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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 4
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Heine, Theodor Thomas: Wilhelm Busch: zu seinem 100. Geburtstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0139

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Wilhelm Busch. Zu seinem 100. Geburtstag

Von TH. TH. HEINE

Sobald der Künstler tot ist, fängt der Nachruhm an. Das heißt, daß sich
dann die Kunstgelehrten zwischen ihn und sein Werk stellen und überall
tiefe Probleme sehen, die zu lösen sie sich berufen fühlen. Krampfhaft
vermeiden sie, ein Kunstwerk einfach als das zu betrachten, was es ist.
Da sie nichts vom Handwerklichen wissen, fällt ihnen niemals ein,
daß gutes Handwerk Wesen und Grundlage jeder Kunst ist. Auch Wil-
helm Busch ist dem Schicksal nicht entgangen, von Literaten auf den
kunstgeschichtlichen Seziertisch geschleppt zu werden. Die Resultate ihrer
Forschung liegen sauber in Schubfächer verteilt und sind mit den vor-
rätigen Etiketten versehen: Deutsches Gemüt — Skeptizismus — Alogis-
mus — Ethischer Optimismus — Niedersächsisches Bauerntum — Melan-
cholie — Innere Religiosität — Pessimistische Philosophie usw. Ich vermisse
nur ein Schubfach mit der Etikette: Zeichenkunst. Denn das ist die Haupt-
sache: die Zeichnungen Büschs sind etwas ganz Einziges. Liebermann hat
einmal gesagt: Zeichnen ist Weglassen. Ja, so scheint es, wenn man das
Resultat betrachtet. Ich glaube aber kaum, daß jemals gute Zeichnung
durch bloßes Weglassen des Unwesentlichen entstanden ist. Je mehr es
dem Zeichner gelingt, das Leben durch wenige Linien wiederzugeben,
desto näher ist er der Vollendung. Die gute Zeichnung ist immer eine
Neuschöpfung in vereinfachter Form, eine Art Stenographie des Ange-
schauten. Busch ist der eigentliche Erfinder der zeichnerischen Kurzschrift.
Ich weiß keinen Vorgänger, dem es gelungen wäre oder der auch nur
versucht hätte, in so knappen Strichen das Leben einzufangen, durch einen
einfachen Federzug so unerhört gesteigerte Bewegung, so unvergeßliche
Typen mitsamt der ihnen zukommenden Umgebung auf einem kleinen
Blättchen Papier hervorzuzaubern. Das ist die höchste Vollendung des
Handwerks, daß kein Tropfen Schweiß an dem fertigen Werk zu kleben
scheint. Ich zweifle nicht, daß diese Leichtigkeit nur durch viel Arbeit
und gründliche Mühe erreicht werden konnte, so wie der Japaner einen
fliegenden Vogel, einen Blütenzweig tausendmal beobachten und abbilden
mußte, um ihn dann wie im Spiel mit dem Tuschpinsel entstehen zu lassen.
Als Wilhelm Busch nach München kam, war die Kunstanschauung der
Nazarener noch in ihren letzten Ausklängen vernehmbar, und sicher hat
ihn ihre streng lineare Gesinnung stark beeinflußt. Einen Studienfreund
von ihm aus jener Zeit, v. Beckerath, lernte ich um 1890 in München
kennen und sah mit Erstaunen, daß der noch immer Kartons im Sinne
Führichs und Genellis zeichnete. Der alte Herr sprach sein Bedauern dar-
 
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