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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 7 (1. Januarheft 1906)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0481

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I^ose klätter

l^eue Geclickle von I)aii8 Lökrn

Vorbemerkung. Ms wir zum ersten Mal (vergk. Kw. XVIII, (2)
der außerordentlichen Freude genossen, mit Hans Böhm unsern Lesern
einen noch ganz unbekannten Poeten aus reinem Lyrikergeblüt vorzu-
stellen, war noch kein Gedichtbuch von ihm erschienen. Es liegt auch
heute noch keines vor, es kommt aber bald eins, denn Böhms „Gedichte"
werden auf unsre Veranlassung demnächst bei Callwey in München er°
scheinen. Was wir heute noch nach dem Manuskript abdrucken, soll sie
den Lesern empfehlen. „Den" Lesern? Jch wage kaum zu hoffen, daß
ihrer gar zu viele meinem Hinweis entsprechen werden, denn so gewiß alle
Welt in lyrischen Formen skandiert und reimt, so gewiß gehören nicht nur
die eigentlich lyrischen Talente zu den allerseltensten, nein, so gewiß ist
auch die Empfänglichkeit für diese feinsten und tiefsten dichterischen Genüsse
etne der seltenen Gottesgaben. Wer nur lesen kann, was die Worte be-
deuten, dem ist sie versagt. Wer nicht belauschen kann, was die einc Zeile
zur andern flüstert, ohne daß es laut wird, dem ist sie versagt. Wer den
Rhythmus nicht in sich lebendig machen kann, wie er den Wipfelwald zu
großen Wogen und wie er zugleich ein jedes Blatt so oder so im Beson-
dern bewegt, der hört die Welt des Lyrikers nicht. Und wen nicht ein
Traumsehen überkommen kann, das alles um ihn wie Schleier wegzieht
vor einem heimlichen und für ihn doch eindringlichen Seiu von Gesichten, der
schaut sic nicht. Wie aber sollte er sie dann fühlen? Böhm ist ein Echter,
aber kein Großer. Die Großen unter den Lyrikern haben im letzten Jahr-
hundert Jahrzehnte über Jahrzehnte gebraucht, bis die Begeisterung für sie
als F-lamme zur Flamme über Land ging — wie sollt' es einem Böhm besser
werdcn! Nach Ausweis unsrer Kritiker und unsrer Anthologien haben wir
ja die Lyriker zu hunderten unter uns leben. Böhm ist nur für diejenigen
da, die unter den deutschen Zeitgenossen kaum ein Dutzend ihm Verwandter
finden können. Sie freilich werden den Neuen mit herzlichem Handschlag
grüßen. Haben sie das doch schon beim Erscheinen der ersten Verse Böhms
auf das sreudigste getan.

Die folgenden Gedichte sind auch im Kunstwart noch nicht gedruckt
worden bis auf zwei. Daß ich diese nochmals aufnehme, wolle man mit ihrer
veränderten Gestalt entschuldigcn. Mir war es höchst reizvoll, die Arbeit
dieses Dichters an sich und seinem Werk zu beobachten, und so dacht' ich,
es würde diesem oder jenem andern auch so gehn. A

G

Lincr Toten

So schläfst du nun die er>te Nacht,
von schwerer Lrdc überdacht.

Und nur dcs Wintersturms Gebraus
ist über deinem letztcn Lsaus.

l- Ianuarhest lstvö

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