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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1905)
DOI Artikel:
Kretzschmar, Hermann Theodor: Die Musik als dienende Kunst
DOI Artikel:
Scheffler-Friedenau, Karl: Der Deutsche und seine Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0316

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geeignete Stücke aus neuer Zeit. Das Talent zum phantasieren
endlich, das in der Hausmusik den Bedarf an dienender Knnst am
einfachsten decken könnte, wird bei Dilettanten überhaupt nicht mehr,
bei Musikern nur sclten noch ausgebildet. Der Musik ihren vollen
Wirkungsbereich als dienender Kunst in die Oeffentlichkeit wicder
zu gcwinnen, sie hier mit dem bürgerlichen, mit dem politischen
und religiösen Leben, mit Sitte und Knltur wieder so eng zu ver-
binden, wie in alten Zeiten, ist ausgeschlossen. Aber wohl ist es
möglich, manchen guten alten Brauch, der sich noch erhalten hat,
vor dem Untergang zu retten und das Prinzip an sich wieder zu Ehren
zn bringen. Wo noch Glockenspiele klingen, noch Kurrenden singen,
Türmer und Postillone blasen, der Nachtwächter Horn und Stimme
übt, da ist die strenge musikalische Kritik nicht am Platz, sondern
die Liebe zum Volk. Wie auch dem Leiermann noch ein großer Kultur-
wert für die Höfe der Großstädte zukommt, hat Heinrich Seidl in
dcm Gedichte von der „Musik der armen Leute" allerliebst bewiesen.
Der nnter den Gebildeten wicder rege werdends Sinn für die Knnft
des 'Bolkes knüpft am besten an die Reste aus der Vergangenheit an.
Die Städte, die Sonntags wieder ausspielen lassen und an die Restau-
riernng der alten Stadtmusiken denken, die Kirchen, die bei Trau-
ungen und Taufen unentgeltliches Orgelspiel verordnen, sind anf
dem richtigen Wege. Unter den deutschen Fürsten hat König Max II.
von Baycrn durch seine Sorge nm Volksmusik ein vorzügliches Bei-
spiel gegeben. Es ist nicht gcnügend vcrstanden worden. Wenigstens
hat die Königliche Musikschule in München die im Jnteresse dcr
Gebirgsmnsik erbetene Lehrerstclle für Zither nnd Mandoline abge-
lehnt, weil den vorhandenen Kompositionen der Kunstwert abgehc.
Unter den vorhandenen sind wahrscheinlich die Vivaldischen Konzerte
nnbekannt gewesen, und es ist wohl anch nicht bcdacht worden, daß
dic Zuknnft bringen kann, was der Gegenwart fehlt. Gegen alles,
was znr Musik als dienender Kunst gehört, ist die Mehrheit der deut-
schen Musiker augenblicklich von ciner falschen Vornehmheit erfüllt,
einseitige Ansprüche an interessantc Arbeit und modernen Charakter
verhüllen ihnen hicr in ähnlicher Art manches Bcdeutende, wie sie
lange Zeit zur Unterstützung italienischer und anderer ausländischen
Musik verleitet haben. Auch die Furcht vor der Trivialität kann übcr-
trieben werden. Es ist falsch, wenn dcr gebildete Musiker grund-
sätzlich Gartcnkonzerte und Tafelmusiken vcrwirft. Sie beruhen auf
einem vortrefflichen Gedankcn, und es ist Sache der Fachleute, dafür
zu svrgcn, daß die Praxis nicht hinter der Jdee zurückblcibe.

^crmann Rretzschmar

vcr veutscke unä seine Runsr

(Fortsetzung)

Man kann sehr geistreich sein und doch ungeheuer falsche Dinge
sagen; kann genau wissen, was die Kunst „soll" und „muß" und
wie ihre „ehernen Gesetze" beschaffen sind nnd doch schrecklichen Un-
sinn über das einfachste Kunstwcrk reden. Die Organe der Theorie

I- Dezembertzcft (stOS 25 t
 
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