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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 5
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J., F.; Jessen, Jarno [Mitarb.]: Von den Berliner Ausstellungen
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72

Die Aunst-Halle

Nr. 5

Linien ausgeführt, die andere durch Schattirung plastisch
gestaltet. Solch' ein Künstler wirkt in jeder Spur seines
Wesens wohlthuend. Zeichnerisch sind auch ein paar mit
lockeren, knappen Strichen hingeworsene „Damen" Gan-
daras interessant, die besonders als Gegenstück zu der
Bleistiftskizze einer Dame von Ingres eine neue und eine
alte Methode charakteristisch beleuchten. Hier das Tempera-
ment und dort die Gewissenhaftigkeit, hier das Bestreben
nach Gesammtwirkung, dort die Feinheit im Detail. Sonst
zeigt Gandara, dessen Mondainthum ihn neuerdings häufig
zu beängstigend nervösen Schöpfungen verleitet, auf den
zwei Studien »rspos«, wie erbarmungslos er den Frauen-
leib zu verrenken vermag. Wie elegant und fein kann er
sein, wie wirkt der lockere Kleiderstoff der Dame auf dem
sonst trüben, etwas gewagten Bildchen „In der Allee".
Der Norweger Thaulow erfreut auch in dem hiesigen be-
scheidenen Hof - Interieur durch feines Lichtstudium und
vornehme Technik. Tottet ist auf einigen Bildern un-
bedeutend im Landschaftlichen und Figürlichen. Merkwürdige
Experimente macht Schönheyder - Möller in feinen Bäumen,
aus deren Laub eine leuchtende Sonnenkugel aufblitzt.
Technische Feinheit läßt sich ihm nicht absprechen. Das
Gewirr der Wipfel, das Blenden der Lichtstrahlen erreicht
er überraschend; aber schließlich ist das Ganze eine
Spielerei, eine Unnatur, der Wald wird hier zu einer
gepreßten Herbarium - Einlage. Eine gewisse Naturlyrik
breitet ihren Hauch über die Landschaften Jourdains, die
zuweilen feinere Arbeit, zuweilen impressionistische Ober-
flächlichkeit geben. Auburtun giebt auf drei ganz feinen
Gebirgs- und Flußbildern Anlagen, Anfänge, die keinen
Anspruch über das Atelier hinaus haben. Ein schlechter
Scherz scheint das verwachsene, nackte Weib auf Besnards
„Sommer". Die sogenannten Landschaften valats und
Guillaumains müßten öffentlich als abschreckende Beispiele
heutiger Hinselscheußlichkeiten ausgestellt werden, ebenso
Degas unglaubliches Bild einer „Frau, die sich wärmt."
Helleu bietet in rohester Mache eine „Marine in Lowes,"
auf der er ein Damengesicht zum Zerrbild verunstaltet.
Flau und zerstossen wirkt d'Espagnat, während Sisley und
Pissarro nur mit Schund vertreten sind, vallonton zeigt
auf zwei Bildchen seine Art Tapetenmalerei. Auf der
„Lrwartuug" sehen wir einen total verunglückten Herrn
am Fenster. Die „Sommergäste" am Strand sind mit
bunten Flecken treffend als Sportfreunde und Seegigerl
charakterisirt, während der Strand wie ein Straßendamm,
und das Wasser als dicker, grüner Farbsteck herauskommt.
Moreau-Nelaton scheint eine Travestie von Monets „talaiss"
beabsichtigt zu haben. Maurice Denise läßt die Menschen
seines Bildes „Junge Mutter" wie aschgrau und rosa
angestrichene Holzwaaren erscheinen. Renoirs „Frau" steht
trefflich modellirt in der Luft, trotzdem ihre vollen Körper-
formen und ihre karmoisingeschminkten Backen geradezu
nach Seife und Waschlappen schreien. Bertons „nackte
Frau" ist eine feiue anatomische Pastellstudie, auf der nur
die geschwollenen Handgelenke des sonst so zarten Frauen-
körxers bedauerlich sind. Forain ist frisch und keck in
einer Skizze der nachgerade bis zum Ekel gebotenen
Balleteusen und Kouliffen-Rouss, und Toulouse-Lautrec
setzt seine pariser Typen als spaßiger Illustrator mit
unfehlbar sicheren Strichen hin. Die feingetönte Marmor-
gestalt von August Heer zeigt anmuthvolle Formgebung
und ein liebevolles Nachschaffen schöner Körxerformen,
nur schade, daß der aus dem Bein der Jungfrau heraus-

