Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0385
DOI issue:
Heft 10
DOI article:Mann, Klaus: Richard Hallgarten: 5. Mai 1932
DOI Page / Citation link: https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0385
RICHARD HALLGARTEN, RADIERUNG
Richard Hallgarten f 5. Mai 1932'
von KLAUS MANN
Ricki Hallgarten war siebenundzwanzig Jahre alt, als er sich in Utting
am Ammersee erschoß.
Er hätte es nicht getan, wenn er in irgendeinem greifbaren Sinne „un-
glücklich" gewesen wäre. Das reale Unglück wiegt gering für Menschen
von seiner Art, sie setzen ihren Ehrgeiz darein, mit ihm fertig zu wer-
den. Daß er das Glück nicht mehr ertragen konnte, erst das trieb ihn in
die Verzweiflung. Es stand alles so gut. Eine Fülle von Leben bot sich
ihm an. Er aber meinte, daß schon das Leben selber ein Fluch sei, den
er keinesfalls mehr aushalten könnte. Gleichzeitig liebte er noch das Le-
ben. Er versuchte mit allen seinen Kräften zu erzwingen, daß in ihm diese
Liebe siegte, statt dieser Dunkelheit. Sein Wille stand auf der Seite des
Lebens. Man darf nicht sagen, er hat sterben „wollen"; er hat leben
wollen, das ist gewiß. Aber die Sucht zum Tode verfolgte ihn, wie der
unbarmherzige Mörder sein Opfer. Schließlich konnte er nicht länger
standhalten. Er hat sich furchtbar Mühe gegeben, immer wieder versucht,
das Dunkle abzuwehren. Denn er war tapfer. Der Kampf dauerte lang.
* Aus einer Erinnerungsschrifr.
371
Richard Hallgarten f 5. Mai 1932'
von KLAUS MANN
Ricki Hallgarten war siebenundzwanzig Jahre alt, als er sich in Utting
am Ammersee erschoß.
Er hätte es nicht getan, wenn er in irgendeinem greifbaren Sinne „un-
glücklich" gewesen wäre. Das reale Unglück wiegt gering für Menschen
von seiner Art, sie setzen ihren Ehrgeiz darein, mit ihm fertig zu wer-
den. Daß er das Glück nicht mehr ertragen konnte, erst das trieb ihn in
die Verzweiflung. Es stand alles so gut. Eine Fülle von Leben bot sich
ihm an. Er aber meinte, daß schon das Leben selber ein Fluch sei, den
er keinesfalls mehr aushalten könnte. Gleichzeitig liebte er noch das Le-
ben. Er versuchte mit allen seinen Kräften zu erzwingen, daß in ihm diese
Liebe siegte, statt dieser Dunkelheit. Sein Wille stand auf der Seite des
Lebens. Man darf nicht sagen, er hat sterben „wollen"; er hat leben
wollen, das ist gewiß. Aber die Sucht zum Tode verfolgte ihn, wie der
unbarmherzige Mörder sein Opfer. Schließlich konnte er nicht länger
standhalten. Er hat sich furchtbar Mühe gegeben, immer wieder versucht,
das Dunkle abzuwehren. Denn er war tapfer. Der Kampf dauerte lang.
* Aus einer Erinnerungsschrifr.
371