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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 1 und 2
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Das neue Format
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Eckstein, Hans: Künstlernot und Kunstpflege in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0071

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schafft das Niveau, über das sich die große Begabung erhebt. Aber wer sagt, wo der
Durchschnitt aufhört und das Unterdurchschnittliche beginnt? Die Frage stellt vor ein
peinliches Dilemma. Denn auch die Unerprobten, deren Talent verspricht, können nicht
übergangen werden; das Risiko, daß sie ihr Versprechen nicht einlösen, ist in Kauf zu
nehmen. Vor Mißgriffen gibt es überhaupt keine absolute Sicherheit. Je entschiedener
man die Kunstpflege jedoch rein künstlerischen Gesichtspunkten, der Frage der Form-
qualität also, unterstellt und von bloßen karitativen Maßnahmen Abstand nimmt, desto
geringer wird die Gefahr vor Fehlgriffen. Denn es wird für eine tätige Kunstpflege im
Gegensatz zu einer karitativen Künstlerunterstützung in keinem Falle vertretbar sein,
das künstlerische Gesamtniveau durch eine planlose Wohlfahrtspflege, die eine natürliche
Regulierung der Produktion durch Angebot und Nachfrage völlig unterbände, herabzu-
drücken, anstatt mit allen Mitteln die heutige in wirtschaftlicher wie künstlerischer Hin-
sicht völlig wahnwitzige Überproduktion einzudämmen (auch durch Abbau der Kunstschulen).
Es läßt sich schwer abschätzen, welchen Anteil rein wirtschaftliche Ursachen an der
vielbesprochenen Krise haben. So gewiß sich die gegenwärtige wirtschaftliche Depression
als weitere Belastung der Lage auswirkt, so gewiß sind die inneren, die psychologischen
Gründe dieser Krise ungleich entscheidender. Soviel ist gewiß: die Kunst ist nicht gestor-
ben und wird nicht sterben; weder die Technik noch eine etwa zu konstatierende Verlagerung
der ästhetischen Bedürfnisse werden sie überflüssig machen. Eines allerdings scheint die
Technik (Foto, Film etc.) vernichten zu wollen: jene Pseudokunst, die nicht am Gegenstande
wächst, sondern sich in ihm erschöpft, das heißt das reine Interesse am Bildgegenstand,
jene manuelle Reproduktion der Wirklichkeit, die von jeher künstlerischer Formqualitäten
bar war. Sie hatte seither, wenn auch nie eine künstlerische, so doch eine soziologisch-
wirtschaftliche Existenzberechtigung. Auch diese hat sie heute verloren und sie wird sie
kaum wieder gewinnen. Wahrlich kein Anlaß, um über die „Kunstmüdigkeit" unsrer Zeit
zu klagen; dieses Sterben ist ein Glück für die Kunst.

Das alte Ausstellungswesen hat ersichtlich abgewirtschaftet und was heute an seine
Stelle zu treten hätte, wäre zweifellos gegen die Wünsche der Künstlerschaft selbst
durchzusetzen. Denn sie vertritt in ihren Organisationen wesentlich die Interessen des
Berufsstandes als solchem, ohne Ansehen der künstlerischeil Leistung im einzelnen. Das
ist ihr unbestreitbares Recht." die Landwirte betteln um Zölle, der Einzelhandel um
Warenhaussteuer, die Künstler verlangen Staatsankäufe und geldliche Beihilfen für ihre
Ausstellungen (Beiträge zu ihren Werbungskosten). Aber hat der Staat die Pflicht oder
auch nur das Recht, diese Forderungen anzuerkennen, die nachweislich einer wirklichen
Sanierung der Lage nicht dienen? Die Kollegialität und wohl noch mehr die unkollegia-
len Eifersüchte unter den einzelnen Verbänden, Gruppen, Grüppchen und ihren Mit-
gliedern haben die repräsentativen Massenaufmärsche von Kunstwerken, wie sie alljähr-
lich an mehreren Stellen des Reiches stattfinden, sanktioniert. So ungern der einzelne
Künstler oder Verband diesen Kunstbetrieb heute mitmacht, so hält man doch aus Grün-
den der Opportunität an dieser durch öffentliche Gelder ermöglichten, durch offizielle
Eröffnungsfeiern mit Ministerreden und Wagnerschen Ouvertüren pomphaft eingesetzten
Kunstparaden fest. Man wird nicht vergessen dürfen, was einzelne Künstlerverbände
Fruchtbares geleistet haben, wo sie unter der Leitung bedeutender Persönlichkeiten gestan-
den haben, wie die Berliner Secession unter Liebermann. Aber die Gegenbeispiele zu
diesem Glücksfall sind häufiger und blickt man auf das Ganze, so wird einem schwer-
lich beikommen, eine Apologie der Künstlergruppen zu schreiben. Die ernsthafte Be-
mühung dieses oder jenes Verbandes, das Übel zum Besseren zu wenden (auch im
Münchner Glaspalast gab es erfreuliche Ansätze dazu), soll nicht verkannt werden. Die

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