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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1905)
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Avenarius, Ferdinand: Worauf kommts an?
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Weber, Leopold: Walt Whitman
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0020

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Gewiß, gerade wir Deutschen haben Grund, uns vor der Unter-
schätzung des Technischen und des rein Malerischen zu hüten. Wächst
meine Technik, erhöht mir das die Möglichkeiten, „zu sagen, was ich
leide" und was mich erquickt. Genuß der Technik bedeutet dem Kenner
nicht nur Freude an der Mache an sich, die ihn das Uebcrwinden der
Schwierigkeiten, die Lust am Bildcn nachfühlen läßt. Sie bedeutet
ihm auch Gennß der Künstler-Persönlichkeit in einigen Graden, dcnn
Technik ist Handschrift. Und malcrische Schönheit kann weit über
bloße Augen-Sinnenlust hinaus, kann bis zu seelischcn Wirkungen voller
Stimmung führen, wie sie den musikalischen verwandt sind. Braucht,
wer das schätzen und lieben kann, deshalb stumpf zu sein gegen Ueber-
tragungen von Geist zu Geist, die Technik und Malkunst als Diener
benutzen in höhcrem Dienst? Oder ist es ein niedrigerer, an den wir
bei den Ewigkcitsgefühlen denken, um deren Gestaltung Böcklin ge-
rungen hat? Wenn in irgend einem Künstler, so sehen wir ja in
ihm einen Tempelcrrichter der Malerei. Und wie alle echten Tempel
wirken die seinen als Kunstwerkc, aber nicht nur als Kunstwerke, weisen
sie hin anf Größeres noch, als sich selbst. Nicht nur unser Verhältnis
zur Kunst, unser Verhältnis zur Natur ist durch diesen Großen
ticfer, unser Verhältnis zum Leben ist durch ihn inniger gewordcn.
Und das ist es vor allem, weshalb uns Meiers Gram über das in
Böcklins Bewunderung verirrte Deutschland so gar nicht zu Her-
zen geht. A

Mslt Mkitrnari

Jch setze ineinen Ausführungen über Walt Whitinan, den welt-
bekannten „Dichterphilosophen", eine bezeichnende Stelle aus seinen
„Grashalmen" nach Schölerinanns Uebersetzung voran, uin ihn selber
noch einmal. nngestört zum Leser sprechen zu lassen, bevor ich das
Wort über ihn nehine.

<A

Jch habe gcsagt, die Seele ist nicht mehr als der Leib,

Jch habe gesagt, der Körper ist nicht mehr als die Seelc,

Und nichts, auch nicht Gott, ist größer als man selber ist,*

Und wer eine Wegstunde ohne Mitgefühl wandelt, der wandelt zu seinem
cigcnen Bcgräbnis, gehüllt in scin Leichentuch,

Aber ich oder du, ohne einen Pfcnnig in der Tasche, können das Köstlichste
der Erde kaufen.

Mit dem Auge nur aufblicken oder eine Bohne in ihrer Hülse zeigen, stößt
alle Gelehrsamkeit über den Haufen,

Und es gibt keinen Beruf und keine Beschäftigung, durch die der junge
Mann, der sie bctreibt, nicht zum Helden werden kaun,

Es gibt keincn Gegenstand so zart, der nicht eine Radnabe für das krcisende
Weltall abgäbe,

Und ich sage zu irgcnd einem Manne oder Weibe: Laß deine Seele kühl
und gelassen vor einer Million von Welten stehen.

* D. h. Gott außer mir ist nicht größer als Gott in mir. N)

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