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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 10 (2. Februarheft 1906)
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Avenarius, Ferdinand: Hausbildereien
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Pflaum, Christoph D.: Psychologie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0665

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manche davon allein durch das Auge. Ermessen erst, wenn allgemein
erfaßt werden wird, daß hier ein unerschöpfliches Gebiet tiefster Jnnen-
kultur guten Teils aus rein äußerlichen Gründen jahrhundertelang für
das Volk so gut wie brach gelegen hat, und daß erst durch jene neuen
Techniken möglich geworden ist, es für strotzende Ernten zu bebauen.
Ganz nüchtern gesprochen: das Anlegcn von Hans- und Schul- und
Volksbildereien muß eine so natürliche und allgemeine Sache werden,
wie das Anlegen von Büchersammlungen. A

Vsyckologie*

Das Wort „Psychologie", im Kunstwart ausgesprochen, ist mehr-
deutig. Sind die Analysen des Seelenlebens gemeint, welche der Künstlcr
gibt? Oder handelt es sich um das Begriffsgebäude des Forschers,
der die Vielheit seelischer Lebensäußerungen auf die einfachste Weise
umfassen will? Oder gar um des Philosophen „Wesen" der Seele,
um Sein, Eigenart und Fortbestand jenes Etwas, das uns Menschen
höher stellt als die übrige Natur? Gemeint ist nur der wissenschaftliche
Sprachgebrauch, der ja allmählich auch sonst immer mehr zur Geltung
kommt; er aber versteht heute unter „Psychologie" nur noch die Arbeit
des Forschers und ihr begriffliches Ergebnis.

Die Unterscheidung der einen und der anderen „Psychologie"
ist mehr als Wortklügelei, sie ist sachlich gefordert und bedeutsam.
Der Künstler, der uns das Spiel der Motive vor einem Entschluß
oder den Verlauf einer seelischen Entwicklung bei einer Person
oder bei mehreren zueinander in Beziehung gesetzten Menschenseelen
aufzeigt oder der durch die sichtbare Haltung seiner Figuren bcstimmte
seelische Vorgänge als deren Voraussetzung anzunehmen zwingt, führt
nur immer Einzelnes vor in seiner Vereinzelung. Es mag ihm nicht
unlieb sein, wenn seine Leser oder Beschauer das von ihm dargebotene
Einzelne typisch finden, aber das, was er gibt und wie er es gibt, soll
vor allem lebendig sein, soll seine Existenz unmittelbar erweisen, —
und das tut eben ausschließlich das Konkrete, Einzelne, Bcsondere, nie
das Allgemeine. Was der Künstler so bietet, ist dem Wesen nach nicht
verschieden von dem, was jeder von uns täglich und stündlich leistet:
eine Deutung des seelischen Erlebens bestimmter anderer Menschen.
Der naivste Mensch ebenso wie der raffinierteste, das Kind wie der
Erwachsene versetzt sich „in die Lage" eines anderen Menschen, hat Mit-
gefühl mit ihm, schließt aus seiner Gesamterscheinung auf das, was er

* Meine Hinweise, daß dringend cine bessere psychologische Schulung
sehr vielen von denen not täte, die sich bei uns zum Erörtern ästhetischer
Probleme für berufen halten, hat unter andern Folgen eine sehr wunderliche
gehabt. Eine Anzahl unserer Leser hat mich in Zuschriften gefragt: was
wir denn unter Psychologie verständen. Sie sind schwcrlich die einzigcn,
die über den Begriff im unklaren sind, und fo darf ich wohl aunehmen,
daß die folgende Auseinandersetzung vielen dient. Freilich, eine ganz
leichte Lektüre ist sie nicht. Aber wir nehmen es doch wohl alle erust und
scheuen deshalb gelegentlich auch ctwas wirkliche Arbcit nicht. Es geht
eben nicht anders: wenn wir uns nicht bloß unterhalten, wenn wir weiter
kommen wollen, somüssen wir uns mit Fragen, wie dieser, auseinaudersetzen.

A

520 Kunstwart XIX, sO
 
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