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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 12 (2. Märzheft 1906)
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Bie, Oscar: Der Tanz
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0786

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Oer Dlan2

Wenn man ein meriwürdig umfangreiches Buch über den Tanz
geschrieben hat, wie es meine Schnld ist, so ist man nach Beendigung
dieser Arbeit wohl imstande, über den Tanz etwas zn sagen, d. h. man
ist erst dann imstande zu sagen, was er i st.

Was er w a r, habe ich versucht in gewissen Grenzen darzustellen.
Die Grenzen waren gegeben durch die unvermeidliche persönlichc An-
schauung, die aus irgend einer tünstlerischen Disposition hervorgeht,
uns treibt zu denkcn, zu empfangen und wiederzugeben nnd dem Ver-
wandtschaftsgefühl des Lesers überantwortet werden muß.. Und die
anderen Grenzen liegen in der beschränkten Neihe von Erlebnissen, die
einem wahren Buch den Jnhalt geben. Jch habe nämlich nur studiert,
was der Tanz von der Nenaissance an bis heute war, indem ich die
Tänze der Landleute und der Wilden und der Aegypter, die ich nicht
in mich aufnahm, wegließ. Dann setzte ich den Tanz in den ganzen
Kreis der Festkultur, links die Künste des Wassers und des Feuers,
den Sport und die Gescllschaft, rechts das Theater und die Musik. Das
gab eine Skala der rhythmischen 5bünste, die, indem sie zusanunen be-
trachtet wurden, erst offenbarten, was der Tanz wirklich gewesen ist.

Unser curvpäischer Kulturtanz ist eines der festlichen Mittel
der Renaissance, sich stilisiert auszudrücken: statt mit Bäumen nnd
Wasser, mit Menschen. So ist er als Kunst entstanden und ausgebildet
worden. Dabei hat er sich den Zeiten nach gewandelt und cine Art
soziologischer Stilgeschichte durchgemacht. Als Courante und Menuett
ist er ein Einzelpaartanz, das schön bewegte Paar, dort in der Prome-
nade, hier im Verkehr, das die Gesellschaft aus sich heraus wählt und
zum äußersten selbstlosen Kunstwerk schöner gescllschaftlicher Bewegungen
durchbildct. Jm Contre tritt ein demoiratisches Element dazu: der
Tanz wird koordiniert, ein Kunstwerk volksmäßiger Empfindungen, wie
die Schäferdichtung. Der Walzer endlich zeigt die dritte Stufe: Einzel-
paartanz, aber koordiniert. Das ist der romantische, moderne Tanz.
Abcr so einfach, wie ich es hier schreibe, ist die Entwicklung nicht.
Sie geht, wie die Kunstgeschichte, fortwährend zwischen Neigen und
Paar, Realismus und Jdealisnius hin nnd her, innner wieder auf
anderem Niveau: eine ständige Verzahnung der beiden Tanzmöglich-
keiten, der koordinierten und der subordinierten. Diese Mischungen
geben der Tanzgeschichte innerhalb des oben grob gezeichneten Nahmens
ihre feinen Schattierungen, die sich bis in die Stilgeschichte der ein-
zelnen Takte und Schritte verfolgen lassen. Darüber zu schreiben ist
sehr schwer. Man muß Schritte und Figuren analysieren und an die
Phantasie der Leser große Anforderungen stellen. Jch wundcre mich,
daß ich das durchmachen konnte, und denke mir, daß die Lektüre der
alten Schriften, das Bewußtsein einer neuen Arbeit und die gute Ge-
legenheit, kein Fcuilleton zu schreibcn, die Stimulantien waren. Also
verweise ich mit stillem Behagen auf diesen Abschnitt „G esellschafts-
tanz", der den stofflichen Kern meincr Studien bildet.

Mit dem Theatertanz ist cs einfacher. Als festliche Auffüh-
rung ist cr erst recht das Kind der Renaissance. Diese bildet ihn als
höchsten militärischen Gcnuß aus, in Figuren und in Schritten; die

^ 2. Märzheft tftOö 62 >
 
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