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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1906)
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Mennicke, Carl: Abaco
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0474

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Zbaco

Ein fremder und seltsamer Name. Die ihn znm ersten Mal aus-
sprechen, bleiben gewöhnlich hängen und stolpern. Man betone die
erste der drei Silben. Aber wer verbirgt sich hinter Abaco? Jst
es ein Dichser, Maler oder Musiker, ein Neuer, der etwas zn sagen
hat und welchem der Kunstwart den Weg ebnen will? Abaco ist
ein italienischer Jnstrumentalkomponist; er ist auch ein Neuer, aber
zu den Modernen gehört er nicht; denn er ist schon gestorben.
Die Forschung verehrt in Abaco den letzten vollwertigen Vertreter
der alten italienischen Kammermusik, als diese künstlerisch die höchste
Stellung einnahm. Nach Abaco tritt die italienische Kammermusik
einen mehr denn hundertjährigen Todesschlaf an; sie überläßt die
Pflege der Hausmusik den Deutschen und hat erst in unseren Tagen
wieder versucht, auf eigenen Füßen zu stehen. Abaco gehört zu den
Vielen, die gänzlich vergessen worden sind. Aber er gehört zu den
Wenigen, an deren Wiedergeburt nicht zu zwcifeln ist, denn er ist
eine fesselnde Persönlichkeit.

Um s?öO sagt ein deutscher Musikschriftsteller, der Name Abaco
sei vermutlich eine der vielen Verstümmelungen des Namens Bach.
Dieser Mann war unbelesen: er hätte aus Walthers Musiklexikou
vom Jahre s?32 wissen können, daß Evaristo Felice dall' Abaco
ein Veroneser war, der um s700 als Konzertmeister am Münchener
Hofe wirkte. Das war der Stand der Forschung um 1750, aber er
blieb bis vor einigen Jahren derselbe; die Lexika verzeichneten zwar
die Titel der sechs gedruckten Werke Abacos, aber niemand hatte
ein Wort der Anerkennung für diesen Meister übrig. Jm Jahre s89s
gelang es Riemann, ein Exemplar des opus III Abacos, je sechs
Kirchen- und Kammersonaten umfassend, zu erwerben; es ist bis
heute das einzige Exemplar geblieben, von dem wir wissen. Riemann
studierte das Werk mit seinem damaligen Schüler Max Reger, arran-
gierte einige Sachen für das Orchester des Wiesbadener Konserva-
toriums, und — es war des Staunens kein Ende. Man hatte eine
Entdeckung gemacht und erkannte in Abaco einen Musiker vou einem
imponierenden Können und einen Meister in der überzeugenden Kraft
der musikalischen Rede. Um breiteren musikalischen Kreisen annähernd
einen Begriff von Abaco zu geben, veröffentlichte Riemann in dem
Londoner Verlage von Augener die prächtige Triosonate in Z-molt
aus op. III, uud auf seine Anregung unternahm Adolf Sandberger
eine Nachforschung nach den übrigen Werkeu Abacos. Die Frucht
dieser Studien liegt seit 1900 vor, in dem stattlichen ersten Bande
der Denkmäler der Tonkunst in Bayern, welcher neben einer trefflich
orientierenden Biographie und Würdigung Abacos aus der Feder
Sandbergers eine Auswahl seiner Werke gibt. Gleichzeitig erschienen
Stimmen für den praktischen Gebrauch. Und dann? Ja — seitdem
sind fünf Jahre ins Land gegangen, aber abgesehen von einigen
schüchternen Versuchen in Privatzirkeln mit historischen Tendenzen
hat sich bisher niemand mit der Kunst Abacos intimer vertraut ge-
macht. Der großen musikalischen Welt ist dieser Meister auch heute
uoch eiu völlig Unbekannter.

p Ianuarheft IM6 r?9
 
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