infolge verschiedener Unstimmigkeiten, die Firma Keller u. Reiner mit
der Auflösung ihres Kunstbesitzes beauftragt und einen Vorschuß von 43 000 Mark er-
halten. Für den Fall, daß der Staat die Sammlung zugleich mit der Blindenbibliothek
ankaufen werde, war ein Rücktrittsrecht der Auftraggeberin vertraglich vorgesehen. Nach-
dem das Auktionshaus in wiederholten Verhandlungen die Ansetzung eines Versteigerungs-
termins nicht durchsetzen konnte, erklärte Frau v. Ihne am 1. Februar, sie mache von
ihrem Rücktrittsrecht Gebrauch. Da sie aber ihr Versprechen, den Vorschuß zurückzu-
erstatten, nicht erfüllen konnte und auf die Vorschläge der Firma, doch noch eine frei-
willige Auktion zu veranstalten, nicht einging, wurde eine Zwangsversteigerung angesetzt.
Der Gesamtwert wurde von dem gerichtlichen Sachverständigen der Gläubigerfirma
auf 96000 Mark geschätzt; empört über diese ihrer Ansicht nach geringe Taxe berief
Frau v. Ihne ihrerseits Professor Lehnen, dessen Schätzung jedoch um 19000 Mark
niedriger ausfiel. Der Gläubigerfirma wurde angedroht, die Zeitung „Angriff" werde
sich der Sache annehmen. Am 15. Juli erschien, eine Viertelstunde vor Beginn der
Versteigerung, ein improvisiertes Rollkommando von etwa 25 Swastikarittern, in einer
Art von Interimsuniform — Abzeichen, soweit vorhanden, wurden später abgelegt —,
welches von dem Sohn der Frau v. Ihne in die oberen Wohnräume geführt wurde, da nur
Auktionsteilnehmer in den Saal hineingelassen werden sollten. Nach Beginn der Ver-
steigerung stellte sich der Trupp hinter den Stühlen der Bietenden auf und terrorisierte
sie. Auf ein Stichwort hin („schlagt zu!") wurden Bänke umgeworfen, einige Auktions-
teilnehmer verletzt, alle unflätig beschimpft. Die meisten flohen. Dem Überfallkommando
gelang es, sechs Angreifer, darunter eine besonders vehemente Dame, festzunehmen.
In den Gerichtsverhandlungen, die diesem eigenartigen Überfall vorangingen und folgten,
wurden recht unerfreuliche Tatbestände aufgedeckt. Einen vorläufigen, sicherlich für beide
Parteien unbefriedigenden Abschluß hat die Moritat am 16. September gefunden, der
vom Gericht als neuer Versteigerungstermin angesetzt war. Schupoposten bewachten den
Eingang, Kriminalkommissare den Saal, Einlaß erhielt nur, wer bare 100 Mark vorzeigen
konnte. Ob es nun dieser nüchtern zynischen Maßnahme oder anderen Einwirkungen zu
verdanken war, jedenfalls verlief die Sitzung völlig ungestört. Vor Beginn überraschte
Frau v. Ihne die Anwesenden, die an dem Julitumult wahrhaftig unschuldig waren, durch
die Mahnung, sich dem Ort geziemend anständig zu benehmen. Die eigentlichen Museums-
stücke blieben unverkauft; da auch die großen Sammler und Händler — mit Ausnahme
des Hauses Margraf, welches zwei vortreffliche flämische Verdüren für 5200 Mark er-
warb — kaum vertreten waren, gelang es erst der gleich nach Schluß der Versteigerung
wiederholten Ausbietung, für die besseren Objekte das Limit der halben Gerichtstaxe zu
erzielen. Das klarste Ergebnis dieser total verfahrenen Angelegenheit ist wohl, daß die
Gesamtsumme die Forderung der Gläubiger nicht deckt.

Abgesehen von diesem absurden, hoffentlich unwiederholbaren Fall scheinen die Aus-
sichten der kommenden Berliner Auktionen nicht ungünstig, jedenfalls besser als die des
reinen Kunsthandels. Ball und Graupe kündigen niederländische Gemälde, Porzellan,
Fayencen, Farbstiche, Möbel, Tapisserien an. P. Cassirer wird nach zweijähriger Pause
wieder Auktionen in Berlin veranstalten und bereitet zum 20./21. Oktober eine inter-
essante gemischte Versteigerung vor: des Nachlasses von Lesser Ury, ferner die in den
achtziger Jahren entstandene Sammlung alter Meister des Geheimrats Frenkel. Aus der
Sammlung G. S. werden vornehmlich französische Gemälde ausgeboten werden: von
van Gogh ein Torso und eine Alpenlandschaft, von Gauguin ein frühes Männerporträt
und eine ungewöhnliche Flußlandschafr, von Manet die Skizze eines Mädchenkopfes,
von Cezanne ein südliches Frauenköpfchen, ferner eine farblich reizvolle Gitarrespielerin
von Renoir und ein hauchzartes, bewegtes Tänzerinnenpastell von Degas. Die Bestände
aus mehreren Privatsammlungen enthalten u. a. Faustskizzen von Corinth. M. E.

Einunddreißigster Jahrgang, zehntes Heft. Redaktionsschluß am ~o. September, Ausgabe am 10. Okr. 19J1.
Für die Redaktion verantwortlich: Karl Scheffler, Berlin. Verlag Bruno Cassirer.
Gedruckt in der Offizin von Fr. Richter G.m.b.H., Leipzig.

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