Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1906)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0685

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Okarina.) Tanze drauf los und tanze dich aus! Es ist noch langc das
fchlimmste nicht: froh sein mit den zn Tode Betrübten!

(Pippa macht zn den Tönen der Okarina, die Michel spielt, schmerzlich
gedchnte Tanzbewegungen, die etwas Konvnlsivisches an sich haben. Nach
nnd nach wird der Tanz wilder und bacchantischer. Ein rhythmisches Zit-
tern bewegt den Körper des alten Huhn. Dabei trommclt er mit dcn
Fäusten tobsuchtsartig den Tanzrhythmus Pippas nach. Gleichzeitig scheint !
er von einer ungeheuren Frostempfinduug geschnttelt, wie jcmand, der aus !
schneidendster 5kälte in Wärme kommt. Aus der Tiefe der Erde dringen
gedämpfte Geräuschc: Douncrrollen, Triangel-, Becken- nnd Pauken-Schläge.
Endlich tritt der alte Wann in dic Flurtür.)

Huhn: Jch machc o Glasla! ich mach se . . . — (Mit starrem, ge-
hässigcn Blick auf Wann.) — ich mach se und schlo'se wieder azwee! —
kumm — mit — mir — cis Tunkel — kleenes Fünkla — (Er zerdrückt das
Trinkglas, das er noch in dcr Hand hält; die Scherben klirren. Pippa
durchzuckt es, und eine plötzliche Starre bcsällt sie.)

Pippa: Michel!

(Sie wankt, und Wann fängt sic mit den Armen auf. Sie ist tot.)

Wanu: Hast du doch dcinen Willen durchgesetzt, alter Korybant?!

Hellriegel (unterbricht sür einige Augenblicke sein Okarinaspiel):
Gut! Verschnaufe dich einen Augenblick, Pippa!

Huhn (starrt krampfhaft und mit machtvollem Triumph Wann in
die Augen. Dann löst sich von seinen Lippen mühsam, aber gewaltig der ^
Ruf:) Jumaläiü! — (Hierauf sinkt er zurück und stirbt.)

.Hellricgel (wollte eben wieder die Okarina ansetzen): Was ist
denn das? richtig! ich habe den Ruf gestern morgen auch gehört! — Was !
sagst du dazu, altcr Hexcnmeister?

sDer blindc Hellriegel erkennt nicht, was geschehen, der sieht nur nach ^
innen. Nnd Wann vermählt ihn mit Pippas Schatten, dasz die beiden
mitsamnicn weiterziehn. „Fahrc hin, sahre hin, kleines Gondelschiffchen!")

M Neue Bücher
„Fanny Eßler." Roman von
Felix P. Grevc (Axcl Juncker,
Stuttgart).

Dcr Roman gibt wieder einmal
die Lebcnsgeschichte einer „Verlore-
nen". Das ist zunächst wörtlich zu
vcrstehn. Abcr anch in dcm Sinn,
daß Fanny zu den Geschöpfen gehört,
die sich nie selbst finden, sondern
im Snchen dauach sich selbst immer
mehr verlieren. Dcr Verlorenen im
gewöhnlichen Wortvcrstand gclten die
weit angelcgten, von scharfer Be-
obachtung zcugenden Milieuschilde-
rungen. Der sich selbst Suchenden
und immer mehr sich Vcrlierenden

2. Februarheft (906

gilt die eindringliche, wühlende Psy-
chologie des Buches, womit der Au-
tor scine Heldin nach allen Seiten
hin auseinanderlcgt und in allen
Tiefen anszuspürcn sich müht. Mir
scheint, in zwei Schulen ging Greve.

Jn die des psychologischen Romans,
dercn Meistcr Dostojewski ist, und
in die Schule dcs normalen „natu-
ralistischen" Romans, als dessen Mei-
ster einst Zola verchrt wurdc. Aber
aus beiden Schulen ging er nicht
als cinc gefestigte schriftstellerische j
Jndividualität hervor, sondern er !
schwankt noch uncntschlossen hin nnd !
her, wendet bald die cine, bald die !
andre Methode an und nimmt nicht !
 
Annotationen