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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 10.1930

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Heft 9 (September 1930)
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Busse, Wilhelm: Über die Erhaltung der Gestaltungskraft des jungen Menschen während der Pubertät, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.28000#0246

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233

Farbe wie ein vollliomiiieii iieues (Lebiet und damit
ist schvu ein gewilses Ailgemeliiliiteresse gesicherl.
uiinchst versuche ich, die versöuliche Eliisteliung des
lnzelnen zur Farbe feskzuslellen. Eine Unkerhalkung
ergibk, chag die grotze Mshrzahl sich die Farbe zu-
ncichsk n»r an die Fvrm gebunden vorskellen kann.
Ein ersker Bersuch, die Farbe ganz selbständig zu
verarbeiken, läszk einzelnen schon eine Ahnung von
der Schönheik der abstrakken Farbe aufgehen. Das
verskärkk sich, als nun durch kleine Uebungen die Ab-
skufungsmöglichkeilen einer einzelnen Farbe zu Tage
krikk. Dann komnien i die Äonskalen an die Aeihe,
ivelche sich aus der fliehenden Farbe ergeben. All-
mählich lkellen sich elnzelne schon von selbst auf eine
beschränkke Farbenzahl ein und manchmal sihen die
Schiiler erskaunk vor Gebilden, dle falt unbemujzk aus
ihrem clnnern skrömeii. So werden die ersken Hem-
mnngen iiberivunden, das „Ich krane mich nicht her-
an" verschwindet, wenn her Schiiler aufaemunkerk
wird, keine krockenen, nüchkernen Kleckschen auss
Pavier zu sehen, sondern einnial den Pinsel recht
voll zu »ehmen und die Töne saftig hinzumalen. Wei-
ker werden die Schiiler daran gewühnk, keine der
ersken „Schniierereieim, wie der eine elnnial melnke,
ivegziiwerfen, sonderir sorgfälkig aufzubewahren. Lie-
gen eine Aeihe von Blätrern vor, wird die Aufgabe
geskellt, die besken Farbwirkungen herauszusuchen.
Mit vier weiszen Papierskreifen wird alles andere
weggedeckk und durcm Him und Herschieben der giin-
skiglke Ausschnikk gesuchki Eine „Kunstkommission"
die ans vier jeweilig wechselnden Schillern unker
nieinem Beisknnde gebildef wird, begutachket. Meine
Erfahriingen bewelsen mis, dasz dieses „äurorenamt"
ehr gern ausgeiibk wlrdj und die meisken eine er-
kaunliche Sicherheik im Prteil, damlt also im Far-
lengeschmack an den Tgg legen. Die Ausschnikke
ind besichkigk nnd fiir gutj befunden, erst ieht werden
ie wirklich ausgeschnitteii und gewöhnlich zu zweien
ekwa >n Poskkartengrösz^auf einen Bogen weiszes
Papier geklebk. Dieser Bogen bildet den Nahmen,
dle geschmackliche Einstellung wird durch Hinein-
passen der Ausschnilke gestärkt. Der Aeihe nach
wandern die ferkigen Arbeiken an die Tafel und nun
merkk nian diesen Iugendlichen wieder ein leises
Skaunen an. lln gedämpfker Anterhalkung stehen sie
davor und allmählich entspinnt sich eine allgemeine
Aussprache. Sie zeigt iji den meisten Fällen, dasz
die Schüler jehk anders iiber die Farbe denken, sie
sehen ein, dasz die selbskandige, an keine gegenständ-
liche Forni gebundene Farbe von einer ganz eigen-
arligen Schönheil ist. i >

Damik isk eine neue Saike in ihrem llnnern zum
Klingen gebracht worden, eine neue Ausdrucksmög-
lichkeit hat sich ergeben, §in weikeres Berlangen nach
solcher Täkigkeik stellt sich ein. Emsige Arbeit und
brauchbare Ergebnisse sind ein unkrüglicher Beweis
dafiir. Atanche enkdecken hier an sich selbst sogar
eine ganz neue Begabung, von der sie gar nichts
muszten. Berschiedentlich habe ich Schüler gehabk, die
sich mik einem gewissen Fanakismus bis zum Ablkur
hin nur noch farbig in genügendem Mahe ausspre-
chen zu können glaublen und anders Ausdruckswei-
sen als lahm »nd prlmisiv verwarsen. Bei anderen
bevbachlele ich späler Zwiespälligkeik, bald galt nur
die Farbe, bald bevorzügken sie anderes Material.
Wieoer andere begaben sich aus das Gebiek des selb-
siiindigen Ersindens! neuer AusdruckSwelsen. Einer
dieser Neuerer, der Schüler A., halle sein Blatt dünn

