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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1906)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Von der Richtigkeit in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0460

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Von ctei' Rickligksit in äsr Runst

Nichts, was das Urteil eines Beschauers aus dem Durchschnitt
leichter verwirren könnte, als der Beweis, daß irgend etwas in der
betrachteten Darstellung nicht „richtig" ist. Angenommen, er sei wohl
imstande, auch der leisen Führung einer Künstlerhand zu folgen
und sich zn erwärmcn uud sich zu begeisteru. Nun stehst du vor dem
Gemälde einer Abeudlandschaft mit ihm, die ihn entzückt. Sie bannt
den Zauber der blauen Stunde nach Sonnenuntergang, ernste Pap-
peln dehnen sich im Duft empor zu feierlichen Höhen, und droben
schwimmt im Unendlichen, ein feines Lichthorn, der Mond. Da sagst
du: „Jn dem Bild ist ein Fehler: Nur der zunehmende Mond
ist abends zu sehn, der znnehmende Mond aber hat den Bogen
nach links, wie die Bögeu im Z, hier steht die Sichel wie beim ab-
nehmendeu Monde. Die Darstellung ist also falsch." Ach, es ist sehr
wahrscheinlich, daß du mit dieser Bemerkung deinem Begleiter die
Freude an jencm Bilde verdorben hast. Denn, wenn einer mitten
im Kunstgenuß eine Unrichtigkeit bemerkt, so wird ihm, und hat
ihni die Speise noch ebcn köstlich gemundet, als blieb ihm ein Knochen
im Halse stecken. Noch ein paar Beispiele, ehe wir über die Frage
selbst sprechen, die hinter ihnen hervorlugt.

Als Böcklin im Jahre j88^ zum ersten Male sein „Spiel der
Wellen" an der Spree ausstellte, schrieb ein Herr v. L. darüber in
einer Berliner Zeitung: „Wenn der Herr Professor Böcklin wüßte,
daß ich mehrjährige Schwimmanstaltstudien hinter mir habe, würde
er mir uicht zumuten, zu glauben, daß jemand im Schwiinmen so
untertaucht, wie diese Meerjungfrau da. So taucht man wohl unter,
wenn man von hohem Sprungbrette sich mit Kopfsprung ins Wasser
stürzt, aber wir befinden uns hier auf uferloser Flut." Der Maun
hat sich das Bild nicht gut angeschaut, denn das Meerfräulein ist
gesprungen, wie ein fliegender Fisch, aber von diesem Einwande
können wir heute absehen. Ju London gab's einen Schneider, der
musterte jede große Ausstellung von Gemälden auf die Richtigkeit
der Nöcke vom Standpunkt des Fachmannes aus und verteilte dann
öffentlich streng Rüge und Lob. Ein deutscher Genosse seiner Zunft
tadelte einmal in einem „Eingesandt" sehr, daß auf einem gewisseu
Christusbilde der Heiland, wie seine Jünger, in schneiderisch un-
möglichen Gewändern wandelten. Jn unsern Kreisen geschieht das
Gleiche. Einen Streit um die Korrektheit von Uniformen auf irgend
einem Repräsentationsbild hat wohl jeder schon erlebt, der in Offi-
ziersfamilien verkehrt, und wir alle wissen, wie genau Kaiser Wil-

f. Hanuarheft lZ06 ZS5
 
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