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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 8
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Galland, Georg: Die künstlerische Hebung der Frauentracht
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0137

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Nr. 8

4- Die Aun st-Halle -4-

ein Thier/eine Blume . . . anbringt, füge ich eine
Verzierung hinein, für die mir keine andere Wahl
bleibt. Bie wird genau der vorhandenen Raumform
angepaßt, und ihre Motive entwickeln sich der
Linienführung des Raumes entsprechend!" Man
stelle sich die Konseqnenzen solcher Ornamentik nur
für den Frauenrock vor! Die Sache wird im An'
schluß hieran noch deutlicher gemacht: „An den
Damenkleidern überwiegt bis jetzt die Verzierung mit
Blumenmotiven . . . Der Blumenschmuck bleibt ein
Gegenstand der Willkür, während das abstrakte Or-
nament, das seine Nothwendigkeit in sich trägt, be-
stimmten Gesetzen unterworfen ist, die sich aus den
Bedingungen ergeben, die die Formen der Kleidung
bestimmen . . . Die Damenschneider scheinen
die weiblichen Formen völlig zu ignorieren."
Zur Erläuterung der letzten Bemerkung diene nur,
daß der Herr aus dem Lande des Rubens herkommt.
„Im klebrigen wird die Frau gerne einwilligen, daß
ihre Gestalt, ihre Formen in der Kleidung er-
kennbar bleiben. Ein Kleid, das so aufgepaßt ist,
kann nur moralisch sein." Das letztere, dünkt uns,
dürfte doch wohl von dem Grade der Erkennbarkeit
abhängen . . . Dani: weiter: „Wie werden wir die
Forderung, daß jede Frau sich ihrer Gestalt ent-
sprechend kleide, in Einklang bringen nut dem Wunsch,
alle Frauen in derselben Tracht zu sehen?" Der
Autor glaubt diese Gegensätze dadurch auszusöhnen,
daß er die Individualisirung des Kostüms auf das
eigene Haus beschränkt, die Uebereinstimmung der
Tracht aber für die Straße, die Gleichartigkeit für fest-
liche Gelegenheiten vorschlägt. „Bei einer Festlichkeit,
einem Diner oder einer Abendgesellschaft tragen die
Herren mehr zur Schönheit bei als die Damen —
in Folge der Gleichheit ihrer Anzüge." Der Ab-
schluß ^der ganzen Zukunftsmusik dieses Vortrags
aber läßt sich in folgende drei Sätze zusammenfassen:
„Das Eingreifen der Künstler wird wahrscheinlich
nur vorübergehend sein, denn die Frau besitzt genug
Erfindungsgabe, um unserer Hülse entbehren zu
können. Sie wird diese nur für die Ornamentik
nöthig haben, mit denen sie die Stoffe, die sie selbst
geschnitten und genäht hat, zieren möchte . . . Sie
wird sich von der geisttötenden Tyrannei der Mode
frei machen . . . Denn die Frauen werden ihre müh-
same Arbeit vertheidigen und sich nicht mehr dazu
verstehen, eine Toilette am Ende der Saison abzu-
legen, ohne hoffen zu dürfen, sie bei ihrer nächsten
Wiederkehr tragen zu können."
Ganz abgesehen von den vielen Widersprächen,
in denen sich die scheinbar so ideenreichen Ausfüh-
rungen des van de Veldeschen Vortrags bewegen,
bleibt man von Anfang bis zuletzt im Unklaren, an
welche weibliche Adresse die Vorschläge des Brüsseler
Herrn gerichtet sind. Denn das dürfte doch wohl
für die, welche die thatsächlichen Verhältnisse, die
jener Autor zum Theil beliebig zurechtstutzte, kennen

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und allein befragen, klar fein, daß die verschiedenen
Gattungen der weiblichen Interessenten durch schwer
überbrückbare Unterschiede getrennt sind. Unser
Frauenpublikum läßt sich weniger als jemals früher
über einen Kamm scheeren, wie es in dem Vortrag
geschieht. Der Herr scheint seine kostümlichen Vor-
schläge lediglich an das „moderne" und zwar an
das arbeitende Weib zu richten, bei dem er nicht
nur die Bereitwilligkeit, sondern auch die Geschicklich-
keit voraussetzt, das Kleid selber zuzuschneiden und
die Lust, es „abzutragen". Aber diese achtungswerthe
Frauenspezies hat längst, und ohne von Herrn van
de Velde und seinen Reformen etwas zu wissen, den
Weg zum Einfach-Bequemen der Tracht ganz von
selbst gefunden; deren kostümlichen Ansprüche sind so
gering, daß weder Schneider noch Künstler sie um-
wirbt. Also, die Mühe zu Gunsten der arbeitenden
Frau war schlechtweg umsonst. Die Bühne der Be-
kleidungskünstler sind noch immer die Wege, aus
denen die eleganten Frauen der Ganz- und auch der
Halbwelt wandeln. Sie, denen die Mode alljährlich
phantasievolle Huldigungen darbringt, sind wohl
nichts weniger als „modern", als „Menschen, die
zwischen Maschinen leben, und deren Interesse sich
von den steinernen Dombauten zu eisernen Brücken
und Thürmen gewandt hat", sie stehen als die ge-
putzten Vertreterinnen des „Ewig-Weiblichen" vielmehr
aus dem Boden uralter Tradition und völlig ver-
kehrt wäre es, die Bestandtheile ihres Kostüms von
den geschichtlichen Beziehungen zu trennen.
Die ganze van de Veldesche Kleiderresorm ent-
puppt sich, bei Licht besehen, als ein klug berech-
netes Manöver. Zu seinen Zimmer ausstatrun gen,
die durch eine unerhörte Reklame gerade in Deutsch-
land viel in Ausnahme kamen, bedarf er jetzt der
geeigneten lebenden Staffage. Um jenen dauern-
den Bestand zu verschaffen, muß der kostümliche Ge-
schmack des deutschen Frauenpublikums sür die „ab-
strakte Ornamentik" gewonnen werden, also zur
seiner anderweitigen künstlerisch-dekorativen Förderung
Zwecke. Vorläufig paßt die Bekleidung der Insassinnen
van de Veldescher Gemächer zu deren „müden" Linien
u. a. Seltsamkeiten herzlich wenig, und so besteht sür
den Erfinder dieses „modernen" Zimmerstiles freilich
die Gefahr, daß man — sobald sich das Auge daran
übersättigt — das überdrüssig Gewordene in dem
Augenblicke zum Tempel hinausbefördern werde, da
eine neue Mode, mit noch größerem Geschrei bei
uns eingesührt, vollen Ersatz zu bieten vermag.
Darum ist jetzt sür ihn der Augenblick gekommen: das
leidige Modethum zu erdrosseln und zugleich auch
die Frauentracht aus die Marke „van de Veide",
kenntlich an der „abstrakten Ornamentik", deren
„Motive der Linienführung des Raumes" zu ent-
sprechen hätte, sestzunageln. Das Traurige an
dieser aussichtslosen Sache ist nur, daß sich zur
Realisirung des abenteuerlichen Brüsseler Geschäfts,
 
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