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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 9
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Grosz, George: Briefe aus Amerika, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0332

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Frau als solche kalt und egoistisch bis dorthinaus. Verstehst, ein bestimmter
Typ, den Du hier oft antriffst. Einzig weiche Stelle, wo beim Baden in
Drachenblut das Lindenblatt hinfiel: ihr Sohn aus irgendeiner früheren
Ehe ... der sich mit ihrem jetzigen Mann nicht verträgt. Den ganzen Tag
sitzen sie irgendwo herum auf partis, nachts meist Bridge ... den hat hier
ein ebenso abenteuerlicher Typ als Circle in einer tollen luxuriösen ehe-
maligen Millionärsvilla eingerichtet... in Ashbury park am Ozean. Toll.
Altrom. Gesichter! Gesichter! alles dabei in einer gewissen untadelhaften
Eleganz ... aber amerikanisch interessant. Garnicht steif oder bedrückend,
wie es vielleicht ähnliche Kreise bei uns wären. Zum Beispiel wo, fragte ich,
liegt mein berühmtes „Minderwertigkeitsgefühl"? Ich staunte nur ein
bißchen über den Gegensatz zwischen dem üblichen Betonen der ernsten
Krise, und dann der tatsächlichen Lebenshaltung. Aber mir ist das ja nicht
so neu. Nur ist Luxus hier selbstverständlicher. Julius liebt ja solche Typen
gar nicht, kann damit überhaupt nichts anhingen. Er hatte deswegen gestern
eine kleine Auseinandersetzung mit Ellinor, diese hat offenbar eine gewisse
Vorliebe für derlei nicht ganz „gesellschaftliche" Leute. Heute aß ich
mittags allein bei Schraffts, eine Firma, deren Läden über die ganze Stadt ver-
teilt sind. Uberall bedienen Mädchen in schwarzen Kleidern und weißen
Kragen mit Schürzen. Schwere Holzmöbel, englischer Stil. Beim Eintritt links
Candy störe mit Candy boxes („say it with candy"), rechts amerikanische
Bar mit festgeschraubten Hockern. Hinten das eigentliche Restaurant. Kleine
polierte Holztische, Papierservietten und kleine verzierte Papierdecken. Speisen
nach der Karte von 20 Cent bis 80 Cent. Sofort wird einem ein Glas
Eiswasser hingestellt und immer erneuert, ebenso Butter. Zwei Quadrat-
zentimeterstückchen (Free). Ich aß sehr typisch für hier jellied chicken
consomme: Gellierte kalte Suppenbouillon in zweihenkliger Tasse ringsum
mit kleinen Eistücken belegt (25 Cent), dann eine vegetable — Platte mit
allerlei Gemüsen darauf und dekoriert mit einem poached egg (verlorenes
Ei) 70 Cent, dazu eine kleine Tasse Kaffee ... 5 Cent... hinterher pineapple
fresh in kleinen Würfeln, 20 Cent. Das Mädchen schreibt die Rechnung
aus. Du legst 10 Cent Tip hin und bezahlst an der Kasse vorne beim
Ausgang. Ging dann zum Broadway der dicht an der 57. Straße liegt.
War da noch nicht bei Tage gewesen. Tolle Straße. Zwischen kleinen
alten Häusern rot mit Feuerleitern außen unvermittelt Wolkenkratzer.
Alle Fassaden übersät mit Reklamen, auch bei Tage schon erleuchtet.
Kinos schon früh in Betrieb. Halb Sankt Pauli, halb Friedrichstraße,
halb Paris . . . und dabei durch die überraschenden Ausblicke auf auf-
gerichtete schmale Turmhäuser doch wieder gänzlich anders, mitten-
durch in der 42. Straße plötzlich die Hochbahn, alt und dreckig (hier ist

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