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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 10.1930

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Heft 9 (September 1930)
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Die Schule vom Schüler gesehen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28000#0241

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»itt He»»iiuiige», ein ödes, leeres Klassenzimmer
zeichiiet, ei» locliender Soimeiistrahl fällk durch das
Feiisker nus die Schu!lbaiili: aber üer eiiisame Schüler
der oork tiht, siehk nichts davon; tief über sein Buch
gebeugk, vüffelt er seine Missenschaft: iiou »viwlas,
8ocl vitris ciisvsiicliim sstl (Äbb. !i.) And wie wird einein
erst zu Arute, wenn man auf den Zeichiiiiiigeii dluSrufe
liest wie: „Diese verfluchte Schule", „Das Schrelr-
liensgebäude", „Das ist'unser Los, aber einmal
iilmmt es auch ein Endell 2st das nicht wie in elnem
Stcindberg Skück? L)der:i daS Schulgebäude ist auf-
gelilappt gezeichnet, jinnen In den Klassenzimmern
siehk mnn dte Schtilef voi: dem Lehrer sihen. „Wollt
ihr wohl!" drohk es von seinein Munde. Oben, llber
dem Schulgebäude ösfnetl sich der Himmel und der
liebe Gokk zeigk eiiiein Schüler ienen Augenblick und
sagk zu ihm: „Das ist dein Schicksall" Berzwelf-
luugsschrele Bergewaltigter, unkerschrieben: „von
eiuem bednueruswerten Schüler" oder „ein unglllck-
licher Oberseliuudaner'l u.ia.

Gewisz bin icb mir > bewuszk, dasz hier jugendliche
Anreife llberkreibt und Er?egungen des Entwlcklungs-
alters die Tatsachen > entsjellen, hat mir doch B.
einer jener Zeichner,jidie> die Schule als schwarzen
Gnug darskellteu, spüker selbst gestauden, dasz daS
Lebeu eigeullich uoch viel jchwürzer sei, aber zweifel-
loS ist doch auch vies-echj Empfuudeiies und wahr
Gesehenes in solchen lAiikilagen. Wenn man da den
Lehrer mit geschwüngeueiii Stock auf dem Kathedec
siehk, Blilze zuckeu voii ihui aus und ein Schriftband
sagt: „3ch bin der Herr iind ihr seid die Knechke,"
„Wenn Ihr deulrk, ihr lrönntet mit mir spielen,"
„Wer sich mir widersehk, den zerschmektere ich" (das
Theriuomeker an der Wan- zeigk 1VU-!), so ahnt maii
wohl hislorische Aeminiszensen, aber man spürt doch
auch, dasz „Flachsmajin qls Erzieher" iuiuier noch
umgehk iu oieser Anlilage-eines liuristensohnes, und
mau lrann es verstehen, jvenn aus diesem Protest
heraus ein anderer Schlller ein Buch beiitelt:
„Knigge, vom Amgang mih Schlllern." Aoch angrei-
feuder wirlien die wenigem Bläkker von Schülern der
Anlerlilasseu, iu deueii eini schreieuder, gestilrulieren-
der Lehrer vocliouimt. Amschrift: „Der wildeMann"
odec „Seiue Worte siud Flammen, seine Augen Gift."
(Abb. 4.) Mit tiefer Beschämung denkt man dabei an
die Forderung, die der Geistesforscher Dr. Nudolf
Skeiner an die Lehrer seiner „Freien Waldorfschule"
richtete: „Borbedinguug eineS jeden Ilnterrichts ist,
dnh der Lehrer die Klasse mit einer Seelenversassung
betritt, die sympathisch wirkt." —

dllS ein Ausgleich und Lichtblick zu dem oben an-
gesiihrteu wirken die selkeizen Zeichnungen mit gün-
stiger Beurleilung der Schule. Wo z. B. von der
eiueu Seite ein rüpelhaster, zigaretkenrauchender
Schlller die Schule betritt und auf der anderen Seite
als netker, feiuer junger Mann ins Leben hinaus-
tritt. Oder wo ein Qnartaner (welche Reife!) auf
der linkeu Blatthälfte eiij Stück Land malt, das
durch Abtrenneii urbar gemacht wird, während vr
rechlS auS dem schwarz gebraimten Grunde zarte,
helle Pflanzeukeime hervorsprieszen läszt. Oder wenn
eiue uackte Arenscheugestalt im Lichtstrahl der
„Scientia" ihre Ketten zerreifzt. Aber so ein klein
wenig riechen diese Blätter sllr meiii Gesühl nach
„Alusterknabe", und es itt gewisz kein Zufall, dasz sie
in der Tat stekS von solchen stammeii. Erinnert jene
kettensprengende Scienkia -iiicht gar sehr an das