wachsende Stützstab des Armes die schöne Harmonie des
Ganzen mit fürchterlicher Mißbildung stört. —
Bei Lassirer werden wir abwechselnd geohrfeigt und
geliebkost. Ls hagelt ästhetische Püffe von den Bildern
Louis Lorinths. Wenn diesem pinsel zierliche Salon-
damen und männliche Berühmtheiten bereitwillig sitzen,
wird bei seiner unheimlichen Produktivität bald unheilbarer
Schaden an Geschmacksvergröberung überhandnehmen. Die
deutsche Porträtmalerei bedarf dringend guter, neuer
Talente. Hüten wir uns, derartige Brutalitäten anzu-
spornen. Die beste Illustration zu Lorinths Schaffen ist
lein Selbstxorträt. Da der Künstler immer nur durch
das Medium der eignen Individualität die Welt sieht,
ähneln die Geschöpfe seines Pinsels ihrem Vater auf
ein Haar. Trotz des Talentes, Aehnlichkeiten zu treffen,
wird das Individuelle vergröbert oder durch flüchtige
Mache entstellt. Wie trübselig und schwächlich ist z. B.
Gerhart Hauptmanns Lharakterkopf gerathen. Auf dem
„Kinderbildniß" wirken die Köpfe der kleinen Geschwister
plump, und das Baby zeigt bedauernswerth zerschundens
Bäckchen. Man sehe, was Lorinth aus dem zierlichen
Gebilde einer menschlichen Ohrmuschel zusammenstreicht.
Niemals wird irgend welcher Werth auf Darstellung des
Stofflichen gelegt, vor den Roybets, Lefebvres, Lonstants,
Bonnats, den Vrchardson, Vuleß und Lhase und Sargent
befällt uns eine tiefe Scham. Der in der Technik gewiß
flotte, in seinem naturalistischen Vorwurf fast verletzende
„Sonntagmorgen" Zorns wirkt in solcher Nachbarschaft
wie eine Salondame unter Bauerndirnen. Sanftere, holdere
Gefühle kommen über uns vor Walther Leistikows
neuen Landschaftsschöpfungen. Hier malt ein Lyriker des
Pinsels Seelenbekenntnisse auf die Leinwand. Die kiefern-
umstandenen Seen der märkischen Heimath, die nördliche
Meernatur haben ihm Stoff gespendet. Wie eine Lamar-
tinesche Dichtung klingt der „Königsee im Grünewald."
Leise grüne, graue Töne ziehen über das Wasser, den
Wald und den Himmel; von weißschimmernder Mauer-
weht grünes Gerank herab, von besonderer Schönheit
ist die „Düneneinsamkeit". Der „Märkische See" zeigt,
welche Poesie sich aus der Heimathnatur ziehen läßt. Die
perspektivische Vertiefung der Landschaft, der Blick durch
die Bäume des Vordergrundes sind malerisch trefflich
gelöste Aufgaben. Dem farbenfrohen Zug der Neuzeit
kommt der Schotte Lameron in seiner „Gartenszene"
mit einer hübschen, diskreten Probe entgegen, während
er seine „Landschaft" in vornehmen Dämmerungstönen
hält. Der Katalog der neuen Ausstellung druckt in der
Vorrede einen Dithyrambus Huysmanns auf das verkannte
Genie Lszanne ab. Es findet sich zufälligerweise auch
die Bezeichnung von dem „Künstler mit der kranken Netz-
haut" darin. Diese Stelle wollte uns angesichts vieler
seiner Arbeiten nicht aus dem Gedächtniß weichen. Be-
sonders als Menschen - Darsteller leistet Lszanne hier
Schlimmes. Seine Pierrots sind ohne jeden Witz, sie haben
den Beruf des Leichenbitters entschieden verfehlt. Das
Porträt eines Herrn zeigt ein völlig schief und unpro-
xortionirt gerathenes Menschenantlitz, während die ge-
schwollene Hand auf Wassersucht deutet. Bäume in „Ant-
werpen" sind durch eine Methode des Farbentuxfens in
Kakteen umgewandelt, es wird dem Norden keck eine
südliche Flora angedichtet. Für Aufspürung derartiger
Eigentümlichkeiten bieten die Bilder Lszannes ein weites
Feld. Es sei ihm zugestanden, daß Früchte und Blumen
 
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