Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0330
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Heft 9
DOI article:Friedländer, Max J.: Über die Darstellung der Bewegung
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Mit der Sehweise Potters kann allenfalls ein Bildnis gemalt werden.
Schließlich hat Potter ja so etwas wie das Porträt eines Stieres zustande
gebracht. Das Tier interessiert uns aber nicht als Individualität, vielmehr
als Kreatur seiner Art, als aktionsfähiger Organismus. Eine menschliche
Persönlichkeit nimmt uns mit ihren besonderen, einmaligen Formeigen-
schaften so stark in Anspruch, daß wir sie genau und eingehend betrachten,
ohne an der Bewegungslosigkeit Anstoß zu nehmen.
Uberall, wo der Schwerpunkt der seelischen Anteilnahme auf dem animali-
schen Leben, dem Werden, dem Geschehen, der Aktion liegt, kann uns der
Künstler nicht anders genügen und sich seinem Ziele nähern als mit der
Skizze, mit der Zeichnung, und muß unserer nachschafFenden und ergänzen-
den Phantasie durch Auslassung Spielraum und freie Bahn gewähren.
Nur auf der Ebene der Unwirklichkeit wird die Illusion der Bewegung
geweckt. Nicht absichtlich betritt der Künstler diese Ebene, er wird viel-
mehr, redlich bemüht, das Flüchtige zu erjagen, der Vision hingegeben,
dorthin getragen, sei es, daß er nach Mitteln langt, die, ihrem Wesen nach
naturfremd, von sich aus stilisieren, wie der griechische Vasen-Maler, sei
es, daß er in Drang, Sturm und Rausch zur Kurzschrift greift.
MARC CHAGALL, VIEHHÄNDLER. 1911
MIT ERLAUBNIS DER D. D. A.
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Schließlich hat Potter ja so etwas wie das Porträt eines Stieres zustande
gebracht. Das Tier interessiert uns aber nicht als Individualität, vielmehr
als Kreatur seiner Art, als aktionsfähiger Organismus. Eine menschliche
Persönlichkeit nimmt uns mit ihren besonderen, einmaligen Formeigen-
schaften so stark in Anspruch, daß wir sie genau und eingehend betrachten,
ohne an der Bewegungslosigkeit Anstoß zu nehmen.
Uberall, wo der Schwerpunkt der seelischen Anteilnahme auf dem animali-
schen Leben, dem Werden, dem Geschehen, der Aktion liegt, kann uns der
Künstler nicht anders genügen und sich seinem Ziele nähern als mit der
Skizze, mit der Zeichnung, und muß unserer nachschafFenden und ergänzen-
den Phantasie durch Auslassung Spielraum und freie Bahn gewähren.
Nur auf der Ebene der Unwirklichkeit wird die Illusion der Bewegung
geweckt. Nicht absichtlich betritt der Künstler diese Ebene, er wird viel-
mehr, redlich bemüht, das Flüchtige zu erjagen, der Vision hingegeben,
dorthin getragen, sei es, daß er nach Mitteln langt, die, ihrem Wesen nach
naturfremd, von sich aus stilisieren, wie der griechische Vasen-Maler, sei
es, daß er in Drang, Sturm und Rausch zur Kurzschrift greift.
MARC CHAGALL, VIEHHÄNDLER. 1911
MIT ERLAUBNIS DER D. D. A.
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