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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 12
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Jedlicka, Gotthard: Pierre Bonnard
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0460

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„Daphnis et Chloe", ein graphisches Wunderwerk, das einzige, das den
lithographischen Folgen von Lautrec als ebenbürtig zur Seite gestellt wer-
den kann.

In einem Teil seines frühen Werks läßt sich Bonnard als Gegensatz zu
Lautrec begreifen, mit dem er befreundet war und an dem er viel lernte.
Verwandtschaft und Gegensatz deckt man am besten auf, wenn man die
Illustrationen der beiden zu einem gleichen Buch — den „Histoires natu-
relles" von Jules Renard — nebeneinanderhält: man glaubt dabei die in-
nersten Gerüste ihrer verschiedenen Gestaltung vor sich zu sehen. Gefühls-
hafte Naivität, die sich in launiger Freude auswirkt, steht einem seelischen
Raffinement gegenüber, das scheinbar spielerisch letzte Quintessenz gibt.
Jede Lithographie von Lautrec scheint ein Paradigma zu sein, die Litho-
graphien von Bonnard aber sind anmutige Kommentare und humorvolle
Arabesken, die sich mit Ornamenten verschlingen, die er aus der Zeit
heraus übernommen hat. Es ist vorgekommen, daß man Bonnard mit
Vuillard und Roussel zusammen zu den Neoimpressionisten gezählt hat.
Natürlich haben sie alle an den Impressionisten gelernt! Aber sie haben
sich ebenso genau Gauguin angesehen: wie gut erkennt man das in ihren frü-
hen Bildern. Sie gehören zu einem Geschlecht, das nach den Neoimpres-
sionisten kommt. Man kann sie Seurat, Signac und Cross, die mit ver-
schiedener Begabung und mit verschiedenem Glück den Versuch unter-
nommen haben,dieEntdeckungenderlmpressionisten methodisch auszubauen,
in genau dieser Folge gegenüberstellen, wie man Gauguin, van Gogh und
Lautrec den Impressionisten als eigene Gruppe gegenüberstellen kann, die
keine malerische Mission zu erfüllen hatte, sondern tragische Einzelschick-
sale auf malerische Weise gestaltete. Aus diesem Grunde haben Seurat,
Signac und Cross mit jugendlicher Entschlossenheit alle neutralen Farben
ausgeschieden und haben damit auf der einen Seite ebenso viel liquidiert,
als sie auf der andern gewinnen konnten. Bonnard, Vuillard und Roussel
sind ihnen fremd, sie werden durch sie so entschieden von den Impressio-
nisten getrennt, daß sie ihnen nicht mehr erliegen können. Aber sie neh-
men — durch die Experimente der Neoimpressionisten belehrt — alle Farben
wieder auf, die jene Maler ausgeschaltet haben: und weil sie diese Farben
mit frischen Augen entdecken, holen sie neue Reize aus ihnen heraus,
ßonnard ist ein Finder von Zwischentönen. Manchmal scheint es, er habe
sich absichtlich Bilder nur aus jenen Farben und Farbtönen gebaut, die
die Impressionisten und Neoimpressionisten vernachläßigt haben — um zu
zeigen, was man auch mit ihnen erreichen kann. Er sucht die stillen
Farben mit der gleichen gespannten Aufmerksamkeit, mit der die Impres-
sionisten die leuchtenden Farben gesucht haben. Und diese unauffälligen

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