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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 10 (2. Februarheft 1906)
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Scheffers, Otto: Sprechsaal: zum Zeichenunterricht in den Schulen
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0678

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klare, verständige Zeichnung anzufertigen! Geradc der Wunsch, etwas
Sichtbares aus der Natur in einfache Linien zu übersetzen, die Not-
wendigkeit, von Zufälligkeiten in Beleuchtung und Farbe bis zu eincm
gewissen Grade zu abstrahieren, zwingt den Zeichuer, sich in das Wescu
des Gegenstandes zu vertiefen, diesen nach allen Richtuugen hiu zu
durchforschen, d. h.: gerade die Zeichnung lehrt, die Natur denkend zu
betrachteu. ^

Jch wende mich nicht gegen den Jmpressionisinus überhaupt —
dazu habe ich vor ihm viel zu viel Respekt —, wohl aber gegen die
eiuseitige Pflege des Jmpressionismus iu der „allgemein bildenden"
Schule. Dtto Scheffers

Lose Llätter

Aus Gsrkart tz»uplmsur»8 „ttnä Nippa lanrl"

V o r b e m er kun g. Gerhart Hauptmanns neueste dramatische
Arbeit, das vom „Lessingtheater" zum ersten Male aufgeführte vieraktige
„Glashüttendrama" „llnd Pippa tanzt", ist beim Pnblikum wie bei
der Kritik auf einen zum mindesten recht kühlen Skeptizismus gestoßen.
Ein kleiner Austritt, der sich nach Schluß der ersten Vorstelluug vor dem
Theatergebäude abspielte, mag dafür Zeugnis ablegen. Da stand eine Gruppe
von Kritikern und nur genießenden Zuschauern beicinandcr, uud einer da-
von hielt einen vorübergehenden Bekannten mit den Worten an: „Sagen
Sie, wir philosophieren da eben über die Gestalt der Pippa; fünf verschie-
dene Erklärungen haben wir schon. Können Sie nicht mit ciner neucn das
halbe Dutzend voll machen?" Jn der Tat, das war ein bezeichnendes Stim-
mnngsbild für die dnrcheinander schwirrenden und slirrenden Gedanken, mit
denen uns das Stück entließ. Eine grundlegende und ausschlaggebende
ästhetischc Frage ist damit aufgeworfen: soll sich ein „Märchen", wenn der
Vorhang zum letzten Male gefallen ist, mit seinem Sinn und seiner Be-
deutung klipp nnd klar vor uns enthüllen, oder darf ein Rest zurück-
blciben, dcr uns noch weiterhin Rätsel aufgibt und uns Zweifeln über-
läßt? Für beidc Möglichkciten gibt es in unserer Literatur Beispiele ge-
nug, von Kalidasa bis auf Ludwig Fulda; ich glaubc aber, daß iu allcn
Fällen der größere dichterische Wert auf seiten derer zu suchen ist, die dcn
Bruch und das Fragezeichen einer glatten Lösung und einer geraden Nech-
nung vorgezogen haben. Ja, es scheint mir geradezn zum dichterischen Wesen
und zur künstlerischen Daseinsberechtigung des Märchens, nuch dcs drama-
tischen, zu gehören, daß einer Mehrdeutigkeit seiner Gestalten nud Vorgänge
die Tür offen bleibt. Eines aber dürfen und müssen wtr von diesen eigen-
sinnigen Kindern der Phantasie, wofern sie als Kunstwerkc gelten wollen,
verlangen: daß ihr Grund- und Keimgedanke in der Seele des Dichters
klar und fest angeschaut war, daß eiu gerader und vrganisch gewachsener
Stamm da ist, mögcn sich die Nebenschößlinge noch so kraus und bunt um
ihn rankeu. Daran aber schcint es mir bei Hauptmann zu fehlen, wie das
Schaffen dieses Dichters denn wohl überhaupt dic Klarheit der Jdee und
die heitere Ruhe der Anschauung vermisscn läßt. Viclmchr habcn wir nur
zn oft den Eindruck, eine halbe Mclodie odcr ein vages, verschwimmcndes
Bild schwcbe vor ihm hcr, er jage ihnen, ein leidenschaftlicher Sucher und


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Äunstwart XIX, tO
 
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