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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1905)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0406

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Jn Sinnen, die Augen hier und da, nur nicht in des andern Augen,
gingen sie dahin, sie schweigend, er ieise vor sich hinsummend. So gelangten
sie nach einer guten Viertelstunde auf eine lleine Erhöhung, die in das
niedrige grüne Feld vorsprang. Auf dieser Erhöhung hatte vor Jahrhunderten,
als das niedrige grüne Feld noch eine sumpsige Meerbucht gewesen war,
ein fürstliches Blockhaus gestanden, die Bauern zu zwingen. Die hatten
es im wilden Kampf erstürmt und verbrannt. Nun war von der ganzen
Festung nichts mehr da, als die grüne, sanfte Höhe, von jungen Eichen
bestanden. Am grünen Abhang, wo eine leichte Mulde im Boden den
Festungsgraben bezeichnete, standen Frühliugsblumen.

Da setzten sie sich am Abhang in die Sonne ins bunte Gras.

Und Heinke Boje legte die Hand um das eine Knie und sah unbeweglich
mit ruhevollen Augen über die grüne Ebene zu den sanften Höhen, von
denen sie gekommen wareu, und nach dem dicken Turm von Hilligenlei,
der eben darüber wegragte. Peter Volquardsen aber pflückte die Blumen,
soweit er sie im Sitzen ergreifen konnte, und warf sie ihr in den Schoß
und sah jedesmal, wenn er eine Blume hineinwarf, fragend nach ihrem
Gesicht. Sic aber rührte sich nicht. Das dauerte eine ziemliche Weile.

Da meinte sie, das Schweigen hätte lange genug gewährt und nahm
wie in Gedanken eine von den Blumen und drückte sie gegen ihren Mund
und sah in den weiten Himmel hinein und sagte: „Jst mein Mund gelb
geworden?"

„Ganz gelb," sagte er.

„Macht nichts," sagte sie und warf sich längelang ins Gras und
schloß dic Augen.

Da nahm er sich ein Herz und kam herangekrochen und küßte sie.

Sie dachte erst: „So will ich lange liegen bleiben". Aber dann schlug
die Liebe über sie zusammen und sie machte die Augen auf und legte
mit einer rührenden Gebärde beide Hände um seinen Kopf.

Nun sahcn sie sich in die ernsten Augen.

„Wie bist du schön," sagte er erschüttert.

„Jch kann mich nicht satt sehn," sagte sie.

„Lieg ganz still und sag' nichts."

„Du lieber Mcnsch! Wie lieb bist du."

Sv lagen sie lange, und staunten sich an und küßten sich zuweilen
vorsichtig uud fast feierlich.

Dann standen sie auf und gingen Hand in Hand auf den Heimweg,
meistcns stumm; aber sie sahen sich nun an beim Gehen, schweigend, mit
klaren Augcn; und hattcn sich an den Händen.

M Aus der letzten Ernte
Nachstehend verzeichnen wir, wie
wir das im „Literarischen Ratgeber"
unter der gleichen Ueberschrift zu
tun pflegten, in aller Kürze und
kritisch unverbindlich allerlei Erschei-
nungen, auf deren einzelnc wir nach

Bedarf zurückkommen werden. Jm-
merhin handelt sich's im folgenden
schon um eine ziemlich „gesiebte"
Auswahl. Wir bitten, sie durch das
zu ergänzen, was unsere „Losen Blät-
ter" und unsere regelmäßigen Buch-
anzeigen empfohlen haben. Die Dra-

2. Dezemberhsft jstOö

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