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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 12
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Grosz, George: Briefe aus Amerika, 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0448

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sieht man sie nachmittags zu Dutzenden. Viele sind auch Erdarbeiter; der
schwarzhaarige Typ ist unverkennbar.

Das Movie, das wir sahen, war toll. Vorher sang Rudi Valle, typische
Standartstimme, Type eins (zum Verlieben, eine Frau sinkt da glatt um).
Der Rudi ist in so einer Art von Zeichenfilm eingebaut: erst sieht man
lauter Scherben, und wie die sich dann zusammensetzen ist's der „schöne"
Rudi (er ist es wirklich), und dann kommt zwischendurch allerlei Getier,
tanzt und singt, und eine Art Tollpuppe, und nachher erscheint der Text,
den er singt und ein einkopierter weißer Ball hopst immer den Text ent-
lang, so daß man genau mitliest, was er jetzt singt. Hinten ist dann, weich
wie seine Schmelzstimme, jeweils Landschaft oder Liebespaar. Er sang
„a little kiss each morning, a little kiss each night", da erschienen hinten,
gezeichnet, eine Mutter und ein Kind die sich küssen, nachher ein Liebes-
paar, dann ein anderes Liebespaar und zuletzt ein weißhäriger, gutaus-
sehender Herr und eine herrlich ondulierte weißhärige Dame — unten
hopste der Ball von Wort zu Wort. Es wurde geschluchzt, so er-
greifend war es, aber dabei infam süß, überzuckert, wie hier vieles. Trotz-
dem paßt es hierher und verstimmt gar nicht — es ist eben Drugstore-Kunst.
Dostojewski kann einem gestohlen bleiben, solange Rudi singt. Was über-
haupt in dieser Beziehung hier geboten wird — enorm! Fast jedes Kino
hat zwischendurch eine Schau, da kannst Du singen und tanzen hören
und sehen. Und wunderbare Orchester, da ist jeder Solist; und ab und
zu singen dann drei oder vier, wunderbar, so ganz nebenbei. Man denkt
mit New Yorker Verachtung an Josefine Baker und alle die imitierenden
Scheißer drüben — nee, es ist schon toll!

Tanzen können die Kerle, also wahre Gedichte mit den Sohlen, das faucht
und zischt, oder wischt so ganz zart über die Bretter. Oder wenn so zwei
Kerle exakt steppen, ganz schnell und leise — ein Genuß tatsächlich. Dabei
sind die Kinos innen künstlich gekühlt. Ist es draußen so recht stickig
und sauisch heiß, daß man förmlich klebt, so ist es drinnen herrlich kühl
wie im Herbst. Fein ist das; und ich, der ich sonst diese warmen, ver-
polsterten Sitze hasse, fühle mich da stinkwohl. Palacevariete spielt von
elf Uhr morgens. Es ist direkt beruhigend da so schnell mal, wenn es
sehr heiß ist, frische Luft zu schnappen. Grotesk, was? Man geht ins
Variete um Luft zu schnappen. Well, so ist das.

Dieser Film „Freaks" war merkwürdig. Als neuartige Reklame hatten sie
vor dem Kino am Broadway eine Art blauen, hängenden Käfig über dem
Eingang schweben. Darin saß ein weiß angezogener Junge und schrie
dauernd mit einem Megaphon die Passanten an. Komisch, wie in China!
Diesen Film muß sich ein sonderbarer Kauz ausgedacht haben. Da ver-

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