Dogma von der Aufklärung uud Erlösuug der
Menschheit durch die uufehlbare Wissenschaft? Lieber
als diese Leistuug eines Oberprimaners ist mir die
Lösung eines Schlilers der Mitlelklasse». Da ist die
Wissenschaft ein von roteu Flammeii umloderleS
Buch, eine grüne Hand versucht es zu ergreifen. Ein
kleiner Faust, dieser Schiiler, der etwas dnvon siihlt,
dasz durch jedes „Wissen" Lebenskräfte verbrannt
und in Todeskräfte verwandelt werden, dasz für jede
Frucht vom Baume der Erkeniitnts etwas vom Le-
bensbaum geopfert werden mujz.

DaS wäreu so einige der fesselnden Querschnitke
durch das gegebene Thema, die deu Aeichtum an
Auffassungeu, Bariakionen und Iudividualltäken aus-
weisen. Macht mau dagegen LüngSschnitte, d. h.
vergleicht man die Einstellungen der verschiedenen
Lebensalter zu jenein Stoffe, so zeigen sich Ergeb'
nisse, die bedeutsame pädagogifche Aückschlüsse all-
gemeiner Art ermöglichen.

Da zeigt sich vor allem klar ausgeprägt, dajz deu
Ankerklassen das Thema gar nicht lag. Dasz, sonst
o phautasiebegabt und leicht entzllndet, sie mlt die-
em Skoffe nichtS AechteS anzufaugen wuszten und
ich llberwiegend mit sachlichen Wiedergaben der
Schulräume begullgte». Bie Antwort nnch dem
Grunde dieser llberrajcheudeii Haltung kann m. E.
nur die sein, dast diefe Altersstufe die Schule noch
nicht als etwas Gegensähliches zu ihrem übrigen
Leben empfindet, dasz Schule uud Lehrer von dem
normal begabken liuugen dieses Alkers nls selbstver-
ständliche Autoritäten hingeuomiuen werden. Aller-
dings mit der einen, schon oben erwähulen Ausnahme,
dast solche Lehrer, die eS nicht verstehen, liebenswert
und sympakhifch zu sein, von ihnen erschreckt be-
staunt und alS hüszlich empfundeii werden.

Lcst in den mikklereii Klassen setzt dann die eigent-
liche Krikik an der Schule ein, und zwar meist gleich
in der krassesteu Form nach dem Gesek der Amstül-
puug, in eiuer Art vou Enttäuschung iiver die Anzu-
länglichkeiten der biSher anerkannten Autoriläk.
üekt erst, wenn auch noch die Llöte der Pubertät die
Schüler in einer fteten Gereizlheit und Erregung
halten, kommt eS zu jenen exaltierten Ausbrüchen
Strindberg'scher Art. Aud lebt ein üunge dieses
Alters nicht meist in Strindberg'schen Spannungen
und Perspektiven? Lehrer, die jehk noch mit bloster
Aukorität wirken wollen, statt dem iiunmehr frei-
werdeuden Meuschen-3ch alleS zu Lehrende zu freier
Einsicht und Annahme zu stellen, Lehrer, die ln ihrer
Hallung nur Starre statt Berstüuduis, nur dünkel-
hafte Würde statt Inuerer Festigkeit zeigen, werden
jetzl zu erbitlert bekämpfteu uud gehaszle» Feinden
der Schlller. Hast aber verzerrt, und so triumphiert
das Zerrbild, die Karikatur, in diesen Zeichnungen.

2n den oberen Klassen gesellt sich zu dieser Ein-
stellung etwas mehr Linsicht und Masz, und das
drtickt sich zeichnerisch so aus, dajz jeht zur Knrikalur
der Humor hiuzutritt. So ekwa, wenn ein Schüler
üie übliche Lehrerredensart: „Deine Bersehung hängt
nur an einem Faden" bildlich dadurch köstlich ver-
anschaulicht, dajz der Lehrer an einem Seil die Prüs-
linge von der tieferen zur höheren Stufe herauf-
wiudet. Dasz dieses Seil auch reiszen und der Schuler
abstürzen kann, war ebenfalls schön zu sehen. üm
Allgemeinen wird nun die Kritik reifer und allge-
meingültiger, und hie und da zeigt fich die schon
 
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