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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 4
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Briefe von Degas
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0145

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An Bartholome.

16. August (1884)

Sie wollen mich gleich gerichtlich in Beschlag nehmen lassen, lieber
Freund? Was werden Sie in diesem schauerlichen Menschenherzen noch
finden? Ich weiß nicht, wo meine Freunde sich dort niederlassen sollen,
Stühle gibt es nicht mehr; es steht nur ein Bett da, das läßt sich nicht
pfänden. Ich schlafe selbst schon zuviel darin, denn heute morgen um
sieben Uhr habe ich es nur auf einen Augenblick verlassen, um das
Fenster zu öffnen und Ihnen zu schreiben, ehe der Briefträger vorbei
war, dann bin ich liegen geblieben, um den Morgen besser zu genießen.
Ja, ich werde undankbar, noch dazu in so träger und nachlässiger Weise,
daß es gar kein Mittel gegen diese Krankheit gibt. Nachdem ich die
Kunst entzwei geschnitten habe, Sie erinnern mich daran, werde ich
mir selbst meinen schönen Kopf abschneiden und Sabine wird ihn der
Form halber in einem Einmachglas aufbewahren.*

Ist es die Landluft oder die Last meiner fünfzig Jahre, die mich so träge,
so verdrießlich machen, wie ich bin? Man glaubt mich heiter, weil ich
ein einfältiges resignierendes Lächeln aufgesetzt habe. Ich lese Don Qui-
chotte. Ach! der glückliche Mensch, und was für ein schöner Tod . . .

Auf Wiedersehn, trotz allem die besten Grüße für Ihre vortreffliche Gattin
und für Sie. Degas.

An Henri Lerolle.

n. August 1884.

Wenn Sie mir antworten, mein lieber Lerolle, werden Sie mir sicher
sagen, daß ich doch ein recht sonderbarer Kerl bin. Warum ich Ihnen
nicht noch vor meiner Abreise geschrieben habe — ich weiß es wirklich
nicht. Wenn Sie Junggeselle wären und dazu fünfzig Jahre (seit einem
Monat), dann würden Sie auch solche Augenblicke haben, wo man sich
verschließt wie eine Tür, und nicht allein für seine Freunde. Man unter-
drückt alles um sich und versucht in der Einsamkeit sich abzutöten, zu
nichts zu werden, des Lebens überdrüßig. Ich habe zuviel Pläne gemacht,
nun bin ich eingeschlossen, machtlos. Den Faden habe ich verloren. Ich
glaubte immer noch Zeit zu haben; niemals habe ich die Hoffnung ver-
loren, eines schönen Tages in die Wirklichkeit umzusetzen, was ich nicht
ausführen konnte, was man mich nicht ausführen ließ inmitten aller

* Sabine Neyt war die Haushälterin von Degas. Anspielung wahrscheinlich auf von
Degas selbst zerschnittene Bilder.

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