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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 6
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Scheffler, Karl: Berliner Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0242

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Allgemeingültigkeit, wiedergibt. Bildnisse wie die von Oskar Cassel, von Otto Gersten-
berg und Dr. Neuhaus reihen sich diesen Meisterwerken vollwertig an. Andere, wie die
„Bäuerin" oder das „Kind an der Truhe" — zwei kleine Kostbarkeiten schöner Malerei
— stehen an der Grenze dessen, was noch als Bildnismalerei angesprochen werden darf.
Die große Überraschung der Ausstellung ist das in den letzten Monaten entstandene
Bildnis Dr. Sauerbruchs. Wann ist einem Fünfundachtzigjährigen je ein solches Werk
gelungen! Man muß schon weit in der Geschichte zurückgehen, um einen ähnlichen Fall
zu finden. Hinreißend im Wurf, mächtig in der Form, fertig bis zum letzten Pinselstrich.
„La fin couronne les oeuvres!" Um alles zu sagen: Das Bild ist auch ein wenig „Schlager".
Und es sind zwei etwas verschiedene Anschauungen darin: der Kopf mit seinen starken
Lichtern, Schatten und Modellierungen, glänzend im Ausdruck und als Malerei, geht nicht
ganz zusammen mit der unendlich leicht und geschmackvoll, au Manet erinnernden Malerei
des weißen Ärztekittels, der blaugrauen Hosen und des heller als sonst gehaltenen Hinter-
grunds. Diese Nuance aber tritt zurück hinter der Genialität — das Wort ist hier einmal
am Platz — der Gesamtleistung. Das Magistrale dieses bewunderungswürdigen Spätwerkes
sollte der Öffentlichkeit stets vor Augen bleiben. Hier ist eine Gelegenheit für die Galerie
der Stadt Berlin, zuzugreifen und sich zugleich mit einem großen Kunstwerk eine der
seltensten und strahlendsten Merkwürdigkeiten zu sichern, die die Malerei unserer Tage
hervorgebracht hat.

Man soll nie meinen, ein Künstler wäre einem in seinem ganzen Wesen bekannt, so
lange man auch mit ihm schon lebt. Im echten, großen Talent bleibt stets ein Geheim-
nis, es hat immer noch Überraschungen bereit. Dieses ganz neuartige Werk, im fünf-
undachtzigsten Lebensjahre entstanden, ist eine solche Überraschung. Es ist ein kleines
Wunder und sollte mit einer lebendigen, unfeierlichen Ehrfurcht wie ein Wunder be-
trachtet werden.

„Volkskunst, Hausfleiß und Handwerk"

So heißt eine Ausstellung, die von verschiedenen Vereinen und Verbänden im Wertheim-
haus veranstaltet wird. Sie ist insofern aktuell, als sie wohl ein wenig im Zeichen der
„Autarkie" stehen soll. In vielen Abteilungen enthält sie Interessantes und Schönes; man
findet vor allem ausgezeichnete Keramik, vorzügliche Korbllechtereien, schöne Stoffe der
verschiedensten Art, gute Drechslerarbeiten, bäuerliche Spielsachen usw. Die Ausstellung
ist aber so umfangreich geraten, daß das Musterhafte in der Masse des Mittleren und
selbst Kitschigen nicht leicht zur Geltung kommt. Das Schönste und Aufschlußreichste
ist eine Sonderschau alter deutscher Volkskunst aus der Staatlichen Sammlung für Deutsche
Volkskunde (Konrad Hahm), die in ihren eigenen Räumen in der Klosterstraße aus
Platzmangel nicht entfernt so zur Geltung kommt, wie hier im weiträumigen Warenhaus.
(Wodurch die Notwendigkeit eines neuen Museums für die Volkskunde anschaulich wieder
erwiesen wird).

Eine Lehre dieser Ausstellung, der man sich nicht verschließen sollte, besteht darin, daß
alle deutsche Volkskunst und Handwerksarbeit zwangsläufig der Industriealisierung zutreibt.
Schon jetzt ist es unmöglich die Grenzen zu ziehen, wo das eine aufhört und das andere
anfängt. Der „Hausfleiß" geht in den meisten Fällen auf Aufträge industriell gestalteter
Betriebe zurück. Damit hängt zusammen, daß an der „Volkskunst" immer unzweideutiger
die Kunstgewerbeschulen und die Professoren Anteil gewinnen. Schulen und Professoren
gehören denn auch folgerichtig zu den Ausstellern. Die Freude des Volkes an der Bastelei
ist von der Bauhaus-Gesinnung vielfach aufgenommen worden. Ein Beispiel für die Folgen
bieten die Glastierchen, wie sie in Lauscha (Thüringen) von alters her gemacht werden.

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