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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 7
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Galland, Georg: Die künstlerische Hebung der Frauentracht
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Das Nationalmuseum der Vereinigten Staaten
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0119

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Nr. 7

4- Die Aunst-Halle -ch

weiß irickt was, vermuthlich eine Frau, denn ein
Kopf taucht ja daraus hervor, Arnre und Hände
find daran sichtbar."
Wir denken wahrlich »licht daran, die kostüm-
lichen Sünden der verflossenen Dezennien irgendwie
zu beschönigen; aber daß sie hier stark übertrieben
werden, merkt wohl Zeder, der nur den wirklichen
Zusammenhang mit den übrigen Ausführungen des
Verfassers ahnt. Um nämlich für die eigene That
das rechte, packende Relief zu gewinnen, wird alles
Voraufgegangene pechschwarz angestricben. So ver-
langt es das Gesetz dieses aufgeblasenen Komö-
diantenthums, dem die van de Velde heutzutage ihre
unechten Erfolge verdanken.
Zwar giebt er nothgedrungen zu, daß schon
vor ihm energische Reformbestr ebuugen gegen
die Uloden begannen und um sich griffen. Aber sie
seien, wie er bemerkt, bisher resultatlos verlaufen.
„Die Reformkleidung stützte sich nur auf die Grund-
sätze der Gesundheitslehre; ihre Vertreter vernach-
lässigten gänzlich die Rücksicht auf Schönheit — ein
Beweis, wie wenig sie die Psychologie der Frau
kannten. Um Erfolg zu haben, hätten sie der Mode
eine andere Mode gegenüberstellen und behaupten
sollen, daß das eine neue Mode sei, z. B. die
„deutsche Mode" im Gegensatz zur französischen
. Die Refor m kleidung beging neben
ihrer zu großen Aufrichtigkeit, wie gesagt, den
zweiten Fehler, daß sie auf den Schönheitssinn keine
Rücksicht nahm. Sie hat etwas puritanisches an sich,
etwas Trockenes und Glattes, das zurückstößt . . .
Zhr gebührt jedenfalls die Ehre, uns befreit zu
haben von dem modernen Folterinstrument, dem
Korset, das werth ist, dereinst in Alterthumsmuseen
neben den Daumschrauben und der „eisernen Zung-
frau" zu paradiren."
Der Verfasser setzt nun unmittelbar daraus
hmzu, daß voll einer Befreiung vom Korset eigentlich
noch garnicht die Rede sein könne: „Heute hat das
Korset eine logische konstruktive Form erhalten, es
ist ein Gerüst geworden, das den Körperformen
nicht hinderlich ist und es ermöglicht, Kleider nach
richtigen Grundsätzen zu entwerfen. Die Frauen
dürfen sich nun wieder entschließen, ein aus mehreren
Theilen bestehendes Kleid zu tragen. Bis dahin
hatten die Frauen, die sich der Mode nicht unter-
warfen, eintheilige Kleider gewählt, die nach dem
Prinzip geformt waren, nach welchem bisher Haus-,
Thee- oder Gartenkleider gemacht worden waren.
Um es schließend zn machen, trug man wohl einen
Gürtel mü Metallschnalle uni die Taille. Aber
trotzdem war der grundsätzliche Widerspruch gegen
die Mode so sichtbar, daß es unendlich lange ge-
dauert haben würde, bevor diese Kleiderform sich in
unseren Gegenden eingebürgert Hütte."
Wir halten hier inne, um nochmals darauf hin-
zuweisen, wie fick bei van de Velde Wahres mit

Irrigem, Thatsächliches mit übertriebenen Vor-
stellungen, Verständliches mit völlig unverständlichen
oder schiefen Bildern verbindet zu seiner Schilderung
der vor ihm angeblich bestandenen und zum Theil
noch bestehenden kostümlichen Verhältnisse. Man hat
oft das peinliche Gefühl, als führe er absichtlich die
Dinge seinen Hörern und Lesern nicht ganz wahr-
heitsgemäß sondern so vor, wie er jene aus Gründen
wohl haben möchte, wie das ihm „zu seinem höheren
Ruhme" beliebt, mehr zweckdienlich als wahr. Denn
daß die Frauen erst jetzt (!) nach Beseitigung des
Korsets sich wieder entschließen dürfen, ein aus
mehreren Theilen bestehendes Kleid zu tragen, ist
doch gewiß ebenso übertrieben, wie die Bemerkung,
daß bisher nur Frauen, die keine Mode wollten,
eiiitheilig e, nach einem gewissen Prinzip geformte
Kleider gewählt hätten. Zeder von uns erinnert sich
genau, daß Kostüme in sog. Prinzeßform früher auch
von deii echtesten Modedamen gelegentlich, aber
freilich nur gelegentlich gern getragen wurden.
Vor Allem scheint es, als wolle er die Bestre-
bungen der Vereine für Reformkleidung verkennen
oder unterschätzen. Daß die zunächst ihr Haupt-
gewicht auf die Grundsätze der Gesundheitslehre
gelegt, soll nicht bestritten werden; ist auch wohl be-
greiflich genug. Daß sie aber an die ästhetischen
Fragen überhaupt nicht gedacht, entspricht durchaus
nicht den Thahachen. Vielmehr gehörte auch die
Schönheitsfrage jederzeit zu ihrem Programm. Daß
diese wichtige Frage aber bisher nicht befriedigend
gelöst wurde, kommt daher, weil es deii Vereinen
sowohl an der nothwendigen Theilnahme der Künstler-
kreise wie des maßgebenden Publikums leider noch
gefehlt hat. Aber der gute Wille und das eifrige
Streben waren in der That stets vorhanden, und sie
zii leugnen ist wenigstens nicht das Recht desjenigen,
der sich — vorläufig nur unter Billigung sehr kleiner
Kreise — mit seinen eigenen Verdiensten so unbe-
scheiden in den Vordergrund drängt. Ueberdies steht
der Beweis für uns noch aus, daß die gepriesene
neue Renaissance, der „große" kostümliche „Erfolg"
van de Veldes mehr ist als ein rhetorischer Effekt
auf eine minimale gläubige Zuhörer- oder Leser-
gruppe. Und davon gar in dem überschwänglichen
begeisterten Tone dieses Vortrags zu reden, ist be,
uns in Deutschland wohl nur einem Phantasten aus
der Fremde erlaubt und möglich. G.
<Ein zweiter Artikel folgt.)
Vas Nationalmuseum
cter vereinigten Staaten.
_ (Nachdruck verboten).
(^^as Nationalmuseum der Vereinigten Staaten hat in
letzten Jahren einen bedeutenden Aufschwung
genommen Der letzte vom Prof, walcott herausgegebene
 
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