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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 9
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Friedländer, Max J.: Über die Darstellung der Bewegung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0327

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Über die Darstellung der Bewegung

von M. J. FRIEDLÄNDER

Der Körper, der sich bewegt oder bewegt wird, also im Zeitablaufe seinen
Ort wechselt, seine Stellung verändert, kann bildlich nicht dargestellt wer-
den. Aus dieser dürren Tatsache könnte ein Ästhetiker — was könnte
ein Ästhetiker nicht — das Gesetz ableiten, der Künstler habe sich da-
rauf zu beschränken und solle seine Kraft darauf konzentrieren, den in
seiner Lage verharrenden Gegenstand nachzubilden. Solches Gesetz hat
niemals gegolten. Im Gegenteile: die Maler waren zu allen Zeiten bemüht,
den Schein der Bewegung hervorzurufen. Das Sich-Bewegen ist für das
Auge Merkmal des Lebens, und die Sehnsucht, das Leben zu erfassen, be-
stimmt den Weg der Kunst. Die Künstler wurden geliebt, weil sie Un-
mögliches begehrten. Eine Lösung gibt es nicht. Gäbe es eine Lösung,
so gäbe es nur eine Lösung und keine Entwicklung der Kunst und
keine Kunst.

Das Verlangen nach Bewegung steht in Wechselwirkung mit dem Streben nach
Tiefenraum. Raum wird von dem sich darin bewegenden Körper erschaffen.
Der Künstler nimmt den Ablauf der Bewegung wahr, erlebt ihn, kann
ihn aber nicht wiedergeben, wohl aber vermag er, Stellungen zu bilden,
die von Aktionen, deren Ergebnisse sie sind, berichten. Er zeigt einen
Formenkomplex, der, wie der Querschnitt über ein dreidimensionales Bau-
werk, über das Vorher und Nachher aussagt. Die photographische Moment-
aufnahme gestattet, zeitliche Querschnitte in Menge sichtbar zu machen.
Diese „richtigen" Bilder wirken peinlich. Wir sehen nicht das trabende,
sondern ein inmitten des Trabens aufgehaltenes Pferd.
Der Künstler ruft die ersehnte Illusion nicht etwa hervor durch Nach-
bildung einer „richtigen" Momentaufnahme, vielmehr trachtet er nach der
Quintessenz aus den Momentaufnahmen.

Der Beobachter der Bewegung ist vorzugsweise auf die Fernsicht angewiesen.
Je kleiner der Körper, je größer sein Abstand von unserm Auge, um so
langsamer, demzufolge faßbarer vollzieht sich der Vorgang. Ein Vogel, der
hoch am Himmel fliegt, scheint zu ruhen. Die Entfernung wirkt als Zeit-
lupe. Wir können die Flügellage scharf und genau nachbilden und damit
Bewegung suggerieren, ohne daß die Bildstarre der Illusion entgegenwirkt.
Es gibt Gemälde, etwa aus der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhun-
derts, in denen das Getümmel im Hintergrunde mit der im Vordergrunde
herrschenden Ruhe in auffälligem Widerspruche steht.
Der Maßstab allein entscheidet nicht. Der Maler kann das detailarme, sil-
houettenhafte Ferngesicht in den großen Maßstab übertragen.

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