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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 8 (2. Januarheft 1906)
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Batka, Richard: Mozart
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Bonus, Arthur: Prosalyrik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0533

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Darum ist Mozarts hundertfünfzigster Geburtstag kein bloßes
geschichtliches Erinneruugsdatum. Es ist eiu froher Tag, der Ge-
burtstag eiues Meisters, der noch lebt, desseu holde Macht wir uoch
jedeu Tag an uns selbst erfahren. Niemals hat eine Zeit des Trösters
und Freudebringers, der vom Geist der Schwere befreit, mehr be-
durft als die unsere. Hier steht uns als uuverlierbarer Besitz der
Licht- uud Liebesgenius der Töne. Schöpfen wir, in diesen Tagen
der hcißen Kämpfe und Seelenkrämpfe, doch oft uud beherzt aus
seiner goldenen, heilspendenden Schale. Mehr Licht! Mehr Liebe!
Mehr Mozart! Batka

^rosalyrik

Ein Lyriker ist vor allem ein Mann, der seine persönlichen Emp-
findnngen für höchst interessant hält; er würde sonst kaum dazu
kommen, uns seine Beziehungen zu einem Sternenblümchen mit-
zuteilen oder zu einem Vogel, der vorüberflog.

Daher kommt es, daß wir — wenn ich nicht irre — keinem
anderen Künstler mit soviel Ungeduld entgegenkommen, als gerade
dem Lyriker. Und keiner hat das auch mehr um uns verdient. Jn-
dessen, es kann geschehen, daß die Empfindungen, um die es sich
handelt, wirklich eigentümlich, vielleicht gar bedeutend sind. Oder
kann das nicht sein? Wenn nicht, was kann dann noch interessant
oder bedeutend sein? Sind die Empfindungen nicht das Urmaterial,
durch dessen Verarbeitung erst Verflechtung, Abstumpfung, Zusam-
mensetzung alles andern entsteht? Weltanschauung und was nian
sonst nenncn mag? Und wo eine Originalkraft auftaucht, werden
da nicht vorerst die Empfindungen Eigenart haben und haben müssen?
Jrgend einen besonderen Klang? Jrgend eine so noch nicht gespürte
Richtung? ! !

Die wenigsten Menschen bleiben dabei stehen. Auch in ihrer
Kunst nicht. Sie gehen bald dazu über, den Jnhalt ihrer Empfindung
aus sich herauszusetzen, von sich loszulösen, um sie schließlich kritisch,
praktisch, technisch weiter zu verarbeiten. Es liegt aber nahe, an-
zunehmen, daß alle wirklich neuen eigenartigen Empfindungen zu-
nächst einmal lyrisch erklingen. Und es liegt nahe, anzunehmen,
daß im Ausdruck dieses ersten Klingens schon früh eine Freude und ein
Genuß empfunden worden ist. Wir glauben auch in der Tat, daß das
Wort später ist als der Klang. Die ältesten Lieder sind Lieder ohne
Worte. Und lange und bis heute, bis in die zivilisierteste Dichtung
hinein erhält sich dieses Moment des rein Klanghaften in der Lyrik.
Liliencron hat uns erst neuerdings wieder daran gewöhnt. Wir
können es auch am Kinde noch heute verfolgen. Lange bevor sich ihm
die erst bildmäßige Vorstellung formt, bevor es etwas sieht, wiegt
es sich im Wohllaut der Klänge. Die Mutter fühlt gar wohl,
weshalb sie singt. Aber auch später, wenn es längst sieht, ja
spricht, ist das, worin es ruht und feiert, der Gesang, und zwar
der Gesang ohne bestimmte Worte oder mit Worten, deren Be-
deutung ihm gleich ist. Ja, das erste primitive Erzählen des Kindes
ist lyrisch; es ist ganz außerordentlich schwer, einem kleinen Kinde

42S Annstwart XIX, 8
 
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