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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1905)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Worauf kommts an?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0016

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Moraus komml's an?

Wie erscheint Böcklins Entwicklung im groben Umriß Unsereinem?

Jn Basel lebt ein junger Maler, der hat Talent, und es dauert
nicht lange, so tritt er mit „tonigen" Bildern auf, die rein als
Malerei besser sind, als die große Mehrzahl selbst der besten ihrer
Zeit. Daß er malerisch zu sehen weiß und etwas „kann", das also
beweist er früh. Jn manchem dieser Bilder ist aber schon im Keime
ein eigentümliches Sonderleben, das zunächst wie eine Art Nomantik
erscheint, und dieses Sonderleben macht sich, wie er wächst, zum Be-
wegcr seiner Entwicklung. Es ist keine Romantik, mindestens keine im
Begriff der Schule, es erweist sich je länger je mchr als ein Drang
zum Hinausgestalten von Stimmungen in Bilder, in Gesichte, und es
verwandelt, ob sich der Maler dessen bewußt wird oder nicht, auch
seine Malweise. Was er an Formen vor der Natur in ernsten
Studien kennen und ersahren gelernt, wird ihm zu beweglichen Elemcn-
ten freien Schaltens, was er von Farben sieht, erhöht und verdichtet
er bis zum Märchenleuchten des Traums. Nun wird vor nnsern
Augen eine Welt sichtbar, deren unsichtbares Dasein wir bisher nur
ahnten; wie sie sichtbar wird, überzeugt sie uns, vertieft sie unser
Gefühl vom Seienden und bereichert sie unser Jnnenleben. Kentauren
erwachen zum Kampf, wo der Sturm über die Felsrücken braust,
und lassen uns dadurch den Sturm selbst mit Kraft bis zur Leiden-
schaft empfinden, Wassermänner und Wasserweiber tauchen aus der
See und ihren Klippen, kenntlich wieder wird in den Höhlen der -
Drache, in den Waldeinsamkeiten das Einhorn; und wie wir all
die Geschöpfe als Kinder der Natur erkennen, so fühlen wir ihre
Mutter Natur stärker, als ehe wir sie kanuten. Dazwischen steigen
Griechen, Römer, Vandalen, Ritter aus den Särgen der Geschichte
zu zartem und wildem Neuleben wieder auf. Dann aber werden wir
durch die düstern Erhabenheiten des Menschcnschicksals geführt: Promc-
theus sinkt über den klagenden Wäldern aufs Gebirg, der Kaiser Tod
gebietet dem Herbst, der Krieg durchtobt, die Pest vergiftet die Erde,
und aus dunkelnden Meeren tauchen die Toteninseln der Wehmut.
Aber auch Gefilde der Seligen. Und in diese Welt dcs Ernstes spielcn,
wie durch dichtes Gebüsch zwischen den Schattcn die Sonnenbildcr,
mit tausend Lichtcrn alle Humore der Krast.

So ungefähr, mein ich, wirkt auf uns Böcklin. Auf Alfred Julius
Meier-Gräfe wirkt er anders. Der schrieb ein Buch: „Der Fall Böcklin".
Und daß über dieses Buch ein Vierteljahr lang in allen Monats- und

p Gktoberheft chOö I
 
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