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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 5
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Waldmann, Emil: Moskauer Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0196

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Moskauer Ästhetik

von EMIL WALDMANN

In Kunstkreisen weiß man, daß die altberühmte Gemäldegalerie der Peters-
burger Eremitage im heutigen Leningrad ihre Bilder alter Meister aus-
verkauft. Praktisch kann man dort heute jedes Bild kaufen, wenn man
nur genügend Geld aufbringt. Zwar ist Rembrandts Spätwerk „Der verlorene
Sohn" noch da; es hat sich noch niemand gefunden mit den vier Millionen
Dollar, die das kostet und auch kosten muß, da die Sowjetleute die Kunst-
handelspreise, auch für Bilder, die sie nicht mehr haben wollen, genau,
unheimlich genau, kennen. Aber im allgemeinen ist die Lage die, daß,
abgesehen auch von Werken zweiten Ranges und von griechischen Gold-
sachen bester Zeit, ein Meisterwerk nach dem anderen die Eremitage verläßt.
Der Jan van Eyck hängt in Amerika, die beiden Prachtbildnisse des Antonis
Mor hängen für 400000 Mark in Rijksmuseum in Amsterdam und von
den vierzig Rembrandts, dem einstigen Stolz der Galerie, fehlt auch schon
beinahe ein Dutzend. Die schönsten hat der größte Sammler der Welt
übernommen, der amerikanische Staatssekretär Mellon in Washington.
Nun braucht man dabei nicht über Kulturverlust für die ganze Welt zu
klagen. Die Bilder sind ja nicht unsichtbarer geworden durch diesen Besitz-
wechsel. Im Gegenteil, wer ein ernsthaftes Interesse an ihnen hat, wird
in die Sammlung Mellon hineingelassen und von den Menschen, die über-
haupt noch reisen können, kommen die meisten leichter nach Washington
als nach Leningrad.

So könnte man die Sache auf sich beruhen lassen und sich mit der Er-
klärung beruhigen, daß der Sowjet-Staat für die Durchfuhrung seiner
Fünfjahrpläne eben Devisen braucht und sie nimmt, wo er sie bekommen
kann und die Hergabe von Kunstwerken, leider, als ein wenn auch kleineres
Übel anzusehen gezwungen sei.

Es ist aber nicht so und hat mit Devisen nur in zweiter Linie zu tun.
An erster Stelle wirkt eine neue, wenn man so sagen darf: Kulturgesinnung.
In dem eben in Paris erschienenen internationalen Sammelband „Musees",
an dem die hervorragendsten Vertreter der Kunstwissenschaft und des
Museumswesens aller Länder mitgearbeitet haben, äußert sich der Kunst-
geschichtsprofessor an der Leningrader Universität, Theodore Schmit, über
den Zweck und das Wesen der Kunst und der Museen im neuen Staat.
Das ist alles ganz einfach, so einfach, daß es auch ein Kind begreifen,
ja noch einfacher: so einleuchtend, daß es nur ein Kind begreifen kann.
Durch die Revolution des Jahres 1917 wurde das russische Volk Erbe des
einst kaiserlichen, feudalen oder bourgeoisen Kunstbesitzes; und nun han-
delte es sich darum, aus diesem Kunstbesitz wirklich einen Wert für das

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