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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 12 (2. Märzheft 1906)
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Avenarius, Ferdinand: Das Urheberrecht geht uns alle an
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0780

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vas vlrkeberreckt gekt un8 alle an

„Das Kind liegt im Brunnen, und nun wird er zugedeckt."
Nein, das Bild paßt nicht auf das, was ich damit vergleichen will,
denn da bleibt der Brunnen, auch wenn das Kind drinnen liegt,
gastlich für alles, was in der Nähe spielt, offen. Wird, heißt das,
ein verfehlter Gesetzentwurf Gesetz, so ist's eine gewaltige Arbeit,
ihn wieder ins Nichts zu schaffen, und wenn sie glückt, so wirkt
zunächst der Schaden selbst immerhin noch Jahre lang und wirken
dann seine Folgen noch auf Jahrzehnte.

Daß wir als politisches Volk jung sind, zeigt sich auch darin,
daß wir uns um werdende Gesetze sehr wenig kümmern, wenn
sie uns nicht an den eignen Geldbeutel greifen. Tun sie das, dann
! freilich steht's anders: die „Jnteressenten" sind immer mobil. Aber
wir sind noch so wenig daran gewöhnt, politisch auf die Zusam-
menhänge zu achten, daß wir uns viel seltener als Jnteressenten
fühlen, als wir welche sind. Mehr noch: die Jnteressenten im kahlsten,
im reinen Geschäfts-Sinne beurteilen oft ihre eigenen Jnteressen
falsch, weil sie wie durch ein festgestelltes Fernglas sehen: ihr Ziel
erscheint ihnen größer, als andern Leuten, aber was daneben ist,
sehen sie überhaupt nicht. Also sehen sie auch nicht, wenn's dort,
wo sie hinsehn, im Nachbarhause brennt, und ahnen keine Flug-
feuergefahr.

An dem neuen Gesetzentwurf für ein Urheberrecht an Werken
der bildenden Kunst und der Photographie, der jetzt im Reichstag
beraten wird, haben nicht nur die Künstler Jnteresse, die Verleger,
die „graphischen Jndustriellen" und die Photographen, wir alle
haben es, die hier zusammen sind. Wir Männer alle und die Frauen
alle im deutschen Volk und erst recht haben es, die erst heranwachsen,
und wir Aelteren eben der Buben und Mädel wegen, für die wir
sorgen sollen, doppelt. Soweit wir mündige Menschen sind, müssen
wir uns drum kümmern. Denn alle geht's an, nach welchen Ge-
setzen in den folgenden Jahrzehnten mit den ästhetischen, mit den
intellektuellen, den sittlichen, den religiösen Gütern gewirtschaftet
werden soll, die einer unsrer stolzesten Nationalschätze, die unsre
Kunst in sich schließt. Sie sind die eigentlichen Werte, um die
sich's dreht, nicht sind es die behauenen Steine und die bemalten
Leinwanden. Jn all den Gesichten, die zehntausend Zauberer hier
beschworen, sind Seelen festgebannt, die sprechen können zu dem,
der sehen kann, schlummern über Jahrzehnt und Jahrhundert Ge-
fühle, die den beschenken, der sie weüt, und Gedanken, die dem

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