mlt flüssigem Dextrin bestrichen. Auf guk Glück sehke
er Farben in die nasse Fläche und holke auf diese
Weise erstaunliche Farbwlrkungen heraus, die ohne
weikeres als künstlerlsch bezelchnet werden konnke».
Er malte auck vorher gern nasz in nah, doch krockneke
ihm dis Farbe Inimer zu schnell auf. Als er hörke,
dasz diefes Prlnzip bei den Kleiskerpapieren des
Vuchbinders eine altgeübte Praxis sei, war er sichk-
lich bekrübk. Das hinderke Ihn aber nichk, späker kri-
skallische Wachskumsformen farbig auf mlt Dexkrin
beskrlchenem Grunde in gröszerem Mahskab zu ver-
suchen, was aber nichk gelang. Darauf gab er es auf
und war eine Zeik lang fask unbrauchbar.

Dieses fllr eine gewisse 2dee Enkflanimkseln stlmmk
auch sonst mik den seelischen Erscheinungen der Pu-
berkät überein. Die Ünsklmmigkeit zwischen dem
„Wünschen und Können", wie William Stern*
sagk, hinderk den Ziigendlicheii an der Durchführung
feiner Gedankengänge. Die freudige Erregung beim
Beginn der Arbeit weicht nach dem Miszglücken
e'ner kiefen Aiedergeschlagenheik. A. felbst füyrk das
MMingen des Bersuchs nicht auf die Anvvllkommen-
heik des vermandten Makerials znrück, sondern, und
das ift kypisch sür die seelische Einstellung, auf die zu
dunkle Farbwirkung, in die er hineingeraken sei, ob-
wohl er sonst monokone und „schreckenerregende"
Töne bevorzuge. Hier habe er aber ekwas Lichkes
und Helles scyaffen wollen, daS sel »icht gelungen,
deshalb habe er die Lust verloren.

Es scheint auch, als wenn fedem einzelnen eine ge-
wisse Farbfkala Innewohnk, bie sich unbewuszk immer
wieder einskellk. Erst nach und nach wird sich der
llugendliche dessen bewuszt. Der 10 jährige W. sagt:
„Ich geskalte am liebfken mik der von der Form los-
gelösten Farbe. Frllyer häkte ich nichk geglaubk, dak
man so fchöne Vilder bekommen kann, die nur durch
die Farbe wirken. 2n der ersken Zeit neigke ich da-
zu, meine Flächen zu blasz zu behandeln, jehk liebe
Ich die sakken Töne. Sonderbar isk es, dasz man immer
wieder zu beftimmken Farbenzusammenskellungen
kommk." Diese lehke Feskslellung habe ich häufig von
den llungen gehört, sie werden sich damik einer neuen
Gabe bewuhk, die in Ihnen schlummerk. Selbst bei
Schülern, deren Freude an der Wiedergabe eines
farbigen Gegenstandes zunächft die angeborene Far-
benharmonie erdrückk, enkwickelk sich diese Erschei-
nung allmählich. lln einem Gespräch änszerke sich der
10 jährige Ä.: „Ftir mich hatke von jeher das Ar-
beiken nach der Aalnr den gröszken Reiz. Bei dem
Zusammenslellen hnrmonischer Farben mnszle ich mich
zwingen, keine Gegenskandsfarben zugrnnde zu legen.
Aber nach und nach gewöhnke ich mich daran und
jehk machk es mir Spah zu beobachken, wie einige
Farbköne in immer anderen Bariakionen wleder-
kehren." Borläufig muh ich mir noch versagen,
nähere Angaben über diese Erscheinung zu machen.
Meine Bersuche reichen dazu noch nichk aus.

Würde man nuii die Farbenübungen ausschltehlich
In abstrakter Weise kreiben, so sehen bald Ermii-
dungserscheinungen ein. Ilnmerklich kommen wir
darum zu Themen, die wieder mik der Nakur Füh-
lung nehmen, ohne der besonderen Einskellung deS
einzelnen Fesseln anzulegen. Ein feskes Schema wäre
der Tod für die Enlwicklung der Gsstalkungskraft.

* William Stern, Grundlinie» deS juqendlichen Seelenlebens
Sammlung Hermanii lknster, ckrziehuiigsprobleme der Reifezeit.
 
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