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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1905)
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Gregori, Ferdinand: Der ideale Zuschauer
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0080

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ver icteale 2Hu8ckauer

Wemr der Kllnstler sein inneres Schauen in seinem Werke zur
Erscheinung bringt, so stellt er zugleich einen idealen Zuschauer,
Genießer, Beurteiler daneben. Diese zweite, mitschaffende und kor-
rigierende Persönlichkeit deckt sich nun meist mit ihm selbst, und
daher mag es kommen, daß er sich hier und da einredet, ohne jede
Rllcksicht auf die Betrachter zu arbeiten, die Kunst allein um der
Kunst willcn zu treiben. Solche Kunst aber, die nicht wirken will,
sondern selbstgenügsam ist, hat leicht etwas Pathologisches an sich —
wie etwa die von E. T. A. Hoffmanns Goldschmied Cardillac —
oder sie entfremdet sich zu ihrem eigenen Schaden dem Leben,
das immer und immer das bcfruchtende Element in der Kunst
bleibt. Jch glaube sogar: wenn dieser ideale Zuschauer uicht ein
unumgänglicher Teil des Schaffens wäre, blieben viele Bücher un-
geschrieben, Bilder ungemalt, Skulpturen unmodelliert oder wenig-
stens unvollendet. Denn zur Befriediguug des Künstlers selbst ist
oft nicht mehr als eine gelungene Skizze nötig, aus der er sein
ganzes Endwerk schon ablesen kann; allerdings nur er. Die Arbeit
des Verbiudens der ursprünglichen, flllchtig aufgezeichneten Eindrücke,
auch weun damit ein Verdichten und Vertiefen Hand in Hand geht,
hat mehr mit Fleiß, mit Ernst uud Anhänglichkeit, ja mit Mühsal
zu tun als mit der Offenbarung, die beim ersten Erfassen der künst-
lerischen Jdee waltet. Das Beseligende, Erleuchtende, die herzlichste
Freude ist dann bereits vorüber.

Das schauspielerische Arbeiten ist in dieser Hinsicht besonders
lehrreich. Dichter, Maler und Bildhauer können die Rücksichtnahme
auf einen Betrachter noch guten Glaubens ableugnen, weil sie selbst
vor ihr Werk zu treten imstande sind, um es zu genießen; nicht
aber kann das der Schauspieler, der rein körperlich mit seiner Lei-
stung verschmilzt. Genau besehen braucht er aber den Zuschauer
nicht nötiger als jeder andre Künstler eben auch.

Denn die heiligsten Augenblicke liegen auch für ihn in der
Zeit des allerersten, heimlichen, stummen Nachgestaltens oder des
„Markierens" mit halber Stimme, wenn er das Drama und die
Rolle cinige Male durchgelesen hat und fühlt, daß sich Stück für
Stück des Charakters, der ihm aufgegeben ist, in der Phantasie fest-
setzt. Da jubelt's iu ihm wie in einem glücklichen Entdecker, ein
Rausch überkommt ihn, reiner und überwältigender als der spätere,
unsaubere nach tausendhändigem Beifall. Schalteu wir solche Leser
aus, dcren Phantasie ganz ungewöhnlich leicht aus dem Teile

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