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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 3 (1. Novemberheft 1905)
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Spitteler, Carl: Vom dichterischen Schaffen
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Batka, Richard: Musikalische Anschaulichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0165

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ins Netz scheuchend und die Hechte spießend, daß es rundurn spritzt.
Taß man jene liebt, begreife ich: ich liebe sie trotz einem. Aber wenn
man mir nun um jener willen diese verunehren möchte, sv soll
doch das Wetter dreinfahren.

Wenn denn schon einmal abgemessen werden soll, welches von
beiden Temperamenten das edlere sei, das beschauliche oder das
energische — es sollte zwar besser nicht abgemessen werden — dann
muß vielmehr dem willenskräftigeu Temperament der Vorzug zu-
gesprocheu werden. Was ich durch drei Exempel beweisen will, zwei
logische und ein zoologisches. Dem willensstarken Dichter steht das
beschauliche Sinnen in den Energiepausen frei; nicht aber dem be-
schaulichen Dichter der Aufschwung zu nachhaltiger Energie. Wenn
man dcu wegen ihrer seligen Beschaulichkeit beneideten Dichtern am
Lcbensabend durch das Schlafzimmerfenster guckt, so hört inan sie
über ihrc unselige Faulheit seuszen. Es gibt nicht bloß Fische, son-
dern es gibt auch Vierfüßler uud Vögel. Vou diesen lassen sich manche
iu allerlei Schlingen und Fallen fangen, manche aber müssen auf
dem Austand im Flug heruntergeknallt werden, mit scharfem Blick
und schneller Hand, manchen muß man sogar zu Pferde unermüdlich
nachsetzen, bis sie sich schließlich ergeben. „Wenn ihr's nicht fühlt,
ihr werdet's nicht erjagen." Jch bitte nicht zu übersehen: selber hat
er freilich nicht gejagt, aber sein Jagdhund hat's ihm apportiert,
und er hat ihn gestreichelt, als er's ihm aus dem Maul uahm. —
Endlich das Wichtigste. Wie wollen Sie, bitte, das kostbarste Wild,
dic Adler und dergleichen, in Jhre Gewalt bekommen, wenn nicht
mit angespannter Energie? Da kann einer lange mit feinen klugen
Dichteraugen auf der Lauer sitzeu, die kommen nicht herab, nicht
einmal auf Gesichtsweite, geschweige denn auf Schußweite. Denen
muß man mutig nachkletteru, auf Gletscherhöhe, unter Schwitzen und
Seufzen, bis einem die reine Höhenluft die Schultern badet und der
ersehnte Vogel plötzlich über dem Kopf schreit.

jVlusikaliscke Knsckaulickkeil

Jn den Reden die noch immer über die bald behauptete, bald
geleugnete Darstellungskraft der Musik geführt werden, hört man
immer wieder die scheinbar so einleuchtende Behauptung, daß bei der
Schilderung in Tönen doch niemand „gezwungen" sei, das Klang-
geräusch der Komposition etwa für Waldesrauschen zu nehmen. Wenn
die Phantasie des Hörers daraus das Murmeln eines Wassers oder
den Flug eines Vogelschwarms heraushört: wie wolle der Tondichter
vor so verschiedenen Auslegern gerade seine Vorstellung als die
zutreffende zur Geltung briugen? Die Sprache der Musik sei viel
zu unbestimmt, um konkrete Gegenstände mit voller Kenntlichkeit
zu veranschaulichen, die Programmusik vollends sei mehr ein Rätsel-
spiel denu eine Darstellung, während dem bildenden Künstler wohl
niemand bezweifeln kann, daß, was er abbildet, beispielsweise ein
Baum sei.

Auf diese Weise mag man jedem Kinde das „Unvernünftige"
der schildernden Musik klar machen. Wer sollte nicht einsehen, daß

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